Angela Merkel und der türkische Ministerpräsident Erdogan haben gemeinsam den 50. Jahrestag des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens gefeiert. Dessen Rede zum Festakt war gespickt mit dezenten Seitenhieben zur Integration – doch die lassen die Bundeskanzlerin kalt.

Eigentlich sollte es ein harmonischer Festakt werden, eine Feierstunde zum 50. Jahrestag des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens. Doch der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat seine deutsche Amtskollegin Angela Merkel bereits bei der morgendlichen Zeitungslektüre mit polternden Botschaften beglückt. Und auch beim offiziellen Part des Tages im Auswärtigen Amt lässt er seine Seitenhiebe gegen Deutschland los – etwas netter verpackt, aber nicht weniger bestimmt. Und die Kanzlerin? Sie kontert charmant.

Missklänge waren für diesen Tag eigentlich nicht vorgesehen. Es gibt einen Festakt im Auswärtigen Amt, um die Gastarbeiter der ersten Stunde zu feiern, die 1961 ins fremde Deutschland kamen. Erdogan ist für die Feierlichkeiten eigens mit seiner Frau und einer großen Delegation nach Berlin angereist.

Der türkische Regierungschef ist ein impulsiver Mann, ein wenig unberechenbar und immer für eine Provokation zu haben – auch an harmoniebedürftigen Tagen. So ist an diesem Morgen in der „Bild“-Zeitung ausführlich zu lesen, was Erdogan von der deutschen Integrationspolitik hält: nicht viel. Deutschland würdige die Rolle der Türken im Land nicht genug, und der Zwang zum Deutschlernen, bevor Familienmitglieder nachkommen dürfen, verletze die Menschenrechte. Auch beim EU-Beitritt fühlt er sich von Deutschland „im Stich gelassen“. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), sieht sich gezwungen, die Vorwürfe zurückzuweisen, noch bevor der Festakt beginnt.

„Vielleicht sind wir hier unterschiedlicher Meinung“

Im Weltsaal des Auswärtigen Amtes ist die Tonlage dann dezenter . Erdogan beschwört die deutsch-türkische Partnerschaft mit schönen Sätzen wie: „Wir gehören zusammen“. Die drei Worte ringt er sich sogar auf Deutsch ab. Von seinen Standpunkten rückt er aber keinen Zentimeter ab: Deutschland müsse sich „am stärksten“ für einen EU-Beitritt seines Landes einsetzen, fordert Erdogan. Die doppelte Staatsbürgerschaft wünscht er sich. „Vielleicht bin ich hier unterschiedlicher Meinung mit meiner verehrten Amtskollegin“, schiebt er nach – und bietet großzügig auch allen Deutschen an, die türkische Staatsbürgerschaft zu erwerben. Und: Er wiederholt seine umstrittene Äußerung, Assimilation sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Vor drei Jahren hatte er mit dieser Aussage eine heftige Diskussion in Deutschland ausgelöst.

Merkel lauscht geduldig von der ersten Reihe aus. Sie kennt die forsche Art ihres türkischen Amtskollegen nur zu gut. Als Merkel ans Rednerpult tritt, lobt sie zuerst ausgiebig die Leistungen der türkischen Gastarbeiter, ihren Mut und ihren Beitrag zur deutschen Gesellschaft. Dann gibt sie Erdogan höflich Kontra. Es sei „zwingend“, dass Zuwanderer die deutsche Sprache lernen. Und die Förderung beginne eben schon im Elternhaus. Zum EU-Beitritt schweigt die Kanzlerin demonstrativ – und zur doppelten Staatsbürgerschaft sagt sie knapp: „Mit der Integration hat das, meiner Meinung nach, relativ wenig zu tun.“ Deutlichere Worte haben bei der Feierlichkeit keinen Platz.

Auch eine politische Stufe darunter geht die deutsch-türkische Hakelei bei dem Festakt weiter. Böhmer und Erdogans Stellvertreter, Bekir Bozdag, werden zum Gespräch ans Mikro gebeten. Bozdag verlangt Gesetzesänderungen. Dass Familienmitglieder erst nach einer Sprachprüfung nach Deutschland nachkommen könnten, sei „doch bedenklich wegen der Menschenrechte“, beklagt er. Noch dazu gebe es diese Hindernisse für andere Länder nicht. Böhmer hält dagegen: „Es ist keine Menschenrechtsverletzung. Es ist eine große Hilfe für die Menschen, wenn sie sich hier gleich heimisch fühlen.“

Erst die Euro-Rettung, dann Erdogan

Zum Schluss folgt eine Diskussionsrunde mit Merkel, Erdogan und mehreren Deutsch-Türken – darunter eine Gastarbeiterin der ersten Stunde, eine Autorin, eine Filmregisseurin. Die Runde plaudert über Veränderungen der Gesellschaft und über deutsch-türkische Freundschaften. Merkel schaut zwischendurch ins Leere. Sie hat an diesem Tag noch viel vor: Griechenland und den Euro retten oder es zumindest versuchen.

Ob sie viele türkische Bekannte habe, wird Merkel gefragt. Sie habe da ein „strukturelles Defizit“, antwortet die CDU-Chefin. Wer wie sie in der DDR aufgewachsen sei, habe nicht viele Möglichkeiten gehabt, solche Kontakte aufzubauen. Die „russischen Bekanntschaften“ seien aber „auch nicht schlecht“ gewesen.

Die Schriftstellerin in der Runde bietet der Kanzlerin einen Besuch bei ihren türkischen Eltern an. Merkel lächelt matt. „Erst mal müssen wir ein bisschen den Euro beruhigen“, sagt sie, „aber danke.“ Die forschen Töne aus der Türkei sind derzeit ihr geringstes Problem.