Berlin. Überproportional mehr als im Westen: Der Wirtschaftsminister sagt, wie viele Milliarden für Großprojekte nach Ostdeutschland fließen.
33 Jahre nach der Wiedervereinigung sieht Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck gute Perspektiven für die Wirtschaft im Osten. „Aktuell sind mehr als 20 Großinvestitionen in Ostdeutschland anvisiert – das Investitionsvolumen liegt bei über 50 Milliarden Euro“, sagte der Grünen-Politiker unserer Redaktion. „Mit Projekten wie den Halbleiter-Clustern in Sachsen-Anhalt und Sachsen oder der Ansiedlung von Batterieanfertigung in Brandenburg entstehen Anker, die weitere Ansiedlungen nach sich ziehen: Bauunternehmen, Industrieversorgung, Dienstleister.“
Die von Habeck genannten Zahlen beziehen sich auf Industrie-Großprojekte, bei denen jeweils mehr als 100 Millionen Euro eingesetzt werden sollen. Das Investitionsvolumen für ganz Deutschland liegt nach Angaben des Wirtschaftsministeriums bei rund 80 Milliarden Euro. Der Osten mit mehr als 50 Milliarden ist demnach überproportional vertreten. Nach Informationen, die unserer Redaktion vorliegen, handelt es sich dabei um private Investitionen für die kommenden Jahre. Einige Projekte werden bereits umgesetzt, andere sind noch in der Planungsphase. Ein Teil der Vorhaben wird vom Staat aus Steuermitteln gefördert. Der Gesamtumfang der Subventionen steht noch nicht fest.
Staatliche Subventionen für Intel sollen bei 10 Milliarden Euro liegen
Diskussionen hatte zuletzt das Mega-Projekt des US-Unternehmen Intel ausgelöst, das in Magdeburg einen Fertigungskomplex für Computerchips mit 3000 Arbeitsplätzen errichten und dafür 30 Milliarden Euro in die Hand nehmen will. Die staatlichen Subventionen für Intel belaufen sich nach übereinstimmenden Berichten auf 10 Milliarden Euro und sollen nicht aus dem regulären Bundeshaushalt kommen, sondern aus einem Sondertopf für mehr Klimaschutz und die Transformation der Wirtschaft. Ökonomen wie der Chef des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, kritisierten die Höhe als fragwürdig.

Habeck betonte indes: „Es geht voran und die Perspektiven werden immer konkreter. Und so werden wir weiter beharrlich die Projekte zu Erfolgen machen.“ Die Unterstützung der ostdeutschen Regionen stehe ganz oben auf seiner Agenda.
Habeck: „Verstehe, wie groß auch heute die Sorge vor Veränderungen ist“
Der Grünen-Politiker erinnerte zum Einheitstag an die schweren Jahre in Ostdeutschland nach der Wende. „Betriebe wurden dicht gemacht, Menschen verloren ihre Arbeit und ihre Sicherheit. Die Treuhand brachte Zorn und Verzweiflung. Das hat nachhaltig geprägt“, sagte er. „Gerade deshalb verstehe ich, wie groß auch heute die Sorge vor Veränderungen ist, die Angst vor Versprechen, die platzen.“ Er sehe aber auch, „wie groß der Wille ist, Dinge in die Hand zu nehmen, in der Haltung: Bevor uns eine Veränderung geschieht, kümmern wir uns darum“.
Als Beispiel nannte Habeck das Braunkohleunternehmen Leag mit Sitz in Cottbus. „Bei den Auszubildenden ist aus der anfänglichen Skepsis gegenüber dem Kohleausstieg eine andere Haltung entstanden: Konkrete Ideen und Pläne, was stattdessen kommt“, sagte der Minister – und verteidigte die staatlichen Subventionen: „Dieser Geist gepaart mit unserer Strategie, gezielt Investitionen in Ostdeutschland zu unterstützen, anzureizen, führt dazu, dass es vorangeht.“
Wirtschaftsweise Grimm: Osten hat größeres Potenzial bei Erneuerbaren Energien
Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm – Ökonomieprofessorin an der Universität Erlangen-Nürnberg – teilt Habecks Zuversicht, sieht Ostdeutschland als Wirtschaftsstandort zunehmend im Vorteil. „Die aktuell herausfordernde Situation nach der Krise sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass in den vergangenen drei Jahrzehnten viel passiert ist“, sagte das Mitglied im Sachverständigenrat Wirtschaft unserer Redaktion. „Die Arbeitslosigkeit ist gesunken.“
Die ostdeutschen Länder hätten viel in Forschung und Entwicklung investiert, was sich nun in Ansiedlung von technologieorientierten Unternehmen und Gründungsaktivität niederschlage. „Im Zuge der Transformation zur Klimaneutralität verschieben sich zudem die relativen Standortvorteile in Deutschland“, fügte Grimm hinzu. „Hier können die ostdeutschen Flächenländer profitieren, die ein deutlich größeres Potenzial für Erneuerbare Energien haben als der dichter besiedelte Westen.“
Eine Wiederholung der traumatischen Erfahrung zur Jahrtausendwende mit extrem hoher Arbeitslosigkeit drohe dem Osten nicht, sicherte die Wirtschaftsweise zu. Aufgrund der demografischen Entwicklung werde jede und jeder gebraucht. Grimms Fazit: Die einzig wirkliche Bedrohung des Wohlstands sei die wachsende Zustimmung zu extremistischen Parteien – insbesondere der AfD.
Bericht zum Stand der Deutschen Einheit Fortschritte und Handlungsbedarf
Der jüngste Bericht zum Stand der Deutschen Einheit, den der Regierungsbeauftragte Carsten Schneider (SPD) in der vergangenen Woche vorgelegt hatte, zeigt ebenfalls große Fortschritte beim Zusammenwachsen des Landes, aber auch noch Handlungsbedarf. Eine Kluft bleibt bei Wirtschaftskraft und Löhnen. So lag das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner 2022 in Ostdeutschland bei 79 Prozent des Wertes im Westen. Der durchschnittliche Jahresbruttolohn im Osten betrug im Jahr 2022 mit 34.841 Euro etwa 86 Prozent des Westniveaus.
Kritisch angemerkt wird im Einheitsbericht, dass der Anteil ostdeutscher Führungskräfte weiterhin deutlich unter dem Bevölkerungsanteil der Ostdeutschen von rund 20 Prozent liege. Verwiesen wird auch auf eine stärkere Verbreitung migrationsfeindlicher Einstellungen im Osten sowie auf höhere Fallzahlen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. (mit dpa/afp)