Berlin. Der Arm russischer Geheimdienste reicht weit nach Deutschland hinein. Besonders im Fokus: die Bundeswehr – und Teile der Bevölkerung.
Der aufgedeckte Spion beim Beschaffungsamt der Bundeswehr alarmiert die Politik. Überraschend kommt der Fall jedoch nicht. „Dieser Krieg wird von Moskau aus auch hybrid außerhalb der Ukraine geführt“, sagte der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter dieser Redaktion. Es gehe zum Beispiel um Agenten, die an neuralgischen Punkten platziert werden und um Sabotage, Spionage und Desinformation, warnt der Vizevorsitzende des Geheimdienstkontrollgremiums im Bundestag. „Das sind keine Begriffe aus James-Bond-Filmen oder dem Kalten Krieg, sondern so aktuell wie selten zuvor.“
Mit Russlands Angriff auf die Ukraine ist Deutschland noch stärker als zuvor in den Fokus der Geheimdienste von Präsident Wladimir Putin gerückt. „Die Bedrohung durch Spionage, Desinformationskampagnen und Cyberangriffe hat eine andere Dimension erhalten“, hatte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) dieser Redaktion direkt nach Bekanntwerden des neuen Falls gesagt. Das gilt nach Erkenntnissen des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) ganz besonders für die Bundeswehr.
Durch die Material- und Waffenlieferungen an die Ukraine, die Ausbildung ukrainischer Soldaten in Deutschland und die verstärkte Militärpräsenz an der Nato-Ostflanke habe sich das Interesse ausländischer Nachrichtendienste, besonders aus Russland, „an den Tätigkeiten, Absichten und Maßnahmen der Bundeswehr erheblich verstärkt“, warnte MAD-Präsidentin Martina Rosenberg erst kürzlich in einem Bericht ihrer Behörde.
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Bundeswehr steht im Fokus russischer Geheimdienste
„Sensitive Informationen werden dabei mit Mitteln offener Gesprächsabschöpfung und Ausspähung“ sowie durch „klassische nachrichtendienstliche Methoden wie der Quellenführung“ beschafft, heißt es in dem vor einem Monat veröffentlichten MAD-Report. Dabei spielten die nachrichtendienstlichen Legalresidenturen der russischen Botschaften und Konsulate „unverändert eine herausgehobene Rolle“. So war es auch in dem aktuellen Fall von Thomas H.

Der Offizier im Range eines Hauptmanns arbeitete beim Beschaffungsamt der Bundeswehr in Koblenz, das sich um die Ausrüstung der Truppe vom Schutzhelm bis zum Raketenabwehrsystem kümmert. Ab Mai kontaktierte der Soldat nach Angaben des Generalbundesanwalts mehrfach das russische Generalkonsulat in Bonn und die russische Botschaft in Berlin und bot eine Zusammenarbeit an: „Dabei übermittelte er zu einer Gelegenheit Informationen, die er im Zuge seiner beruflichen Tätigkeit erlangt hatte, zwecks Weiterleitung an einen russischen Nachrichtendienst.“
Offizier diente sich Russland als Informant an – per E-Mail
Thomas H. flog auf und wurde am Mittwoch festgenommen, seine Wohnung und der Arbeitsplatz durchsucht. Über die Beweggründe des Beschuldigten gab es zunächst keine Auskünfte. Der „Spiegel“ berichtete, der Mann Anfang 50 sei offenbar frustriert über seine berufliche Situation in der Behörde gewesen und habe sich womöglich wichtig machen wollen. Durch seine langjährige Tätigkeit im Mittelbau des Beschaffungsamts habe H. Zugang zu sensiblen Informationen über Rüstungsprojekte gehabt, aufgefallen sei er bei seiner ersten Kontaktanbahnung mit dem russischen Generalkonsulat per Mail.
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Dem „Tagesspiegel“ zufolge war H. intern wegen seiner Sympathie für die AfD und deren Russlandpolitik aufgefallen. „Offenbar gibt es bei den letzten Verratsfällen Bezüge zur AfD“, sagte Grünen-Geheimdienstexperte Konstantin von Notz.

Es ist nicht der erste Fall, in dem sich ein Mitarbeiter einer Behörde im sensiblen Bereich Russland als Informanten andiente. Im Dezember war ein Mitarbeiter des Bundesnachrichtendiensts (BND) festgenommen worden, der einem russischen Nachrichtendienst Staatsgeheimnisse verraten haben soll. Gegen ihn und einen mutmaßlichen Komplizen wird wegen Landesverrats ermittelt. Im November sprach das Düsseldorfer Oberlandesgericht einen früheren Reserveoffizier als Spion im Dienste Russlands schuldig.
MAD: Kreml setzt „hohe Anzahl“ von Spionen in Deutschland ein
Dem MAD zufolge setzt Russland eine „hohe Anzahl“ von Spionen in Deutschland ein. Kurz nach dem Überfall auf die Ukraine hatte die Bundesregierung 40 russische Diplomaten zu „unerwünschten Personen“ erklärt und ausgewiesen. Russlands „vormals gut funktionierenden und eingespielten Spionageaktivitäten“ seien dadurch geschwächt worden, analysierte der MAD. Dies werden russische Geheimdienste „jedoch nahezu sicher durch andere Methoden der Informationsbeschaffung auszugleichen versuchen“.
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Im aktuellen Verfassungsschutzbericht heißt es, Russland werde künftig wohl unter anderem versuchen, mit falscher Identität nach Deutschland eingeschleuste „reisende Führungsoffiziere“ einzusetzen. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sagte als Reaktion auf den aktuellen Fall: „Die personelle Stärkung des Militärischen Abschirmdienstes müssen wir konsequent weiter verfolgen – gerade im Bereich der Spionageabwehr.“
Faeser: „Zeitenwende“ auch für die innere Sicherheit Deutschlands
Den deutschen Sicherheitsbehörden macht jedoch nicht nur russische Spionage Sorgen. „Auch gesellschaftliche Zersetzung ist Teil des Repertoires der russischen Dienste“, sagte der CDU-Experte Kiesewetter. „Eine in Teilen der Bevölkerung und Eliten verbreitete Russlandromantik wird von Moskau als Einfallstor für Desinformation und Beeinflussung genutzt.“ Zum russischen Vorgehen gehöre zudem die Sabotage kritischer Infrastruktur.
Innenministerin Faeser stellte im Verfassungsschutzbericht fest, Russlands Krieg gegen die Ukraine bedeute „auch für die innere Sicherheit eine Zeitenwende“. Gezielt gestreute Desinformation seien ein „Nährboden für Verschwörungserzählungen“. In dem Bericht wird außerdem gewarnt: „Zukünftig ist mit klandestineren und aggressiveren Spionageoperationen Russlands sowie von Russland ausgehenden Aktivitäten im Cyberraum zu rechnen.“
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