Berlin. Botschafter in Moskau ist der schwierigste Diplomaten-Job der Welt. Wie sich Graf Lambsdorff vorbereitet – und was er von Putin hält.
Deutscher Botschafter in Russland: Es gibt derzeit wohl keinen schwierigeren Diplomaten-Job als die Vertretung in Moskau. Klartext reden, ohne Porzellan zu zerschlagen, lautet der Arbeitsauftrag. Mitten im Ukraine-Krieg die Drähte zu Präsident Wladimir Putin, Außenminister Sergej Lawrow oder Verteidigungsminister Sergej Schoigu zu halten – allein das ist eine politische Herkulesaufgabe.
Alexander Graf Lambsdorff (FDP) sitzt an einem kühlen Maimorgen auf der Terrasse eines Cafés am Berliner Hausvogteiplatz. Er trägt ein grünes Cord-Sakko und eine blaue Krawatte mit grünen Punkten. Wenn er über seine künftige Aufgabe nachdenkt, kommt er schnell auf eine andere, ebenfalls heikle Periode zu sprechen – den Kalten Krieg und Hans-Dietrich Genscher, der von 1974 bis 1992 Außenminister war.
„Genscher hatte es damals mit dem sowjetischen Außenminister Andrej Gromyko zu tun, dessen Spitzname ‚Mister Njet‘ war“, sagt Lambsdorff. Gromyko, der mit hängenden Mundwinkeln und steinerner Miene westliche Politiker oft zur Verzweiflung brachte, stand fast 30 Jahre an der Spitze des Außenministeriums der UdSSR. „Genschers Philosophie war: Wenn wir den Gesprächsfaden abreißen lassen, dann merken wir auch nicht, wenn sich irgendetwas ändert. So sehe ich das auch.“
Genschers Philosophie war: „Den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen“
Von „scharfkantiger Rhetorik“ hält Lambsdorff nichts. „Ich sehe meine Aufgabe darin, der russischen Seite unmissverständlich, aber diplomatisch zu kommunizieren, wie die Bundesregierung die Dinge sieht“, formuliert er seinen künftigen Polit-Spagat in Moskau.
So sanft klang der Neffe des ehemaligen Bundeswirtschaftsministers und FDP-Chefs Otto Graf Lambsdorff nicht immer. Als stellvertretender FDP-Fraktionsvorsitzender mit Schwerpunkt Außenpolitik saß er oft in deutschen Talk-Shows und vertrat pointierte Positionen. Anfang Dezember forderte er, dass Deutschland im Verbund mit Partnern aus der Nato oder der EU auch westliche Kampfpanzer an die Ukraine liefern könne. Die Bundesregierung unterstütze Kiew nicht in dem Maße, wie sie es tun könnte.

Bereits im September 2020 nannte Lambsdorff die Erdgas-Pipeline Nordstream 2 „eine geopolitische Dummheit und ein diplomatisches Debakel“. Die Rhetorik des designierten Botschafters hört sich heute wesentlich geschmeidiger an.
Im Winter 1996 paukte der junge Diplomat zwei Monate Russisch in Nowosibirsk
Im Sommer soll der Wechsel nach Moskau stattfinden. Auf seinen Einsatz bereitet sich Lambsdorff durch ausgiebige Lektüre vor. „Es gibt hervorragende Bücher über russische Geschichte. Karl Schlögel, Orlando Figes oder Simon Sebag Montefiore lohnen sich immer“, betont er. Darüber hinaus sucht er das Gespräch mit Fachleuten. „Ich rede viel mit Wissenschaftlern und Experten aus Denkfabriken und Universitäten. Ich werde auch nach Brüssel zu EU und Nato fahren“, fügt Lambsdorff hinzu. „Angesichts der komplizierten Lage in Russland geht es mir darum, Ideen einzusammeln.“
Dabei wäre der 56-Jährige fast schon einmal an der Moskwa gelandet. Im Winter 1996 paukte der junge Diplomat zwei Monate Russisch in Nowosibirsk. „Ich war 1997 als Wirtschaftsattaché für die deutsche Botschaft in Moskau vorgesehen, bin dann aber von Außenminister Klaus Kinkel in sein Team in Bonn geholt worden“, erklärt Lambsdorff. „Mein Russisch muss deshalb erst wiederhergestellt werden. Ich will es aber auf jeden Fall festigen.“ Völliges Neuland ist Putins Riesenreich für Lambsdorff aber nicht. Von 2003 bis 2004 arbeitete er als Länderreferent für Russland im Auswärtigen Amt.
„Ich scheue mich auch nicht vor einem Gläschen Wodka“
Die Liebe zur russischen Küche hat sich Lambsdorff bewahrt. Er isst gern Borschtsch, Sakuski und Pelmeni. „Die Russen haben – das weiß kaum jemand – auch sehr ordentlichen Wein“, meint er. „Ich scheue mich auch nicht vor einem Gläschen Wodka.“
Eines seiner Vorbilder ist Rüdiger von Fritsch, der frühere deutsche Botschafter in Moskau. Lambsdorff erinnert sich noch genau an ein Briefing, das von Fritsch 2018 einer Delegation von FDP-Bundestagsabgeordneten gab. „Von Fritsch lieferte einen von Sympathie geprägten Blick auf Russland und hatte gleichzeitig eine glasklare analytische Sicht auf die Politik der russischen Regierung“, schwärmt Lambsdorff.
Lambsdorff: „Es ist nicht zu erkennen, dass das System Putin wankt“
Als Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) Lambsdorff das Angebot für Moskau unterbreitete, seien ihm zwei Dinge durch den Kopf gegangen. „Erstens eine gewisse Dankbarkeit, dass die Ministerin mir das zutraut. Zweitens der Gedanke, dass sich eine Geschichte fortsetzt“, schildert er. Lambsdorffs Vater war von 1982 bis 1985 Leiter der Kulturabteilung an der deutschen Botschaft in Moskau. „Deswegen habe ich schon als Teenager Anfang der 80er Jahre Moskau oft besucht.“
Über „russische Destabilisierungsversuche“ wie die Beeinflussung von Wahlen oder Cyber-Attacken macht sich Lambsdorff keine Illusionen. „Vor diesem Hintergrund müssen wir klarmachen, dass auf einer solchen Grundlage politische Zusammenarbeit äußerst schwierig ist“, unterstreicht der Botschafter in spe. „Das heißt nicht, dass man nicht im Einzelfall fachbezogen Absprachen treffen kann – etwa beim Nuklearabkommen mit dem Iran, Getreideexporten aus der Ukraine oder im Klimaschutz.“
Mit einem baldigen Sturz des russischen Präsidenten rechnet er nicht. „Es ist nicht zu erkennen, dass das System Putin wankt. Es scheint ziemlich stabil zu sein“, resümiert er. In der Ukraine dürfte man Lambsdorffs Berufung mit gemischten Gefühlen sehen. „Ich rate allen, auch aus der Erfahrung der letzten großen EU-Erweiterungsrunde keinen überhasteten Beitritt der Ukraine zu erwarten. Es wird also noch dauern.“
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