Ukraine-Krieg

Kriegsangst: Wie sie entsteht – und was dagegen hilft

| Lesedauer: 5 Minuten
Julia Emmrich
Ukraine-Konflikt: Diese Spendenmöglichkeiten gibt es

Ukraine-Konflikt: Diese Spendenmöglichkeiten gibt es

Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine sind zahlreiche Menschen auf der Flucht. Viele benötigen Hilfe. Es gibt verschiedene Möglichkeiten zu spenden:

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Schlimme Erinnerungen, alte Traumata und aktuelle Sorgen: Was muss man über die Kriegsangst wissen? Und was lässt sich dagegen tun?

Berlin. Die Panzer, die Bomben und zuletzt Wladimir Putins Drohung mit Atomwaffen: Der Krieg in der Ukraine ist anders als die Kriege der letzten Jahre. Er betrifft Deutschland unmittelbarer, keine 700 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt wird gekämpft. Tief besorgt sind die allermeisten. Viele haben Angst vor dem, was als Nächstes kommen könnte. Für einige kehren jetzt auch schlimme Erinnerungen zurück. Was muss man über die Kriegsangst wissen? Und was lässt sich dagegen tun?

Es gibt viele Ältere, die selbst noch Krieg erlebt haben: Menschen über 80 Jahre, die sich in diesen Tagen an den Zweiten Weltkrieg erinnern, an die Luftschutzbunker, an Zerstörung, Leid und Tod. Aber es sind nicht nur die Älteren, die jetzt Ängste erleben: Dieser Krieg finde quasi vor unserer Haustür statt, sagt Heide Glaesmer, Psychologin an der Universität Leipzig. Diese räumliche Nähe führe dazu, dass die Bilder und Nachrichten aus der Ukraine in direkten Bezug zum eigenen Leben gesetzt würden.

Kriegsangst: Bilder aus der Ukraine können alte Ängste reaktivieren

Glaesmer hat über die Wirkung von Kriegstraumata geforscht, unter anderem in der Weltkriegsgeneration. „Für Menschen, die in ihrem Leben bereits einen Krieg erlebt haben, ist das besonders schwer.“ Das betreffe die Älteren, die den Zweiten Weltkrieg noch miterlebt haben, aber auch diejenigen, die in den vergangenen Jahrzehnten vor einem Krieg nach Deutschland geflohen sind.

In der Generation der über 80-Jährigen sei der Anteil der Menschen mit posttraumatischen Störungen höher als in allen nachfolgenden Generationen. „Es kann sein, dass die Bilder aus der Ukraine bei vielen nun zu einer Reaktivierung der traumatischen Erinnerungen aus der Kindheit und Jugend führen.“ Lesen Sie dazu: Flucht aus der Ukraine – Anna muss ihren Mann zurücklassen

Glaesmer erklärt, wie die Angst aktiviert wird: Bestimmte Hinweisreize – wie Gerüche, Geräusche oder Bilder aus den Nachrichten – könnten psychische Symptome auslösen. Menschen, die im Krieg ausgebombt wurden oder Brände erlebt haben, könnten etwa oft bis heute mit Feuerwerk oder Brandgeruch nicht gut umgehen.

Auch die Bilder von Ukrainern, die sich in die Keller oder U-Bahn-Schächte flüchten, könnten solche Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg und die Bombenangriffe auslösen. Mediziner wie Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzender des Weltärztebundes, bestätigen das: „Gerade in der älteren Generation kann es jetzt passieren, dass Menschen traumatisch auf die Kriegsnachrichten reagieren, dass sie verstärkte Ängste erleben, sich zurückziehen und zum Beispiel beginnen, Lebensmittel zu bunkern.“

Ukraine-Krieg belastet nicht nur die Großelterngeneration

Die Bilder vom Ukraine-Krieg würden aber nicht nur die Großelterngeneration besonders belasten, so Glaesmer. Auch bei anderen, die bereits traumatische Kriegserlebnisse hatten, zum Beispiel Bundeswehrsoldaten oder humanitäre Helfer nach einem Auslandseinsatz, könnten jetzt Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung auftreten. Zum Beispiel Albträume oder Flashbacks, also unkontrollierbare Erinnerungsschübe.

Ängste in Bezug auf den Krieg spüren jetzt aber auch viele, die selbst noch nie einen Krieg erlebt haben. „Denkbar ist, dass gerade die Menschen, die den Kalten Krieg intensiv mitbekommen haben, jetzt angesichts der Atomdrohungen erneut Angst bekommen. Mit einer psychischen Störung hat das zunächst nicht unbedingt zu tun, aber dennoch kann das sehr belastend sein.“

Psychologin: Nicht von morgens bis abends Nachrichten lesen

Doch was hilft jetzt gegen die Angst? Informationen seien nützlich, um zu verstehen, was passiere, sagt die Psychologin. „Doch es kann auch nützlich sein, sich ab und zu eine Abstinenz zu verordnen.“ Wer Ängste entwickele, sollte nicht von morgens bis abends Nachrichten hören und lesen. Stattdessen könne es guttun, die passive Rolle zu verlassen und sich zu engagieren. Zum Beispiel, indem man gegen den Krieg demonstriere, Spenden sammele oder andere Hilfsaktionen unterstütze.

Hilfreich können auch Gespräche in der Familie oder mit Freunden sein. In der Weltkriegsgeneration sei viel zu selten über die eigenen Beschädigungen gesprochen worden. „Menschen, die jetzt unter Kriegsangst leiden, sollten das Gespräch mit Freunden und Angehörigen suchen“, rät auch Montgomery. Bei starken Ängsten könne es aber auch hilfreich sein, mit dem Hausarzt zu sprechen oder sich an eine Angstambulanz zu wenden. „Die meisten niedergelassenen Ärzte kennen sich inzwischen gut mit Angststörungen aus. Auch Therapeuten, Pfarrer und alle anderen in der Seelsorge Tätigen können jetzt helfen.“

Wichtig sei es, dass man Menschen mit Kriegsangst ernst nehme und ihre Gefühle nicht kleinrede. „Die Angst vor einem Atomkrieg ist keine völlig irreale Angst.“ Es bringe deswegen auch nichts, nur mit rationalen Gegen­argumenten zu kommen. „Man muss über die akuten Ängste sprechen. Auf Menschen mit Ängsten muss man zugehen.“

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Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de.