Berlin. Mit der von Wladimir Putin herbeigeführten Eskalation in der Ostukraine ist die Gaspipeline Nord Stream 2 endgültig zu einem geostrategischen Druckmittel geworden. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte am Dienstag an, das Verfahren zur Inbetriebnahme der Röhre zu stoppen. Scholz begründete den Schritt damit, dass der russische Präsident die Axt an die europäische Nachkriegsordnung lege: „Es droht ein Krieg im Osten Europas.“
Putin hatte die Unabhängigkeit der Separatistenregionen Donezk und Luhansk in der Ostukraine am Montag anerkannt und Truppen dorthin entsandt. „Die Lage heute ist damit eine grundlegend andere“, sagte Scholz. Das gelte auch für Nord Stream 2. Der Kanzler beauftragte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) damit, das Verfahren zur Zertifizierung der Pipeline zu stoppen und in Anbetracht der aktuellen Lage neu zu bewerten.
Ukraine begrüßt Stopp von Nord Stream 2
„Das wird sich sicher hinziehen, wenn ich das mal vorhersagen darf“, machte Scholz seinen Willen deutlich, die umstrittene Pipeline auf längere Sicht nicht in Betrieb zu nehmen.
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Die 1230 Kilometer lange Röhre führt vom westrussischen Wyborg nach Lubmin bei Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern. Durch die im vergangenen Jahr fertiggestellte Pipeline sollten nach bisherigen Planungen 55 Milliarden Kubikmeter russisches Gas pro Jahr nach Deutschland fließen. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba begrüßte den Stopp der Pipeline. Russland zeigte sich demonstrativ unbeeindruckt: „Moskau hat vor nichts Angst“, verkündete Vize-Außenminister Andrej Rudenko.
Habeck und Baerbock früh für harte Linie gegenüber Moskau
Die Parteien der Ampel-Koalition benötigten nach ihrem Start Anfang Dezember eine Weile, um angesichts der zunehmenden Spannungen mit Russland in einen Gleichschritt zu kommen. Die Grünen mit Vizekanzler Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock standen schon früh für eine härtere Position gegenüber Russland. Habeck ließ seit seinem Amtsantritt prüfen, wie Nord Stream 2 Teil eines Sanktionspakets werden könnte.
Die SPD hingegen eierte lange herum. Mitte Dezember bezeichnete Scholz die Gaspipeline noch als rein „privatwirtschaftliches Vorhaben“. Bei den Verbündeten, besonders in Osteuropa und in den USA, weckte Scholz damit Zweifel an der Standhaftigkeit der Bundesregierung gegenüber Putin.
Deutschland ist abhängig von russischem Gas
Schließlich ist Deutschland zu einem hohen Maß abhängig davon, dass der Machthaber im Kreml den Gashahn nicht zudreht. Erst im neuen Jahr fand die Koalition zu einer gemeinsamen Linie, Scholz gab mit der Androhung „harter Sanktionen“ die Sprachregelung vor. Dennoch weigerte sich der Kanzler bei öffentlichen Auftritten beharrlich, die Pipeline beim Namen zu nennen, um Putin im Ungewissen zu lassen.
Vor einer Woche in Moskau wurde Scholz bereits deutlicher. Im Beisein von Putin sagte der Kanzler über das Schicksal der Röhre im Falle einer militärischen Konfrontation: „Wir jedenfalls wissen, was dann zu tun ist. Mein Eindruck ist, dass das auch alle anderen ganz genau wissen.“ Die Warnung war unmissverständlich. Mehrere Stunden redeten Scholz und Putin an dem Tag miteinander.
Putin brüskiert Scholz
Zeitgleich machte die Ankündigung Russlands, Truppen aus dem Grenzgebiet zur Ukraine abgezogen zu haben, Hoffnung auf eine friedliche Lösung der Krise. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken bejubelte dies bereits als Ergebnis einer „beeindruckenden Krisendiplomatie“ der Ampel-Regierung und des Bundeskanzlers.
Der angebliche Truppenabzug bewahrheitete sich nicht. Heute müssen Scholz und die Koalitionäre in Berlin davon ausgehen, dass Putin sich zu dem Zeitpunkt des Scholz-Besuches längst für die Eskalation und die Stationierung von Truppen in den Separatistengebieten in der Ostukraine entschieden hatte.
Eine Brüskierung für den Kanzler. Scholz war allerdings nicht der einzige ausländische Staatschef, der rückblickend vergeblich nach Moskau gereist ist, um den Machthaber im Kreml von drastischen Schritten abzuhalten. Mit der Entscheidung, die Inbetriebnahme der Pipeline zu stoppen, macht Scholz nun deutlich, auf welcher Seite die Bundesregierung in diesem Konflikt steht.
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