Wer in der lärmigen Hauptstadt die Tür zu Schloss Bellevue durchschreitet, betritt eine andere Welt. Weiche, pastellfarbige Wollteppiche dämpfen jeden Schritt. An den weißverputzen Wänden der Salons ziehen historische und zeitgenössische Gemälde die Blicke auf sich.
Alles auf preußische Art schnörkellos und doch feudal, gemessen an den Zweckbauten einer parlamentarischen Demokratie. Prinz August Ferdinand von Preußen, ein Infanteriegeneral, hat den dreiflügeligen Bau in nur zwei Jahren für sich errichtet. Seit Dienstag ist klar: Das Schloss, Dienstsitz des Bundespräsidenten, bleibt ein Herrenhaus. Frank-Walter Steinmeier kann mit den Stimmen der Grünen eine zweite Amtszeit als Bundespräsident in Angriff nehmen.
„Frank-Walter Steinmeier ist ein sehr guter und hoch angesehener Bundespräsident, der sich in seiner ersten Amtszeit große Verdienste um unser Land erworben hat“, erklärten Robert Habeck und Annalena Baerbock in einer schriftlichen Mitteilung, die auch von den Grünen-Fraktionschefs Katharina Dröge und Britta Haßelmann unterzeichnet ist. Man sei „überzeugt, dass er unserer Gesellschaft auf dem schwierigen Weg aus der Pandemie weiter Halt und Orientierung geben wird“.
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Steinmeier hatte sich selbst beworben
Die Erklärung endet mit dem entscheidenden Satz: „Deshalb unterstützen wir seine Wiederwahl und empfehlen unseren Wahlleuten in der Bundesversammlung, Frank-Walter Steinmeier erneut zum Bundespräsidenten zu wählen.“
Damit ist für den Hausherrn von Bellevue ein Plan aufgegangen, den er seit dem Frühsommer zielstrebig verfolgte. Steinmeier hatte nicht abgewartet, bis das Amt des Bundespräsidenten auf dem Basar feilschender Koalitionäre verramscht wird.
Er hatte sich selbst überraschend beworben und darauf gesetzt, dass es schwer wird, eine überzeugende Persönlichkeit gegen ihn ins Rennen zu schicken. Gegen ihn, den ehemaligen Kanzleramtschef, SPD-Fraktionsvorsitzenden und doppelten Außenminister, der fast alle Staatsoberhäupter und Regierungschefs aus persönlichen Begegnungen kennt.
„Ich weiß, dass ich nicht von vornherein auf eine Mehrheit in der Bundesversammlung bauen kann“, sagte Steinmeier in seiner fünfminütigen Bewerbungsrede Ende Mai. Aber er wolle durch seine frühzeitige Bewerbung für Klarheit sorgen – auch wenn er sich der Wiederwahl nicht sicher sein könne.
Dass es jetzt so kam, ist eine Mischung aus Fortune und kluger Berechnung und beschert den Sozialdemokraten neben dem Bundeskanzler und der Bundestagspräsidentin nun zum zweiten Mal auch das höchste Amt im Staate.
Die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil begrüßten die Erklärung der Grünen. Mit seiner „ausgleichenden und klaren Haltung“ und seiner „menschlichen Zugewandtheit“ leiste Steinmeier einen „unschätzbaren Beitrag für den Zusammenhalt und Respekt im Land“, teilten sie mit.
Die Grünen hätten gerne erstmals eine Frau im Schloss
So groß das offizielle Lob der Grünen für Steinmeier auch ist – in Wahrheit hätten viele in der Partei gerne erstmals eine Frau im Schloss gesehen. Man hätte mit Bundestagsvizepräsidentin Karin Göring-Eckardt auch eine würdige Kandidatin ins Rennen schicken können.
Erst vor kurzem beschrieb der Bewerber für den Grünen-Vorsitz, Omid Nouripur, im Interview mit unserer Redaktion das Dilemma seiner Partei: „Den Grünen als feministischer Partei würde es gut zu Gesicht stehen, eine eigene Kandidatin aufzubieten. Es ist eine Tragödie dieser Wahlen in der Bundesversammlung, dass Frauen immer von den Parteien aufgestellt wurden, die keine Mehrheit hatten“.
Auch die Grünen hätten für eine eigene Kandidatin diese Mehrheit in der Bundesversammlung nicht gefunden. Den politischen Preis für das Zugeständnis an die SPD, Steinmeiers zweite Amtszeit durchzuwinken, werden Robert Habeck und Annalena Baerbock noch an anderer Stelle aufrufen.
Die Parteien der Ampel-Koalition haben jetzt – sollte es nicht zu viele Abweichler geben – ausreichend Stimmen für eine erneute Wahl Steinmeiers schon im ersten Wahlgang: Nach dpa-Recherchen werden SPD, Grüne und FDP zusammen 776 der 1472 Mitglieder in die Bundesversammlung entsenden. Das wären 39 Stimmen mehr als im ersten und zweiten Wahlgang nötig sind. In einem dritten Wahlgang reicht sogar die einfache Mehrheit für die Wiederwahl Steinmeiers zum Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland.
Und wie reagiert die Union auf Steinmeiers Durchmarsch? Bislang hatte der designierte CDU-Chef Friedrich Merz Sympathie für eine eigene Unions-Kandidatin, die Stand jetzt ohne echte Chancen ins Rennen ginge.
Offiziell hörte man dazu nichts aus der Parteispitze. Man hat Beratungsbedarf, was kein Wunder ist. Das Thema Bundespräsident ist in der Union ein Schmerzthema. Die beiden letzten CDU-Präsidenten Köhler und Wulf räumten vorzeitig das Schloss.