Berlin. Man muss sich Datenschützer vorstellen als Menschen, die es gewohnt sind, sich unbeliebt zu machen. Sie sind die Nervensägen, die darauf hinweisen, dass der lustige Foto-Filter, der einen optisch altern lässt, eine ganze Menge mehr Informationen sammelt als nötig wären.
Oder dass die Messenger-App, über die die ganze Klassenstufe kommuniziert, lang nicht so viele Zugriffsrechte bräuchte, wie sie hat. Mit der Datenschutzgrundverordnung der EU gewinnt man bei den meisten Leuten sowieso keine Beliebtheitswettbewerbe.
Häufig werden Datenschützer für ihre Warnungen belächelt, manchmal auch als Fortschrittsverhinderer gegeißelt. Und auch jetzt laufen sie wieder Gefahr, als die Spaßbremsen zu gelten, die wegen abstrakter Sorgen um Datensicherheit die Rückkehr zur Normalität blockieren wollen.
Corona-App – in der öffentlichen Wahrnehmung eine Wunderwaffe
Denn obwohl Politiker und Wissenschaftler mahnen, dass eine App zur Kontaktverfolgung nicht gleich das Ende aller Einschränkungen bedeutet: In der öffentlichen Wahrnehmung ist die App längst zu einer Wunderwaffe geworden.
Ihr Versprechen ist ein Leben, in dem die Welt vor der Wohnungstür endlich wieder offen ist, nicht mehr nur ein potenziell bedrohlicher Raum, in dem man sich selbst oder anderen nur Schaden zufügen kann. Die Sehnsucht danach ist groß.
Forscher haben sich vom Projekt zurückgezogen – und schlagen Alarm
Und wenn dafür Daten zentral gespeichert werden, Nutzer individuell identifizierbar sind – ist das so schlimm? Haben die meisten Menschen nicht ohnehin jede Menge Produkte auf dem Telefon, die weit mehr Daten abgreifen, als das diese Corona-App wahrscheinlich tun würde?
Ja, haben viele, und nein, das ist kein Grund, sich hier entspannt zurückzulehnen. Zum einen sind es nicht nur die berufsmäßigen Datenschützer, die angesichts des aktuellen Stands bei der App-Entwicklung Bedenken anmelden.
Alarm geschlagen haben zuerst (rund 300) beteiligte Wissenschaftler, die das Projekt auf einem gefährlichen Weg sehen und sich deshalb zurückgezogen haben. Zum anderen bleibt jedem selbst überlassen, ob er sich Whatsapp oder irgendein anderes Programm runterlädt, das fleißig Daten übermittelt.
Nur wenn viele Menschen die App laden, kann sie wirken
Zugriffsmöglichkeiten, die der Staat sich einmal erworben hat, gibt er nur sehr selten wieder ab, das zeigt die Erfahrung. Auch wenn die Krise des Tages irgendwann nicht mehr Corona heißt, würden Behörden, insbesondere Sicherheitsbehörden, bestimmt Verwendung finden für detaillierte Informationen über persönliche Kontakte. Dann darauf zu pochen, dass das so nicht gedacht war und auf Einsehen zu hoffen, ist bestenfalls optimistisch. Hier wachsam zu sein, ist deshalb keine Erbsenzählerei.
Gerade weil die Corona-App freiwillig sein soll und muss, kann sich der Staat nicht einmal den Verdacht erlauben, dass es Anlass zu Misstrauen gibt. Wenn die App bei der Nachverfolgung der Infektionsketten wirklich helfen soll, müssen möglichst viele Menschen sie herunterladen. Das wird aber nicht passieren, wenn der Gedanke im Raum steht, die Bundesregierung könnte den Krisenmoment nutzen, um durch die Hintertür Informationen abzugreifen.
Noch steht die Bevölkerung mehrheitlich hinter der Regierung
Bis jetzt weiß die Bundesregierung die übergroße Mehrheit der Bevölkerung hinter sich im Kampf gegen das Virus. Auch wenn die Einschränkungen für viele schmerzhaft und für manche existenzbedrohend sind, ist das Einsehen in die Notwendigkeit groß.
Der Eindruck, dass ausgerechnet beim Zugriff auf Handydaten die Situation für andere Interessen ausgenutzt wird, würde dieses Vertrauen empfindlich beschädigen. Nicht nur die Nützlichkeit der App würde da in Mitleidenschaft gezogen, sondern auch der Glaube an den Sinn aller anderen Maßnahmen. Die Bundesregierung sollte den Nervensägen deshalb dankbar sein und auf sie hören.
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