Der Tarifkonflikt bei der Bahn trifft genervte Kunden und ein geschwächtes Unternehmen, findet Thomas Fülling.

„Nicht auch das noch!“ Das werden sich jetzt viele Bahnreisende und Nahverkehrskunden gerade auch in Berlin und Brandenburg denken. Nachdem es bereits in den vergangenen Monaten im Bahnverkehr immer wieder zu Ausfällen, Verspätungen und endlosen Bau-Umleitungen gekommen ist, soll nun auch noch gestreikt werden.

Aufgerufen hat dazu die Eisenbahn- und Verkehrsgesellschaft (EVG), die größte Einzelgewerkschaft innerhalb des Bahnkonzerns. Erklärtes Ziel ist, den Druck auf die Arbeitgeber in den seit Monaten laufenden Tarifverhandlungen zu erhöhen. Das aktuelle Angebot von einem Lohnplus von rund sieben Prozent für die nächsten zweieinhalb Jahre reicht den Gewerkschaftern nicht aus.

So verständlich der Wunsch nach besserer Bezahlung und mehr Freizeit ist: Die aktuelle Eskalation der Tarifverhandlungen trifft die Falschen. Es trifft vor allem Hunderttausende Bahnkunden, die in den vergangenen Monaten ohnehin viel Leid ertragen mussten. Hinzu kommt nun die Verunsicherung der vielen Gelegenheitsfahrer, die in der Vorweihnachtszeit oder zum Fest selbst oft mit Kindern und viel Gepäck zu ihren Familien unterwegs sein wollen. Angesichts der unklaren Lage werden sich wohl viele von ihnen jetzt für das Auto und gegen den Zug entscheiden. Solch ein Umdenken ist nicht nur schlecht für die Umwelt, sondern auch für das Unternehmen Bahn.

Dem geht es wirtschaftlich ohnehin nicht besonders, wie wir spätestens seit dem Brandbrief von Bahnchef Richard Lutz an die Bahn-Eigentümer vom Bund wissen. Allzu großzügige Lohnzusagen dürften die finanzielle Lage und damit auch den Spielraum für dringend notwendige Investitionen noch einmal verschärfen.

Das scheint der EVG allerdings egal zu sein. Sie sieht sich am längeren Stellhebel. Nicht nur, weil die Bahn zumindest im Fernverkehr auf der Schiene faktisch Monopolist ist. Bahnbeschäftigte verfügen schon heute tarifvertraglich gesehen über einen Status wie im öffentlichen Dienst. Kündigungen sind faktisch nur im Ausnahmefall möglich. Doch eine solche Situation ist gerade auch für Gewerkschaften nicht ungefährlich. Es droht ihnen ein Mitgliederschwund, weil sich angesichts komfortabler und sicherer Arbeitsverhältnisse so mancher Beschäftigte fragt, welchen Mehrwert er von einer Gewerkschaftsmitgliedschaft hat. Und da ist auch noch die Konkurrenz durch die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und von unabhängigen Listen, die der EVG in vergangenen Jahren immer mehr einflussreiche Betriebsratsposten abgejagt hat. „Ich glaube, die EVG will auch mal zeigen, dass sie streiken kann“, kommentierte süffisant GDL-Chef Claus Weselsky, wahrlich nicht für Zurückhaltung in Tarifauseinandersetzungen bekannt, die jetzt angekündigten EVG-Warnstreiks. Und wies nicht zu Unrecht darauf hin, dass der Ausstand ein Unternehmen treffe, das durch den Sparkurs der vergangenen Jahre ohnehin stark geschwächt sei.

Für Bahnchef Richard Lutz kommt die aktuelle Eskalation im Tarifstreit daher völlig ungelegen. Hat doch der Bahnkonzern schon jetzt so viele Pro­bleme wie lange nicht. Die Pünktlichkeitsziele werden trotz aller Gegen-Programme klar verfehlt, durch die vielen Baustellen in der jahrelang vernachlässigten Infrastruktur kommen neue Störungen hinzu, Und dann leidet das Unternehmen – wie andere Branchen mit Schicht- und Sonntagsarbeit auch – unter einem akuten Mangel an Fachkräften. Genau aus diesem Grund und im Interesse der Kunden sollte die Bahnspitze jetzt alles daran setzen, die Verhandlungen wieder auf das richtige Gleis zu bringen.

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