Migration

Auf Merkel warten nach Erfolg in Spanien Probleme in Berlin

| Lesedauer: 8 Minuten
Tim Braune und Ralph Schulze
Merkel begrüßt Flüchtlings-Abmachung mit Spanien

Merkel begrüßt Flüchtlings-Abmachung mit Spanien

Die Bundeskanzlerin lobte das Abkommen bei einem Presseauftritt mit dem spanischen Ministerpräsidenten Sanchez. Seit Samstag können an der deutsch-österreichischen Grenze überprüfte Flüchtlinge binnen 48 Stunden nach Spanien zurückgebracht werden,...

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Merkel besucht Spanien und kritisiert dort eine ungerechte Verteilung von Flüchtlingen. In Berlin warten noch andere Probleme auf sie.

Sanlúcar de Barrameda.  So entspannt hat man Angela Merkel lange nicht mehr gesehen. Bei ihrem Besuch in Südspanien auf Einladung des spanischen Ministerpräsidenten, Pedro Sánchez, unternahm sie lange Spaziergänge durch die Sanddünen und die Kiefernwälder des traumhaften Doñana-Nationalparks.

Die warme Mittelmeerbrise zerzauste einer lächelnden Kanzlerin das Haar, die durch einen Feldstecher in die Ferne schaute. Was für ein Kontrast zu jenen Bildern Ende Juni, als Merkel im Asylstreit mit der CSU um den Fortbestand der Regierung und ihrer Kanzlerschaft kämpfen musste wie noch nie.

In Spanien eng an ihrer Seite: Gatte Joachim Sauer, in kurzen Hosen, mit weißem Sonnenkäppi und einem Fläsch­chen Mückenspray bewaffnet. Der scheue, emeritierte Professor für Quantenchemie, der Merkel nur selten begleitet, war zuletzt ohne seine Frau durch die Südtiroler Bergwelt gestiefelt. Merkel kümmerte sich derweil auch um ihre hochbetagte Mutter in der Uckermark.

Merkel steigt Montag wieder in den Regierungsalltag ein

Nun kam der mächtigsten Frau der Welt nach zweieinhalb Wochen Auszeit die persönliche Einladung auf Sánchez’ Sommerresidenz gerade recht, um ihre Haltung in der Flüchtlings- und Migrationspolitik zu untermauern, dass nationale Alleingänge nicht das Mittel der Wahl seien. Am Montag wird Merkel dann in Berlin wieder in den Regierungsalltag einsteigen und im Kanzleramt den bosnischen Ministerpräsidenten, Denis Zvizdic, empfangen.

Für die konservative Merkel und den Sozialisten Sánchez, der erst seit Kurzem in einer Minderheitsregierung das Land führt, war es ein Wochenende der Harmonie. Spanische Beobachter sprachen von 20 Prozent Arbeit und 80 Prozent Entspannung, eine Work-Life-Balance, von der Merkel an der Spree nur träumen kann. In Südspanien wurde auch gearbeitet, so ist es nicht. Merkel und Sánchez zimmerten eine neue Nord-Süd-Achse in der Migrationspolitik, deren Belastungsprobe allerdings noch aussteht.

Menschenrechtler in Marokko schlagen Alarm

Sie wollen die südeuropäische Seegrenze besser absichern, vor allem Marokko bei der Grenzsicherung mit viel Geld unterstützen. Aus dem Reich von König Mohammed VI. meldeten Menschenrechtler, Hunderte Migranten aus den Küstenregionen seien mit Bussen und teils gewaltsam ins Landesinnere verfrachtet, Zeltlager zerstört worden.

Während Merkel und Sánchez ihre Allianz besiegelten, spielten sich auch im nahen Mittelmeer Dramen ab. Der spanische Seenotrettungsdienst fischte wieder Hunderte Flüchtlinge und Migranten aus dem Wasser, seit Jahresanfang gelangten nach UN-Angaben knapp 24.000 Flüchtlinge aus Nordafrika an die südspanische Küste, die durch die Blockade Italiens zum Hotspot geworden ist.

In Spanien räumte Merkel ein, dass die europäische Flüchtlingspolitik unverändert nicht funktioniert. Das Dublin-Verfahren sei „nicht funktionsfähig“, eine gerechte Verteilung in der EU gebe es nicht. So kann die ungelöste Mammutfrage Asyl für Merkel, die 2015 als „Flüchtlingskanzlerin“ die Grenzen offen ließ, innenpolitisch jederzeit wieder riskant werden. Eine Übersicht, was auf die Kanzlerin in den nächsten Monaten zukommt:

Befriedet das Spanien-Abkommen den Asylstreit mit der CSU?

Als kleines Willkommensgeschenk für Merkel hatte Sánchez vor dem Treffen den Weg für ein Rücknahme-Abkommen frei gemacht. Seit Sonnabend können an der deutsch-österreichischen Grenze überprüfte volljährige Flüchtlinge binnen 48 Stunden nach Spanien gebracht werden, wenn sie dort bereits einen Asylantrag gestellt haben. Nur: Das von CSU-Chef Horst Seehofer geführte Bundesinnenministerium hatte am Freitag mitgeteilt, dass seit Mitte Juni bei der Einreise nach Deutschland acht (!) Personen auffielen, die in Spanien einen Asylantrag gestellt hatten.

Davon sei aber keine einzige über die deutsch-österreichische Grenze gekommen (was bei einem Blick auf die Europakarte nicht verwundert). Und nur für diese Grenze gilt die Vereinbarung mit Madrid. Nicht erfasst davon werden außerdem jene Flüchtlinge, die in Spanien zwar mit einem Fingerabdruck registriert werden, aber nicht um Asyl gebeten haben – sie können nahezu ungehindert versuchen, über Frankreich auch nach Deutschland zu kommen. Ungeachtet dessen schätzt Merkel die Bedeutung des von Seehofer ausgehandelten Abkommens als „sehr, sehr hoch“ ein. „Der Wert des Abkommens besteht darin, dass Deutschland und Spanien auf europäische Lösungen setzen“, sagte sie.

Auf solche zwischenstaatlichen Abkommen mit Transitverfahren innerhalb 48 Stunden zur Rückführung bestimmter Flüchtlinge hatten sich CDU, CSU und SPD vor sechs Wochen geeinigt, um einen Koalitionsbruch abzuwenden. Auch die CSU, die pauschale Zurückweisungen an der Grenze nicht durchsetzen konnte, lobt das Abkommen als Erfolg. Seehofers Innenstaatssekretär Stephan Mayer (CSU) betonte, dass die angestrebten (und wirklich wichtigen) Abkommen mit Griechenland und Italien auf gutem Weg seien. „Vor allem das Abkommen mit Griechenland ist schon sehr weit gediehen.“

Merkels Sommer-Pressekonferenz: Über Rücktrittsgedanken, Asylstreit und Urlaubspläne
Merkels Sommer-Pressekonferenz: Über Rücktrittsgedanken, Asylstreit und Urlaubspläne

Um welche Baustellen in der Welt muss sich Merkel noch kümmern?

Vor allem um die Türkei und US-Präsident Donald Trump. Neue amerikanische Sanktionen gegen den Nato-Verbündeten am Bosporus beschleunigen den wirtschaftlichen Absturz der Türkei, die türkische Lira ist im freien Fall. Das schwächt den autoritären Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, macht ihn aber womöglich noch unberechenbarer. In Konflikten wie Iran und Syrien wird er als Gesprächspartner gebraucht.

Nachdem Merkel am 7. September voraussichtlich in Istanbul an einem Vierer-Gipfel mit Russland, Frankreich und der Türkei zum Bürgerkrieg in Syrien teilnimmt, kommt Erdogan am 28./29. September zum heiklen Staatsbesuch nach Berlin. Die Opposition kritisiert, Merkel hofiere einen Präsidenten, der viele Deutsch-Türken ins Gefängnis geworfen habe. Trump als Dauerbeschäftigung ist Merkel gewohnt. Gemeinsam mit der EU-Kommission muss sie den Handelskonflikt entschärfen.

Kann Merkel die GroKo nach dem Fehlstart zu einem Erfolg führen?

Der Asylstreit der Unionsparteien verdeckte vorzeigbare Ergebnisse von CDU, CSU und SPD in der Sachpolitik. Viele Milliarden werden für bessere Schulen, kostenfreie Kitas, schnelles Internet, bezahlbare Wohnungen ausgegeben. Umfragen belegen, dass die Migration für die Deutschen nicht das wichtigste Thema ist.

Merkel muss versuchen, dass die Koalition sich als teamorientierte Problemlöser präsentiert. Gelegenheit hat sie in dieser Woche bei Auftritten in Jena und Dresden. Einfach wird es nicht. Der Druck auf die SPD – die von Grünen und AfD in die Zange genommen wird und auf 17 Prozent abgerutscht ist – wird zunehmen, sich stärker gegen die Kanzlerin und die Union zu profilieren.

Was steht für die CDU-Chefin bei den Landtagswahlen auf dem Spiel?

Mit Genugtuung dürfte sie während ihres Urlaubs registriert haben, dass die CSU nach dem unpopulären Asylstreit leisere Töne anschlägt. Der bayerische Ministerpräsident, Markus Söder, ist nicht mehr als rhetorischer Scharfmacher („Asyltourismus“) unterwegs, sondern tritt als spenda­bler Landesvater auf. Die absolute Mehrheit bei der Wahl am 14. Oktober ist akut in Gefahr.

Bei einem Absturz unter 40 Prozent könnte Söder Geschichte sein, ebenso Seehofer, der unverändert Parteichef ist. Der Zorn der CSU könnte sich dann aber auch gegen Merkel richten. Besser sieht es für die Kanzlerin in Hessen aus. Der routinierte CDU-Ministerpräsident, Volker Bouffier, muss zwar um die Fortsetzung von Schwarz-Grün zittern. Die SPD hält er bislang sicher auf Distanz, eine GroKo in Wiesbaden wäre nach der Wahl am 28. Oktober denkbar.

Wann wird Merkel über ihre Nachfolge entscheiden?

Daniel Günther, der junge Ministerpräsident von Schleswig-Holstein und ein CDU-Hoffnungsträger, sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ mit Blick auf eine Zeit nach der Kanzlerin, die seit 18 Jahren die CDU und seit 13 Jahren die Bundesregierung führt, er glaube, „Angela Merkel bereitet alles vor, damit die CDU auch nach ihr eine erfolgreiche Zukunft hat“. Weiß Günther mehr? Merkel, 64 Jahre alt, hat wiederholt deutlich gemacht, dass sie für volle vier Jahre angetreten sei. Auf dem Parteitag im Dezember dieses Jahres in Hamburg will sie wieder für den Vorsitz kandidieren.