Kabul/Berlin. Es ist nicht bekannt, ob Jamal M. noch gehört hat, was Horst Seehofer über seine Abschiebung und die von 68 weiteren Menschen gesagt hat. Der 23-Jährige aus der nordafghanischen Provinz Balch ist tot. Laut afghanischen Behörden wurde er am Dienstag in einer Unterkunft der Internationalen Organisation für Migration (IOM) aufgefunden. Offenbar hat er sich erhängt.
Bundesinnenminister Seehofer (CSU) hatte am Dienstag bei der Vorstellung seiner Pläne für eine neue Asylpolitik noch von dem Flug berichtet, mit dem auch der 23-Jährige abgeschoben worden war: „Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 – das war von mir nicht so bestellt – Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden“, so Seehofer, offenbar erfreut über das Zusammentreffen dieser Ereignisse. „Das liegt weit über dem, was bisher üblich war.“
Der lockere Tonfall der Äußerung irritierte zahlreiche Menschen. Nachdem die Nachricht vom Tod des 23-Jährigen am Mittwoch Deutschland erreicht hatte, verschärfte sich die Kritik noch einmal deutlich. Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt erklärte, „Abschiebungen eignen sich nicht für Scherze“. Bei Seehofer seien Entscheidungen über Menschenleben „in schlechten Händen“. Juso-Chef Kevin Kühnert sagte, der Innenminister sei ein „erbärmlicher Zyniker und dem Amt charakterlich nicht gewachsen“. Sein Rücktritt sei überfällig. Auch die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, sowie Fraktionsvize Jan Korte forderten Seehofers Rücktritt.
Seehofer äußert Bedauern, aber nicht über seinen Tonfall
Der Innenminister selbst äußerte sich am Mittwoch betroffen über den Tod des Afghanen: „Das ist zutiefst bedauerlich, und wir sollten damit auch sachlich und rücksichtsvoll umgehen“. Der Flüchtling sei dem Innenministerium von der Stadt Hamburg für die Abschiebung gemeldet worden. „Die Bundesländer führen uns diese Personen zu, und wir unterstützen die Bundesländer bei diesen Abschiebungen.“ Man müsse die Hamburger Behörden fragen, „warum sie diese Person vorgeschlagen haben“.
Seinen Tonfall bei dem Termin am Dienstag bedauerte Seehofer am Mittwochabend gleichwohl nicht: „Das wusste ich gestern nicht. Das ist heute in der Früh bekannt geworden“, sagte er über den Selbstmord des Asylbewerbers.
Abschiebungen nach Afghanistan stehen wegen der schlechten Sicherheitslage im Land seit längerer Zeit in der Kritik. Bernd Mesovic, Sprecher von Pro Asyl, sagte, der jüngste Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu Afghanistan werde von Seehofer „absurd interpretiert“, nämlich als Grundlage dafür, nicht nur Straftäter, Gefährder und „Mitwirkungsverweigerer“, sondern alle Menschen aus Afghanistan abzuschieben. „Bayern hat zielgerichtet junge Leute auf den Flieger gesetzt. Bayern sät Unsicherheit bei allen Afghanen, die nur eine Duldung haben. Panik verbreitet sich unter ihnen“, so Mesovic. Seines Wissens hätten in dem Flieger, der Jamal M. zurückbrachte, auch mehrere Menschen mit psychischen Problemen gesessen, so Mesovic. Dem Bayerischen Flüchtlingsrat zufolge standen beim jüngsten Flug auch Auszubildende, Berufsschüler und ein Mann in einem festen Arbeitsverhältnis auf der Abschiebeliste.
Von den 51 aus Bayern stammenden, abgelehnten Asylbewerbern an Bord des Fliegers waren laut Mesovic nur fünf Straftäter. Auch Jamal M war bereits straffällig geworden. Er war unter anderem wegen Diebstahl und versuchter gefährlicher Körperverletzung rechtskräftig verurteilt.