Studie

Plastikmüll sorgt die Deutschen – doch dabei bleibt es oft

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Theresa Martus
Plastikmüll-Sünder: So schlecht schneidet Deutschland im EU-Vergleich ab

Plastikmüll-Sünder: So schlecht schneidet Deutschland im EU-Vergleich ab

Plastikmüll

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Eine Studie hat das Umweltbewusstsein der Deutschen untersucht: Viele erkennen Probleme, sehen diese aber nicht vor eigener Haustür.

Berlin.  Sie verhungern bei vollem Magen: Immer wieder werden Meeressäuger wie Delfine und Wale tot angeschwemmt, ihre Fettschicht aufgezehrt, die Organe verstopft mit Plastiktüten und anderem Kunststoff, den sie für Futter hielten. Sie sind Opfer der gigantischen Welle von Plastikmüll, die durch die Weltmeere schwappt. Strohhalme, Trinkflaschen, gebrauchte Windeln, medizinischer Abfall: Das alles landet in den Mägen von Vögeln, Fischen und anderen Tieren.

Die Auswirkungen haben ihren Weg ins Bewusstsein vieler Menschen gefunden: 96 Prozent der Deutschen halten Plastikmüll im Meer für ein Problem. Das geht aus der Naturbewusstseinsstudie 2017 hervor, die Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) und Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz (BfN), am Freitag in Berlin vorstellten. Die Untersuchung, die im Zwei-Jahres-Rhythmus erscheint, beleuchtet die Einstellungen der Deutschen zum Umweltschutz.

Nur ein kleiner Teil des Plastikmülls stamme aus Deutschland

Die dramatischen Bilder qualvoll verendeter Tiere und kilometerbreiter Plastikstrudel seien zum „Symbolbild für den schlechten Zustand unserer Meere“ geworden, sagte Schulze. Doch nicht nur Kunststoff bereitet den Menschen im Hinblick auf das Meer Sorgen. Ebenfalls 96 Prozent sehen in der Verschmutzung des Wassers durch Erdöl ein Problem, neun von zehn betrachten radioaktive Abfälle im Ozean mit Unbehagen.

Entsprechend groß ist die Zustimmung für ein Eingreifen durch die Politik zum Schutz der Meere. 94 Prozent der mehr als 2000 Befragten würden nach eigenen Aussagen die Einrichtung von speziellen Schutzgebieten in der Nord- und Ostsee befürworten, mehr als die Hälfte hält einen solchen Schritt sogar für sehr wichtig. Zwar kommt nur ein sehr kleiner Teil des Plastikmülls in den Ozeanen aus Deutschland. Eine Verantwortung habe die Bundesrepu­blik trotzdem, erklärte Schulze: „Viele Entwicklungsländer orientieren sich daran, wie wir konsumieren.“

Anspruch und Verhalten passen oft nicht zusammen

Also alle sehr motiviert in Sachen Umweltschutz? Ganz so einfach ist es nicht, räumt Ministerin Schulze ein. Sogenannte „erwünschte Antworten“ sind ein Problem bei Befragungen wie dieser – Antworten also, die die Teilnehmer nur geben, weil sie glauben, dass die Durchführenden diese hören wollen.

Eine Lücke zwischen dem Ideal und Wirklichkeit zeigt sich denn auch in der Studie: So gaben 92 Prozent der Teilnehmer an, sie wollten sich beim Einkauf darauf verlassen können, dass im Supermarkt keine Fischprodukte von bedrohten Arten im Regal liegen. Mehr als die Hälfte interessiert sich nach eigenen Angaben außerdem für Herkunft und Fangbedingungen der Fische, die auf dem Teller landen – jedenfalls in der Theorie.

Viele erkennen Siegel für nachhaltigen Fisch nicht

In der Praxis konnte nur ein Viertel der Befragten ein entsprechendes Siegel, das nachhaltig produzierten Fisch zertifizieren soll, richtig einordnen. Weitere 31 Prozent erkannten es zwar wieder, kannten aber seine Bedeutung nicht. „Es gibt eine Diskrepanz zwischen dem, was man äußert, und dem, wie man tatsächlich handelt“, erklärt Schulze.

Dass Umweltschutz im Zweifel für viele doch eher abstrakt ist, zeigt sich auch, wenn man danach fragt, wo denn das Problem am drängendsten sei. Global betrachtet, das sagten vier von fünf Befragten, ist der Umgang mit der Natur äußerst problematisch. Bezogen auf die eigene Region stimmten dieser Aussage nur noch halb so viele Menschen zu.

Hohes Umweltbewusstsein in finanziell gut gestellten Gruppen

Gleichzeitig drückten 82 Prozent der Teilnehmenden aus, dass „wir als Menschheit“ bezogen auf die ganze Erde Natur besser schützen können. Auf der regionalen Ebene hatten dieses Vertrauen nur 67 Prozent. Diese unterschiedlichen Aussagen zeigen, dass die Deutschen zwar ein Problem sehen, aber nicht vor ihrer Haustür.

Wie wichtig der oder die Einzelne umweltschonendes Verhalten findet, korreliert dabei auch mit der eigenen gesellschaftlichen Position. Besonders hoch ist das Umweltbewusstsein in finanziell eher gut gestellten Bevölkerungsgruppen. Da diese Menschen auch mehr konsumieren, verbrauchen sie häufig mehr Ressourcen als sozial Schwächere.

Bereitschaft zum Naturschutz steigt mit dem Alter

Die, so erklärte BfN-Chefin Jessel, zeigen eher unterdurchschnittliches Interesse am Thema. Dabei sind sie überdurchschnittlich häufig die Leidtragenden, wenn Umweltschutz vernachlässigt wird. So können sozial Schwächere beispielsweise Lärm und Luftverschmutzung in der Stadt schlechter durch einen Umzug ausweichen als besser Gestellte. „Ökologische und soziale Gerechtigkeit“, erklärt Jessel, „hängen eng zusammen.“

Super-Enzym könnte Plastikmüll-Problem lösen
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Und auch zwischen den Generationen zeichnen sich Unterschiede ab. So zeigten sich Unter-30-Jährige seltener bereit, sich für den Naturschutz an Verhaltensregeln zu halten, zum Beispiel in Schutzgebieten. Nur 63 Prozent gaben an, sich dem unterzuordnen. Bei den Über-65-Jährigen waren es 80 Prozent. Umgekehrt konnten sich die Jüngeren häufiger vorstellen, selbst für den Naturschutz aktiv zu werden, zum Beispiel in einer lokalen Gruppe.

UN: 2050 mehr Plastik in den Ozeanen als Fische

Ministerin Schulze zog, Widersprüchlichkeiten zum Trotz, ein optimistisches Fazit aus der Untersuchung: „Die Deutschen lieben die Natur“, sagte sie, „und sie sind sehr um sie besorgt.“ Die Studie gebe außerdem Hinweise, wie man jene ansprechen könnte, die sich noch nicht verantwortlich fühlen. Die Zeit, aktiv zu werden, wird knapp: Die Vereinten Nationen warnten kürzlich, dass Schätzungen zufolge schon 2050 mehr Plastik in den Ozeanen treiben könnte, als Fische darin schwimmen.