Parlament

Die Merkel-Befragung macht den Bundestag lebendiger

| Lesedauer: 4 Minuten
Philipp Neumann
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei ihrer Befragung am Mittwoch im Bundestag in Berlin.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei ihrer Befragung am Mittwoch im Bundestag in Berlin.

Foto: Kay Nietfeld / dpa

Demokratie lebt vom intensiven Meinungsstreit. Daher stärkt die neue Befragung der Kanzlerin den Bundestag – und ist dabei spannend.

Berlin.  Das war ein klarer Sieg für Merkel. Sollte die Bundeskanzlerin jemals Angst vor ihrer Befragung im Bundestag am Mittwoch gehabt haben – diese Angst war komplett unbegründet. Keine Frage konnte Merkel wirklich aus der Ruhe bringen, an keiner Stelle war sie um eine Antwort verlegen. Am Schluss machte ihr die Befragung sogar Spaß. Und die Opposition hatte das Nachsehen. Warum also nicht schon früher? Und warum nicht öfter?

Dass der deutsche Regierungschef vom Parlament live vernommen wird, ist neu in der Geschichte der Bundes­republik. Der SPD ist es zu verdanken, dass sich das nun ändert. In ihrer Rolle als Halb-Opposition haben die Genossen im Koalitionsvertrag verankert, dass die Kanzlerin mindestens drei Mal im Jahr persönlich dem Bundestag Rede und Antwort stehen muss. Aber ob die SPD geahnt hat, dass Merkel dabei eine so gute Figur machen wird?

Merkel hat zu allen möglichen Themen Details parat

Die Kanzlerin nutzte die Befragung geschickt und zeigte, was sie am besten kann: Sie hat zu allen möglichen Themen auch die letzten Details parat. Sie kann unangenehmen Fragen geschickt ausweichen und Fragesteller an die Wand reden. Und nicht unwichtig: Sie ist schlagfertig und kann manche Frage durch Humor entschärfen.

Wer sich für Politik interessiert, konnte in der einen Stunde eine ganze Menge lernen – über die verschiedenen Parteien, ihre politischen Schwerpunkte und nicht zuallerletzt darüber, wie man gute Fragen stellt. Auf lange Ko-Referate jedenfalls gibt es keine befriedigenden Antworten. Und die übertrieben konfrontativen Fragen der AfD laufen völlig ins Leere, wenn man wie Merkel so trocken wie nur möglich darauf antwortet.

Man darf auch gespannt sein, welches Mittel die Opposition in Zukunft findet, um sie inhaltlich festzunageln. Ob Leiharbeit, Plastiksteuer oder Zuwanderungsgesetz: Immer wieder verspricht die Kanzlerin, „daran zu arbeiten“. Am Mittwoch ist sie damit prima durchgekommen. In Zukunft müssen AfD, FDP, Grüne und Linke dann zeigen, was sie können, um der Regierungschefin wirklich zuzusetzen.

Die Regeln der Befragung lassen sich noch verbessern

Die konkreten Regeln, nach denen die Kanzlerin befragt wird, lassen sich sicher noch verbessern. Die Frequenz sollte sich insgesamt deutlich erhöhen. Aber dass sich die Regierungschefin überhaupt aus dem Stand und ohne Skript für ihre Politik rechtfertigen muss, ist ein Wert an sich. Gerade Merkel versteht es, sich über längere Zeiträume hinweg der Öffentlichkeit zu entziehen und abzutauchen. Sie gibt wenige Pressekonferenzen, auf denen die Fragemöglichkeiten begrenzt sind. Ihre Interviews enthalten oft keine oder nur gezielt gesetzte Neuigkeiten.

Demokratie aber lebt vom intensiven Meinungsstreit, der idealerweise im Parlament ausgetragen wird. Auch andere Regierungsmitglieder wie Bundesfinanzminister Olaf Scholz lieben es nicht, sich und ihre Politik den Bürgern zu erklären. Eine offener gestaltete Fragestunde kann sie zwar nicht dazu zwingen. Die Abgeordneten aber können den Druck noch erhöhen. Und das Publikum bekommt vielleicht etwas mehr Interesse am Geschehen im Bundestag. Es lohnt sich jedenfalls, dem Parlament zuzuhören.

Allzu groß dürfen die Erwartungen an eine Befragung der Kanzlerin freilich nicht sein. Das Beispiel Großbritannien, wo das Grillen der Premierministerin Tradition hat, zeigt anschaulich, dass auch bei einer vermeintlich spontanen Veranstaltung inzwischen immer weniger dem Zufall überlassen wird. Sie verkommt dann zum Ritual. Im Bundestag ist es so weit noch nicht. Hier beginnt jetzt erst einmal ein neues, spannendes Parlamentskapitel. Die Abgeordneten haben es in der Hand, was daraus wird.