Berlin. Wer einen Parteitag unter dem englischen Motto „Innovation Nation“ abhält, zielt wohl nicht auf den sprichwörtlichen kleinen Mann. Doch dann versucht FDP-Chef Christian Lindner es doch – und landet ein Eigentor. Es verdeutlicht das Dilemma einer Partei, die gleichzeitig AfD-Wähler für sich gewinnen will und auf Abgrenzung zu den Populisten setzt.
Lindner schildert eine Alltagsbeobachtung, die er später einem Bekannten zuschreibt: Da bestellt sich einer beim Bäcker „mit gebrochenem Deutsch ein Brötchen“ – und die Leute in der Schlange wissen nicht, „ob das der hoch qualifizierte Entwickler Künstlicher Intelligenz aus Indien ist oder eigentlich ein sich bei uns illegal aufhaltender, höchstens geduldeter Ausländer“, sagt er in seiner Parteitagsrede am Samstag. Und das könne Angst auslösen.
Lindner löst heftige Rassismus-Diskussion aus
Lindner löst vor allem eines aus: Eine heftige Rassismus-Diskussion in sozialen Netzwerken. In seiner Rede soll das Szenario die Forderung nach einer gut organisierten Einwanderungspolitik untermauern. Die brauche es, damit die Gesellschaft „befriedet“ sei, damit die anderen den Fremden nicht „schief anschauen und Angst vor ihm haben“, sagt Lindner. Dann könnten „alle sicher sein, dass jeder, der sich bei uns aufhält, sich auch legal bei uns aufhält“.
Damit will Lindner zwei Botschaften gleichzeitig senden: Da gibt es eine verständliche Angst vor Fremden. Aber niemand soll sie haben (müssen).
Für Chris Pyak, der auch bei der europäischen liberalen Parteien-Dachorganisation Alde aktiv ist, Grund genug, die Partei zu verlassen. „Ich bin soeben aus der FDP ausgetreten“, verkündet er per Twitter. „Christian Lindner hat in seiner Rede allen Nazis einen Vorwand geliefert, dunkelhäutige Menschen zu drangsalieren.“
Auch weitere Twitter-Nutzer kritisieren Lindners Aussage und bezeichnen sie als rassistisch und rechtspopulistisch.
Lindner versucht Kontroverse einzufangen
Die FDP und die AfD kämpfen zum Teil um die gleichen Wähler, das ist kein Geheimnis. Dabei setzen die Freien Demokraten auf eine Doppelstrategie: Probleme ansprechen, Einwanderung regeln, gleichzeitig eine scharfe Trennlinie zu den Rechtspopulisten ziehen. Eine Gratwanderung, wie sich zeigt.
„Die Flüchtlings- und Einwanderungspolitik spaltet unsere Gesellschaft“, stellt Lindner fest. Mit dem jüngsten Frontalangriff von Modezar Karl Lagerfeld auf die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will er aber nichts zu tun haben. Solche „Hasstiraden“ seien eine große Gefahr. Lagerfeld hatte Merkel für den Aufstieg der AfD verantwortlich gemacht und hinzugefügt: „Man muss sich an die Geschichte erinnern, die man in Deutschland hat. Ich verabscheue Frau Merkel, dass sie das vergessen hat.“
Am Sonntag versucht Linder, die Kontroverse um die „Bäcker“-Passage mit einer Videobotschaft einzufangen: „Wer in meinen Äußerungen Rassismus lesen will oder Rechtspopulismus, der ist doch etwas hysterisch unterwegs. Ich glaube, solche Debatten muss man nüchterner und vernünftiger führen.“ Grundlage seiner Äußerungen sei eine reale Situation, die ein zugewanderter Bekannter ihm geschildert habe, der in seiner Umgebung Ressentiments und Ängste beobachte.
(dpa/jha)