Wie der Einzug der AfD in den Bundestag das Parlament verändert hat
Bundestag
Die schwierige Routine mit den neuen Rechten von der AfD
| Lesedauer: 5 Minuten
Theresa Martus
Schlagfertig gegen die AfD: Darum gingen diese vier Bundestagsreden viral
Schlagfertig gegen die AfD: Darum gingen diese vier Bundestagsreden viral
AfD: Seitdem die rechtsextreme Partei im Bundestag sitzt, sind die Debatten kontroverser und der Ton rauer geworden. Politik-Redakteurin Theresa Martus analysiert vier Reden, bei denen die Politiker anderer Parteien der AfD so leidenschaftlich Kontra gaben, dass die Reden prompt viral gingen.
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Nach der Bundestagswahl zog die AfD vor sechs Monaten ins Parlament ein. Seither hat sich nicht nur der Ton im Bundestag verändert.
Berlin.
Man werde die Bundesregierung „jagen“, hatte Alexander Gauland angekündigt, begleitet vom Jubel seiner Anhänger. Noch am Wahlabend hatte der Partei- und Fraktionschef der AfD damit den Ton gesetzt, den die neueste Bundestagspartei seitdem anschlägt. An diesem Dienstag ist es sechs Monate her, seit der 19. Bundestag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammengekommen ist.
Es herrscht Klimawandel im Parlament: Der Ton der Debatte sei seit dem Einzug der AfD „vergiftet“, sagt Marco Buschmann, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP, dieser Redaktion, auch sein Kollege Jan Korte von der Linken sieht eine „substanzielle“ Veränderung.
In den Reden fallen Nazi-Vokabeln
Gemeint sind damit Anfragen, wie es sie in der vergangen Wahlperiode nicht gab – wie jene der AfD-Parlamentarierin Nicole Höchst, die einen Zusammenhang zwischen Inzest, Migration und Behinderungen herstellt. Oder Reden wie die von Gottfried Curio, in denen Nazi-Vokabeln wie „entartet“ fallen.
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Auch wenn die Tabubrüche gezielt geschähen, sagt Korte, dürfe man sich mit Vokabular wie diesem nicht einfach abfinden. „Das ist nicht normal, das wird es auch nicht, vor allem vor dem Hintergrund unserer Geschichte“, erklärt der Linke-Politiker.
„Die Tabuverletzungen, die Emotionalisierung, die Polarisierung – die AfD hat auf jeden Fall eine neue Dynamik in den Bundestag gebracht“, sagt Wolfgang Schroeder von der Universität Kassel und dem Wissenschaftszentrum Berlin, der sich mit der parlamentarischen Arbeit der Partei beschäftigt.
„Das ist auf jeden Fall eine Re-Politisierung des Parlaments. Die Kontroversen werden mehr, Standpunkte müssen klarer bestimmt werden“, erklärt Schroeder. „Die anderen Parteien haben sich dieser Auseinandersetzung gestellt und das nicht schlecht gemacht.“
Die etablierten Parteien haben ihre Strategie verändert
Die große Verunsicherung vom Herbst ist einer fragilen Routine im Umgang mit den Neuen gewichen. „Wir haben gelernt, nicht mehr über jedes Stöckchen zu springen“, erklärt Linke-Politiker Korte. Wurden Zwischenfragen aus der Fraktion am rechten Rand am Anfang noch häufig zugelassen, wiegeln viele Redner anderer Fraktionen mittlerweile ab.
Auch Buschmann sieht Lerneffekte bei den anderen Fraktionen: „Die erste, intuitive Reaktion auf vieles, was die AfD macht – Wut, Empörung –, ist vermutlich nicht die beste Antwort.“ Das sehe man zum Beispiel an der Debatte über Texte des Journalisten Deniz Yücel. Die AfD hatte die Bundesregierung aufgefordert, sich von älteren Texten Yücels zu distanzieren, Parlamentarier anderer Fraktionen reagierten entsetzt.
Eine Wutrede des Grünen Cem Özdemir verbreitete sich schnell in den sozialen Netzwerken. „Da wurden sehr viele emotionale Reden gehalten, die auch weite Verbreitung gefunden haben“, sagt Buschmann. Doch selbst das helfe der AfD, weil immer auch über den Anlass der Empörung gesprochen würde. „Am Ende dieser Woche müssen die Menschen den Eindruck gehabt haben, es sei nur um die AfD gegangen.“ So entstehe ein verzerrter Eindruck vom Einfluss der Partei.
Der tatsächliche Einfluss der AfD hält sich in Grenzen
Orientiert man sich an den Zahlen, ist dieser Einfluss so groß nicht. Die AfD ist zwar die größte, aber nicht aktivste Oppositionspartei. Aktuell ist das die Linke, die mit Abstand am meisten kleine Anfragen und Anträge ins Parlament eingebracht hat. So standen Mitte April den 168 Anfragen der AfD 285 der Linken gegenüber. Es folgen die Grünen mit 135 und die FDP mit 54 Anfragen. Das Bild bei Anträgen ist ein ähnliches.
Dazu kommt, dass nicht alle Anfragen den Standards des Parlaments genügen. Auch in der AfD drücken einige hinter vorgehaltener Hand Frust aus über Schlampereien der Kollegen. Die Parlamentarierin Verena Hartmann, die als Unterzeichnerin auf der Anfrage zu Inzest stand, distanzierte sich öffentlich. Fraktionskollegin Nicole Höchst erklärte, Hartmanns Name sei irrtümlich auf das Papier gelangt.
„Die AfD beherrscht ihr Handwerk nicht“, sagt Buschmann. Die Fraktion kenne die Geschäftsordnung nicht, versäume ständig Fristen. Wird Bernd Baumann, parlamentarischer Geschäftsführer der AfD, darauf in der Debatte hingewiesen, reagiert er häufig verschnupft. „Sie schmeißen mit politischen Handgranaten um sich“, erklärt dazu Linke-Politiker Korte. „Aber wenn etwas zurückkommt, sind sie die größten Mimosen.“
Zu viel Einigkeit soll es unter den gemäßigten Parteien nicht geben
FDP-Politiker Buschmann warnt jedoch vor zu viel Einigkeit unter den Nicht-AfD-Fraktionen. „Da ist jetzt eine extremistische Partei im Bundestag, die bestimmte Grundkonsense infrage stellt. Für die anderen Parteien ist es da natürlich leicht, eine gemeinsame Linie zu finden“, sagt er. Doch die Unterschiede zwischen den Parteien müssten trotzdem erkennbar bleiben. „Den Kampfbegriff der ‚Altparteien‘, die alle gleich seien, dürfen wir nicht bestätigen.“