Berlin

Schlechte Stimmung kurz nach dem Start der großen Koalition

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SPD-Fraktionschefin Nahles kritisiert Unions-Minister. Kanzlerin Merkel bekommt Gegenwind von Konservativen aus den eigenen Reihen

Berlin.  Nur wenige Wochen nach dem Start der Neuauflage der großen Koalition herrscht zwischen den Regierungspartnern schlechte Stimmung. SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles hat scharfe Kritik an den Unionsministern Jens Spahn und Horst Seehofer geübt. „Bevor der Gesundheitsminister Spahn in oberschlauen Interviews die innenpolitischen Zustände in Deutschland schlechtredet – das Innenressort besetzt übrigens seit 13 Jahren die Union –, sollte er sich um seinen eigentlichen Job kümmern“, sagte Nahles dem RND-Zeitungsverbund.

Die designierte SPD-Parteivorsitzende zeigte sich insgesamt unzufrieden mit dem Start der großen Koalition aus CDU, CSU und SPD. Das Kabinett gleiche derzeit noch einer „Ansammlung von Sprechern in eigener Sache“. „Es geht Kollegen wie Herrn Spahn oder Herrn Seehofer viel zu sehr um Eigenprofilierung. So kann es nicht weitergehen“, kritisierte Nahles. Hintergrund sind mehrere Interviews von Gesundheitsminister Spahn zu Themen etwa der inneren Sicherheit oder der Sozialpolitik und von Seehofer zum Islam.

„Mitarbeiter, die große Reden schwingen, aber ihre Arbeit nicht erledigen, nerven die Kollegen und bekommen im wahren Leben Ärger mit dem Chef“, mahnte Nahles und forderte ein Machtwort von Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel. „Vornehmste Aufgabe der Kanzlerin ist es nun, das Regierungsgeschäft ans Laufen zu bekommen.“ Mit Blick auf die Kabinettsklausur am kommenden Dienstag und Mittwoch sagte Nahles, sie erwarte einen klaren Fahrplan für die nächsten zwölf Monate.

Gegenwind bekommt die Kanzlerin allerdings auch aus den eigenen Reihen. Unionsinterne Kritiker dringen auf ein konservativeres Profil von CDU und CSU. Auf einem Treffen im nordbadischen Schwetzingen beschlossen sie am Sonnabend ein „konservatives Manifest“, das im Kern eine Abkehr des Kurses der Union Richtung Mitte verlangt. Das Manifest richtet sich auch scharf gegen Merkels Flüchtlingspolitik von 2015. In dem Papier fordern die rund 100 Teilnehmer des Treffens unter anderem ein schnelles und konsequentes Abschieben illegaler Einwanderer und ein Ende der doppelten Staatsbürgerschaft. „Ehe und Familie sind für uns die wichtigsten Grundlagen unserer Gesellschaft. Dabei sehen wir das Leitbild ’Vater, Mutter, Kinder’ als elementaren Grundpfeiler an“, heißt es weiter in dem Manifest. Umstritten war die Forderung nach Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht. Am Ende einigten sich die Teilnehmer auf eine Prüfung. Politischer Extremismus müsse kompromisslos bekämpft und geahndet werden. Insbesondere islamischer Extremismus und Scharia seien mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar und gehörten daher nicht zu Deutschland. „Opferschutz steht für uns ausnahmslos vor Täterschutz“, heißt es weiter in dem Papier. Ein EU-Beitritt der Türkei wird abgelehnt.

Der Vorsitzende der vor einem Jahr gegründeten Gruppierung, Alexander Mitsch aus Heidelberg, sieht das Papier als Rückkehr zum „Markenkern“ der Union. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der als Konservativer in der CDU gilt, schickte ein Grußwort an das Treffen in Nordbaden. Die Union brauche Kreise wie die Werte-Union und die Besinnung auf einen klugen, liberalen Konservatismus, betont Spahn in dem Schreiben, das mit Beifall aufgenommen wurde. „Wenn wir reden und handeln in einer Haltung, die breite, sich bürgerlich fühlende Schichten zuletzt oft schmerzlich vermisst haben, dann können wir die AfD überflüssig machen.“

Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) deutete die Kritik der Werte-Union als Hinweis, dass sich die innerparteiliche Opposition gegen Merkel inzwischen „überall formiert“. „Die CDU hat Konservativen zu lange keine Heimat mehr geboten, das wollen viele nicht mehr hinnehmen und drängen die Partei nach rechts. Das Regieren wird dadurch nicht einfacher“, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.

FDP-Chef Christian Lindner warf der Koalition vor, sich zu sehr mit ihren eigenen Problemen und zu wenig mit Regierungsarbeit zu befassen. Sie müssten sich aber mit den Fragen des Landes beschäftigen und mit dem, was den Alltag der breiten Mitte in Deutschland besser mache, sagte Lindner.