Tim Braune
Olaf Scholz kann auch lustig sein. Ende Januar lud der Hamburger Bürgermeister zu einem Kellerkonzert ein. „Hamburg Rockt“ heißt das Format, das in unregelmäßigen Abständen in der Berliner Landesvertretung der Hanseaten stattfindet. Bei Astra-Bier und Schnittchen drehte die Hamburger Kultband „Die Sterne“ auf. Scholz, leger im grauen Wollpulli, lachte und klönte mit Frontsänger Frank Spilker. So gelöst und charmant erlebt eine breite Öffentlichkeit Scholz fast nie.
Noch immer hängt dem 59-Jährigen, der bis zum Parteitag im April kommissarisch die SPD führt und kommende Woche zum Vizekanzler und Bundesfinanzminister aufsteigen wird, hartnäckig das Image des „Scholzomaten“ an. In seiner Zeit als SPD-Generalsekretär unter Gerhard Schröder verteidigte er etwa die Hartz-Reformen mit roboterhaften Sätzen. Am Sonntag, bei der Bekanntgabe der 66-Prozent-Zustimmung der SPD-Mitglieder zur großen Koalition, versteckte Scholz hinter einer kühlen Maske der Professionalität wieder einmal jede Emotion. Die Parteiführung will das unterlegene No-GroKo-Lager in der SPD nicht unnötig provozieren. Sonst lässt er Parteifreunde gerne seine Überlegenheit spüren. Scholz gilt als Aktenfresser, Empathie fehlt ihm. „Er ist sowohl einer unserer klügsten als auch einer unserer arrogantesten Köpfe“, sagt ein führender Genosse über ihn.
Die Quittung dafür bekommt Scholz regelmäßig auf Parteitagen. Bei seiner Wiederwahl zum SPD-Vize wird er im Dezember mit 59,2 Prozent abgestraft. Scholz trieb den inzwischen zurückgetretenen Martin Schulz mit Kritik an dessen verkorkstem Wahlkampf vor sich her. Vor einem Putsch schreckte Scholz zurück. „Der Olaf springt nicht“, wurde über Jahre zum geflügelten Wort in der Partei. Doch nun springt er. Scholz, in Osnabrück geboren, aber in Hamburg aufgewachsen, verlässt als erfolgreicher Bürgermeister die Metropole an der Elbe, wenn auch die Randale rund um den G20-Gipfel oder die gescheiterte Olympia-Bewerbung an seinem Macher-Image kratzten. Scholz, der seit Langem mit der designierten Parteichefin Andrea Nahles gut harmoniert, wird in Berlin viel Macht haben. Mit Kanzlerin Angela Merkel verbindet ihn gegenseitige Wertschätzung. Als Vizekanzler koordiniert er die nächsten Jahre die Arbeit der SPD-Minister in der GroKo. Im Tagesgeschäft wird ihm dafür sein engster Vertrauter, Wolfgang Schmidt, den Rücken freihalten. Er kommt als Staatssekretär mit ins Bundesfinanzministerium (BMF). Schmidt ist seit 2002 nah bei Scholz und hervorragend vernetzt. Als weiteren Spitzenbeamten könnte Scholz aus Hamburg den Wirtschaftsstaatsrat Rolf Bösinger ins BMF mitnehmen. Bösinger wirkte für Scholz hinter den Kulissen maßgeblich an der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen mit. Scholz muss im BMF neue Netzwerke installieren, weil das mächtige Haus zwar viele Genossen an der Spitze hatte (Schmidt, Lafontaine, Eichel, Steinbrück), seit 2009 aber von Wolfgang Schäuble und der CDU geprägt wurde.
Scholz dürfte im Sinne der SPD zügig eine behutsame Neuausrichtung der deutschen Europapolitik beginnen. So verwundert es nicht, dass der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras bereits am Sonntag mit Scholz telefonierte, ihm Glück für den neuen Job wünschte, dies aber mit der Erwartung verband, Deutschland werde statt einer Austeritätspolitik künftig für „inklusives Wachstum“ eintreten.
Herausfordern wird Scholz ein drohender Handelskrieg, den US-Präsident Donald Trump mit Strafzöllen auf Stahl und Autos anzetteln will. Scholz’ erste große Dienstreise soll am übernächsten Wochenende zum G20-Finanzministertreffen nach Buenos Aires gehen.
Privat wird Scholz mit dem Umzug von der Elbe an die Spree auf jeden Fall gewinnen. Seine Frau Britta Ernst ist in Potsdam Bildungsministerin. Die gemeinsame Zeit für Konzerte und Theater wird knapp bleiben. Und ein Scholz denkt weiter („Langfristig zahlt sich nur strategische Geduld aus“), die Kanzlerkandidatur (Olaf 21) zählt dazu. In einer RTL/Stern-Umfrage sagte gerade jeder zweite Deutsche, mit Scholz hätte die SPD in vier Jahren die größten Chancen – Nahles trauen das nur 22 Prozent zu.