Damaskus/Berlin. Tagelang hatten sie im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York gerungen. Dort sitzen Vertreter der USA, von China und Großbritannien, von Frankreich und Russland. In der Nacht zu Sonntag verkünden die Mächtigen der Welt dann eine Waffenruhe für Syrien. Sogar Vetomacht und Assad-Verbündeter Russland stimmt zu. 30 Tage soll der Waffenstillstand gelten – Zeit, um Verletzte zu behandeln und Menschen in den Kriegsgebieten mit Essen, Wasser und Medikamenten zu versorgen. Zeit für Frieden?
Nur wenige Stunden nach der Einigung melden Nachrichtenagenturen: neue Angriffe in Syrien. Islamistische Rebellen erklären, es habe Kämpfe mit syrischen Regierungstruppen von Diktator Baschar al-Assad gegeben. Auch in dem belagerten und schwer zerstörten Ost-Ghouta nahe Damaskus detonierten Bomben. Allerdings fiel der Angriff der oppositionsnahen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge weniger heftig aus als in der vergangenen Woche.
Der Iran – ebenfalls Verbündeter von Assad – erklärte, die Resolution zu respektieren. Gleichzeitig kündigte Militärstabschef Mohammed Bakeri aber weitere Offensiven an. Ziel seien „Terroristen“, die von der UN-Resolution ausgenommen seien und deshalb ungeachtet der Feuerpause angegriffen werden dürften.
Ost-Ghuta wird seit 2013 von den Regierungstruppen belagert. In dem Gebiet nahe Damaskus leben rund 400.000 Menschen. Die Rebellen in der Enklave werden von islamischen Extremisten dominiert, die von dort aus auch immer wieder die Hauptstadt beschossen haben. Zum Beispiel: Dschaisch al-Islam, eine salafistisch ausgerichtete Organisation, die 2015 für Schlagzeilen sorgte, als sie in Ost-Ghuta Käfige aufstellte, in die ihre Kämpfer Zivilisten als menschliche Schutzschilde sperrten.
120 Kinder sterben in Ost-Ghuta in wenigen Tagen
Die syrische und die russische Regierung haben nun erklärt, sie würden nur militärische Ziele beschießen. Doch die Bomben aller Kriegsparteien treffen auch Unschuldige. Der Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge wurden in den vergangenen Tagen mehr als 500 Menschen getötet, darunter mehr als 120 Kinder. Rettungskräfte erklärten, die Zahl der Opfer könnte noch weitaus höher liegen. Auch etwa ein Dutzend Krankenhäuser seien getroffen worden. UN-Generalsekretär Antonio Guterres nannte Ost-Ghuta die „Hölle auf Erden“. Die kommenden Tage werden zeigen, wie viel die nun beschlossene Waffenruhe wert ist. Völkerrechtlich bindende Druckmittel enthält der Text nicht. Und: Es gibt keinen klaren Plan für die Umsetzung. Jedes Land ist aufgerufen, sich an den Pakt zu halten.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der französische Präsident Emmanuel Macron telefonierten am Sonntag mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Alle drei begrüßten die einstimmig verabschiedete Resolution des UN-Sicherheitsrates, gibt das Bundeskanzleramt nach dem Gespräch schriftlich bekannt. Merkel und Macron hätten demnach hervorgehoben, dass es nun entscheidend darauf ankomme, die Resolution vollständig umzusetzen. Sie riefen Russland dazu auf, „maximalen Druck auf das syrische Regime auszuüben“, um einen sofortigen Stopp der Luftangriffe und Kämpfe zu erreichen. Um einen dauerhaften Frieden in Syrien zu erreichen, seien Deutschland und Frankreich weiterhin willens, mit Russland und anderen Staaten zusammenzuarbeiten. Russland verlangt von anderen ausländischen Mächten Druck auf die bewaffneten Regierungsgegner, die vom Sicherheitsrat geforderte Waffenruhe für Ost-Ghuta einzuhalten. Moskau werde alle Versuche unterbinden, „eine antirussische oder antisyrische Hysterie zu schüren“, teilte das Außenministerium mit.
Militäreinsätze gegen die Terrorgruppen „Islamischer Staat“ (IS), al-Quaida und al-Nusra sind von der Waffenruhe ausgeschlossen. Konkret erwähnt die Resolution unter anderem die Gewalt im Rebellengebiet Ost-Ghuta und der Idlib-Provinz. Auf die Frage, ob auch die nicht explizit erwähnte Militäroffensive der Türkei im nordsyrischen Afrin von der Waffenruhe gedeckt werde, sagte der UN-Botschafter Kuwaits und derzeitige Ratsvorsitzende Mansour al-Otaibi, die Antwort auf die Frage sei „sehr klar“. Doch der Sonntag zeigt: Auch die Kämpfe zwischen dem türkischen Militär und der Kurdenmiliz YPG in der nordwestsyrischen Region Afrin gehen weiter. Das türkische Militär und verbündete weitgehend islamistische Rebellen hätten Dörfer unter ihre Kontrolle gebracht, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit. Zudem ist der ehemalige Chef der syrischen Kurdenpartei PYD, Salih Muslim, auf Antrag der Türkei in Tschechien festgenommen worden. Die Türkei hatte Muslim vor zwei Wochen auf die Terroristenliste gesetzt. Ankara sieht in der PYD einen Ableger der PKK. (rtr)