Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gerät in den eigenen Reihen unter Druck. Der Preis für die GroKo sei viel zu hoch.

Noch alles unter Kontrolle?

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Kerstin Münstermann

Berlin. Es war die Untertreibung des noch jungen Jahres: Die Frage, wer welches Ressort bekommt, sei „nicht ganz einfach“ gewesen, hatte die CDU-Vorsitzende Angela Merkel bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags am Mittwoch gesagt. Nicht ganz einfach ist gut. Die CDU musste in den Verhandlungen die Hoheit über das Finanzressort und das Innenministerium an SPD und CSU abgeben. Die Sozialdemokraten bekamen außerdem noch das Außenministerium und das Arbeits- und Sozialressort zugesprochen.

Diese Aufteilung der Ministerien brachte die sonst sehr disziplinierte CDU am Donnerstag gewaltig in Wallung.

Die Kritik der Partei, die – manchmal schmollend, aber doch meist eisern – hinter ihrer Vorsitzenden steht, schwoll an. Vertreter des konservativen Wirtschaftsflügels drückten es am drastischsten aus. „Eines jedoch wiegt schwer und geht mitten ins Mark der CDU: die Ressortaufteilung. Die Verteilung der Ministerien lässt jede Ausgewogenheit vermissen. Sie widerspricht allen Regeln, die es bislang unter Koalitionären gab“, kritisierte etwa der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der Union (MIT), Carsten Linnemann. Wer die die Hoheit über Auswärtiges, Finanzen sowie Arbeit und Soziales in die Hand des deutlich kleineren Koalitionspartners lege, „gibt seinen Gestaltungsanspruch in entscheidenden Bereichen ab“. Auch der Wirtschaftsrat bemängelte das Verhandlungsergebnis: „Das Finanzressort aus der Hand zu geben, überwiegt alle anderen negativen Ergebnisse dieses Koalitionsvertrages“, sagte Generalsekretär Wolfgang Steiger. Die Ressortverteilung spiegele nicht das Wahlergebnis wider. Nun steht der Wirtschaftsflügel der Partei Merkel und ihrem Mitte-Kurs schon länger kritisch gegenüber, der Wirtschaftsrat lehnt darüber hinaus eine große Koalition ab und plädierte stets für eine Unions-Minderheitsregierung.

Die „schwarze Null“ als Markenkern

Doch auch die Merkel-treuen CDU-Ministerpräsidenten sind alles andere als enthusiastisch angesichts der Ergebnisse. „Die Begeisterung beim Ressortzuschnitt hält sich aus Sicht der CDU in der Tat wirklich in engen Grenzen“, sagte etwa Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther. „Die Sozialdemokraten haben für sich eine Menge rausgeholt.“ Alles zusammengenommen ist das für CDU-Verhältnisse schon harsche Kritik an Merkel, die ehedem berühmt war für ihr Verhandlungsgeschick in langen Nächten.

In den Hintergrund tritt dabei, dass die SPD inhaltlich nicht viel rausgeholt hat. Im Koalitionsvertrag hat die CDU viel erreicht, was man schon allein an dem ablesen kann, was die SPD nicht komplett durchgesetzt hat. Siehe zum Beispiel Rente: Zwar soll es ein Mindestrentenniveau geben – aber das liegt fürs Erste nicht weit vom ohnehin prognostizierten Sicherungsniveau der Rente entfernt. Die Bürgerversicherung kommt nicht. Die Zugeständnisse bei den sachgrundlos befristeten Arbeitsverträgen halten sich in Grenzen. Auch das Bekenntnis zur „schwarzen Null“ im Haushalt und vieles andere spiegelt die CDU-Sicht auf die Dinge.

So sagte auch der hessische Ministerpräsident und Vize-CDU-Chef Volker Bouffier, einer der Hauptverhandler der CDU: „Mit Blick auf die Ressortverteilung tut es der Union schon weh, das Finanzministerium wieder an die SPD abgeben zu müssen“, sagte Bouffier dieser Redaktion, „aber insgesamt haben die Unionsparteien zehn Ressorts, einschließlich Kanzlerin, die SPD aber nur sechs“. Der Koalitionsvertrag enthalte „insgesamt viel Gutes“, so Bouffier.

Zudem kann die Partei von Angela Merkel überhaupt wieder eine Koalition bilden, wenn die SPD-Mitglieder schließlich zustimmen. Nach dem Jamaika-Aus der Gespräche zwischen Union, Grünen und FDP war das alles andere als sicher.

Manch einer legte Merkel dies allerdings alleinig als Machterhaltungstrieb aus. Dem habe sie alles andere untergeordnet. Insgesamt überlagern die prestigeträchtigen Ressortentscheidungen in der CDU gerade die inhaltlichen Erfolge. Besonders die Aufgabe des Finanzressorts schmerzt die Partei. „Das tut uns weh. Das ist unzweifelhaft so. Wir hätten das Finanzressort gern behalten“, sagte die saarländische Ministerpräsidentin und mögliche Merkel-Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer bereits am Mittwochabend. Merkel musste auch in der Unionsfraktion Bedenken wegen des Verlustes des Finanzministeriums zerstreuen. Sie sagte, sie wisse, dass vielen die Abgabe des Ressorts an die SPD Sorgen bereite und verwies auf die große Bedeutung des Bundestags in Haushaltsfragen. Doch so richtig gefruchtet hat es nicht. „Wir machen uns klein, sind vor CSU und SPD auf die Knie gegangen“, sagte ein hochrangiges CDU-Mitglied. Auch bei den Sachthemen habe oft die CSU die Forderungen der SPD abgewehrt. Einzig das von der CDU eroberte Verteidigungsressort habe wirklich politisches Gewicht. Und auch wenn das Wirtschaftsministerium, das ebenfalls an die CDU geht, einiges an inhaltlichen Möglichkeiten bietet: Es ist bei Weitem nicht so einflussreich wie das Finanzministerium mit seiner Haushaltshoheit. Besonders Wolfgang Schäuble hat die „schwarze Null“ zum Markenkern für die CDU gemacht. Ein Haushalt ohne Schulden – unter SPD-Führung scheint das vielen Christdemokraten nicht mehr sicher.

Was hat Merkel dazu getrieben, diesen hohen Preis zu zahlen? Die Unions-Verhandler zeichneten ein dramatisches Bild der langen Nächte. Es habe die Frage im Raum gestanden „Geht’s weiter oder nicht?“, erzählte der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer. Teilweise habe man sich angeschwiegen, teilweise sei es „bleihaltig“ gewesen, die SPD habe „sehr beharrt, dass sie diese drei Ministerien will, dass sie sonst nicht in die Regierung eintreten kann“. Die Debatte darüber habe stundenlang gedauert, „auch mit stundenlanger Sprachlosigkeit“. Letztlich sei der Kompromiss ein „Akt der Verantwortung für die Demokratie“ gewesen. Alle drei Parteien hätten „riesigen Schaden genommen“, auf Jahre hinaus, wenn wegen der Postenverteilung – so wäre es laut Horst Seehofer in der Bevölkerung wahrgenommen worden – die Gespräche gescheitert wären.

Auch die CDU erzählte diese Geschichte. Es sei nicht optimal gelaufen, räumte man im Adenauer-Haus ein. Doch letztlich habe die CDU die Verantwortung dafür gehabt, dass es endlich zu einer Regierung komme. Wäre es an der Ressortfrage gescheitert, dann hätte man bleibende Schäden angerichtet. Und die CDU habe mit Gesundheit und Pflege und Bildung neben der Wirtschaft gewichtige Zukunftsbereiche für sich gesichert. Die Partei will den Koalitionsvertrag nun auf einem Parteitag am 26. Februar verabschieden. Schon am 25. Februar treffen sich die Gremien. Auf die Diskussion, intern und öffentlich, darf man gespannt sein. Bei aller Kritik, offen oder verdeckt – die Frage nach einer Nachfolge in der CDU bleibt offen. Wäre Merkel selbstverständlich wieder die Nummer eins im Falle von Neuwahlen? Wer folgt 2021? Wenn die Kanzlerin eine Vorstellung hat, dann hält sie sie noch geheim. Aber auch die Kritiker wissen keine wirklich stringente Antwort auf die Frage. Auf jeden Fall wird die Partei mit einer Personaldiskussion in dieser Legislaturperiode leben müssen.