Berlin.

Es ging um Drogen, Geld und Macht. Und um eine alte Rechnung: Am Abend des 10. Mai 2017 fuhren sechs Männer vor einem Café im Stadtteil Wedding vor – mutmaßlich drei Tschetschenen, drei Kosovaren. Sie kamen mit vollautomatischen Waffen und feuerten sofort. Die Tatverdächtigen stehen seit Dienstag vor dem Landgericht – sie sollen der Rockergruppe Guerilla Nation Vaynakh angehören. Der Angriff galt dem 34-jährigen Wirt des Lokals. Er soll sich geweigert haben, Drogenlieferungen zu zahlen. Das Marihuana sei von schlechter Qualität gewesen.

Ermittler sind sensibilisiert – nicht nur durch den Vorfall in Berlin. Das Bundeskriminalamt (BKA) schaut im Bereich der Organisierten Kriminalität (OK) gezielt auf Gruppierungen aus dem Nordkaukasus – und dort vor allem auf Täter mit tschetschenischer Herkunft. „Seit einiger Zeit fällt uns auf, dass Tschetschenen vermehrt in Delikten wie Erpressung, aber auch Drogengeschäfte verwickelt sind“, sagt Michael Nagel, Leiter der OK-Auswertung beim BKA. „Uns ist es wichtig, die Strukturen und Netzwerke tschetschenischer Straftäter in Deutschland genauer zu kennen, um auf diese Weise zu wissen, ob und wie wir mit polizeilichen Mitteln verstärkt auf die Kriminalität durch diese Gruppe reagieren müssen.“ Man wolle „einen tiefen Einblick“ in die Szene bekommen. Doch die versteht sich als geschlossene Gesellschaft. „Tschetschenische kriminelle Gruppen agieren häufig stark abgeschottet, etwa in Clans“, weiß BKA-Mann Nagel. Und viele kommen laut Ermittler mit einer „hohen persönlichen Kampferfahrung“ nach Deutschland, die sich in den Tschetschenien-Kriegen mit Russland gesammelt haben.

Wie groß die Täterklientel ist, lässt sich schwer abschätzen. In der polizeilichen Kriminalstatistik werden Tschetschenen, wie auch andere Gruppen, nicht gesondert ausgewertet. Dort wird nur die Staatsbürgerschaft von Verdächtigen erfasst – im Falle der autonomen Nordkaukasusrepublik eben die russische. Auch zur allgemeinen Verbreitung der Volksgruppe in Deutschland gibt es nur vage Anhaltspunkte. Sicherheitskreise gehen hinter vorgehaltener Hand von 20.000 bis 50.000 Tschetschenen in Deutschland aus. Ein Hintergrund der eher groben Schätzung: Zwar erfragt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bei Asylsuchenden die Volkszugehörigkeit des Bewerbers. Doch die entsprechende Angabe ist freiwillig und basiert allein auf den Angaben der Betroffenen.

2017 registrierte das BAMF 4166 tschetschenische Asylanträge, fast 60 Prozent weniger als im Vorjahr (9850). Per Schutzstatus anerkannt wurden 7,6 Prozent der 2017 gestellten Anträge, 2016 waren es nur 4,3 Prozent. Die mit Abstand meisten Asylanträge aus Tschetschenien gingen 2013 beim Bundesamt ein: 13.603 Bewerber wollten damals nach Deutschland; am Ende lag die Schutzquote bei 1,7 Prozent. Zwar ist die Lage im Kaukasus stabiler als vor einigen Jahren – und doch droht Menschen dort Gewalt und Willkür. Zuletzt berichteten Medien etwa über gezielte Tötung von Homosexuellen. Immer wieder kommt es zu Angriffen durch Islamisten und Vergeltungsschlägen der tschetschenischen Regierung.