Erdogan beginnt nach dem Referendum den Umbau der Türkei
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Von Gerd Höhler
Türkei-Referendum: So kann Erdogan jetzt durchregieren
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Istanbul. Nach dem gewonnenen Referendum geht Präsident Erdogan den Umbau des politischen Systems in der Türkei an. Wird die Neuwahl vorgezogen?
Nach dem knapp gewonnenen Verfassungsreferendum verliert der türkische Staatschef keine Zeit: Recep Tayyip Erdogan beginnt mit der schrittweisen Einführung des Präsidialsystems. Der Umbau könnte schneller gehen als geplant.
Die Debatten über das Präsidialsystem seien nun beendet, es sei „Zeit, an die Arbeit zu gehen“, erklärte Erdogan vor Anhängern in Ankara. Der erste Schritt nach dem Referendum, das mit 51,4 Prozent Ja-Stimmen für die Verfassungsreform nur knapp zugunsten des Präsidenten ausging: Am Montagabend beschlossen unter dem Vorsitz Erdogans nacheinander der Nationale Sicherheitsrat und das Kabinett eine weitere Verlängerung des Ausnahmezustandes. Er war nach dem Putschversuch vom Juli 2016 verhängt und bereits zwei Mal um jeweils 90 Tage ausgedehnt worden.
Unter dem Ausnahmezustand ist die Versammlungsfreiheit eingeschränkt, Presseerzeugnisse können zensiert oder verboten werden, der Präsident kann Dekrete mit Gesetzeskraft erlassen, die Europäische Menschenrechtskonvention ist ausgesetzt. Verdächtige können ohne richterlichen Beschluss 30 Tage lang festgehalten werden und dürfen frühestens nach fünf Tagen einen Anwalt hinzuziehen. Das begünstigt nach Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen Misshandlungen und Folter.
Neue Regelungen treten schrittweise in Kraft
Die Große Nationalversammlung, das türkische Parlament, wird zwar unter der neuen Verfassung weitgehend entmündigt; der Präsident kann ohne Mitwirkung der Volksvertretung Gesetze erlassen, Minister und Staatsbeamte berufen, den Haushalt aufstellen – und das Parlament nach Gutdünken auflösen. Bis es soweit ist, kommt aber auf die Abgeordneten noch viel Arbeit zu: Sie müssen in den kommenden sechs Monaten eine Vielzahl von Gesetzesänderungen beschließen, um die Verfassungsänderung umzusetzen.
Die neuen Regelungen treten schrittweise in Kraft. Drei Veränderungen werden unmittelbar wirksam, sobald der Oberste Wahlrat das amtliche Endergebnis der Volksabstimmung bekanntgibt und im Regierungsanzeiger veröffentlicht, womit in etwa zehn Tagen gerechnet wird: Erstens wird das Gebot zur parteipolitischen Neutralität des Präsidenten aufgehoben. Erdogan kann damit wieder der von ihm mitbegründeten Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) beitreten und sich zu ihrem Vorsitzenden wählen lassen.
Zweitens werden die Militärgerichte abgeschafft. Und drittens werden innerhalb von 30 Tagen einschneidende Veränderungen in der Justiz vorgenommen: Der Rat der Richter und Staatsanwälte wird von 22 auf 13 Mitglieder verkleinert, von denen der Präsident vier und das Parlament weitere drei ernennt. Dem Rat, der über die Ernennung und Beförderung von Richtern und Staatsanwälten entscheidet, gehören außerdem der Justizminister und sein Staatssekretär an. Von den 15 Verfassungsrichtern beruft der Präsident künftig zwölf.
Nächste Wahl könnte vorgezogen werden
Zu den ersten Aufgaben des Parlaments gehört jetzt auch eine Änderung des Wahlrechts. Nach der neuen Verfassung werden der Präsident und das Parlament künftig am gleichen Tag für fünf Jahre gewählt. Damit wird es wahrscheinlicher, dass der jeweilige Präsident in der Nationalversammlung eine Mehrheit hat. Die ersten Wahlen nach diesem Verfahren sollen am 3. November 2019 stattfinden. Erst danach bekäme Erdogan alle Kompetenzen unter der neuen Verfassung. Der Änderungsartikel 17 lässt allerdings die Möglichkeit zu, diesen Termin vorzuziehen.
Aus Sicht Erdogans spricht für den Wahltermin 2019, dass er dann seine laufende Amtszeit als Präsident voll ausschöpfen könnte. Anschließend wird die Uhr gewissermaßen auf null gestellt: Erdogan könnte zwei, unter bestimmten Umständen sogar drei fünfjährige Amtsperioden anhängen, wenn die Wähler mitspielen. Ungewiss ist aber, wie sich bis Ende 2019 die Wirtschaftslage entwickelt. Dass Erdogan das Referendum nur knapp gewinnen konnte, dürfte nicht zuletzt mit den wachsenden Arbeitslosenzahlen und der steigenden Inflation zu tun haben. Das spräche für vorgezogene Wahlen, ehe sich die wirtschaftlichen Probleme weiter verschärfen.