Berlin. Um zum Terrorhelfer zu werden, genügt ein Zeitungsabonnement. „Wer mit unserem Blatt gesehen wird, muss damit rechnen, bei den türkischen Behörden denunziert zu werden“, sagte Dursun Celik vor einigen Tagen der „taz“. Celik ist Chefredakteur einer türkischen Zeitung. Sein „Blatt“ ist die „Zaman Almanya“, der in Deutschland erscheinende Ableger der bis vor Kurzem noch größten Tageszeitung der Türkei.
„Zaman“ hat harte Monate hinter sich. Weil die Zeitung zum Medienimperium der Gülen-Bewegung gehörte, stürmte die türkische Polizei im März die Redaktionsräume in Istanbul. Die Zeitung wurde unter staatliche Kontrolle gestellt und erschien am folgenden Tag mit einer wohlwollenden Geschichte über Präsident Recep Tayyip Erdogan. Doch nur die türkische Ausgabe. In Berlin entschied die Deutschland-Redaktion wie bisher weiterzumachen – auch wenn auf einmal zwei Drittel des Inhalts, die normalerweise aus der Türkei zugeliefert wurden, fehlten. Spätestens seit dem Putschversuch in der Türkei geht es auch für die deutsche „Zaman“ ums Überleben. „Unsere Leser werden von Erdogan-nahen Aktivisten unter Druck gesetzt“, berichtet Celik.
Während die AKP-Regierung in der Türkei rigoros gegen Anhänger des im amerikanischen Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen vorgeht – und aus der Verfolgung vermeintlicher Putschisten eine Hexenjagd macht – hat die Auseinandersetzung zwischen Erdogan-Unterstützern und Gülen-Treuen längst auch Deutschland erreicht. In Gelsenkirchen wurde nach der Putschnacht ein Jugendklub der Gülen-Bewegung attackiert, in einer baden-württembergischen Kleinstadt zwei Männern der Zugang zur Moschee verwehrt. Auch im Großraum Stuttgart bedrohten Erdogan-Anhänger einen Supermarktbesitzer und dessen Kunden. Der Grund: Der Sohn des Inhabers engagiert sich in der Gülen-Bewegung.
Im Internet werden Aufrufe zur Gewalt und Morddrohungen verbreitet. Auch gegen das bekannteste Gesicht der Gülen-Bewegung in Deutschland, Ercan Karakoyun, der der „Bild“-Zeitung gestand: „Mir ist mulmig, wenn ich mich an der Luft bewege, ich habe Angst.“
Wer zum Netzwerk der Gülen-Bewegung gehört, wird zur Zielscheibe. Und obwohl die Strukturen der Gemeinschaft weltweit undurchsichtig sind, treten viele Gülen-nahe Organisationen und Institutionen in Deutschland offen als solche auf. Dazu gehört etwa die Stiftung Dialog und Bildung, der Karakoyun vorsitzt, zudem gut zwei Dutzend Schulen sowie mehr als 100 Nachhilfe-Institute. Die Gülen-Anhänger sind meist gut integrierte Deutschtürken aus der Mittelschicht. Wer in den Gülen-Schulen ein gutes Abitur macht, zahlt es später im Berufsleben zurück.
Das Bildungsnetzwerk ist auch eine Kaderschmiede. Rund 150.000 Menschen, schätzt die Bewegung, stehen mit ihr hierzulande in Kontakt. Wer sie sind, ist leicht herauszufinden: Die Schule der Kinder, die Zeitung im Briefkasten verrät es meist. Unter ihnen, hat Ahmet Daskin, der für die Stiftung Dialog und Bildung arbeitet, beobachtet, herrscht eine „leichte Panik“. Hassanrufe oder Drohungen in den sozialen Netzwerken seien an der Tagesordnung. Daskin: „Selbst wenn alle Vorwürfe aus der Türkei stimmen würden – was nicht der Fall ist. Was hat das mit dem Supermarktbesitzer in Stuttgart zu tun?“
Für Erdogan offensichtlich genug. Sein Einfluss auf die türkischstämmige Bevölkerung in Deutschland ist groß. Die Kundgebung in Köln war eine Machtdemonstration. Angemeldet hatte die Veranstaltung die Union Europäisch-Türkischer Demokraten, ein Verein mit Sitz in Köln. Die UETD fungiert als eine Art Lobbyorganisation der AKP in Deutschland, sie macht für die Partei Wahlkampf unter Deutschtürken und lädt türkische Politiker zu Veranstaltungen ein.
Die Bewegung gilt als undurchsichtig
Der Journalist Hüseyin Topel beschreibt die UETD als Erdogans Sprachrohr: „Während die türkische Botschaft und die Konsulate versuchen, diplomatisch zu sein, setzt die UETD AKP-Themen und versucht, die Debatte zu bestimmen. Im Moment sprechen sich UETD-Repräsentanten beispielsweise für die Todesstrafe aus.“ Die Kundgebung in Köln hat Topel so erlebt: „Das war eine Erdogan-Propaganda-Veranstaltung. Organisiert von der UETD, mit jeder Menge AKP-Politiker und dazu ein paar Alibi-Oppositionellen.“ Schon in der Vergangenheit gab es immer wieder kleinere Skandale rund um den Verein, der aus der Türkei großzügige Spenden bekommen soll. Auch nach dem Putschversuch: Während die offiziellen Statements mäßigend klangen (Die UETD forderte „alle auf, sich an die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu halten“), hielten sich einige Funktionäre nicht daran: Auf der Facebook-Seite der UETD-Solingen wurde eine Whatsapp-Nachricht geteilt, die seit dem Putsch kursiert. In ihr wird dazu aufgerufen, „jeden Gülen-Anhänger den türkischen Behörden zu melden“. Und der Vorsitzende der UETD Essen, Dursun Bas, twitterte in Richtung zweier mutmaßlicher Gülen-Anhänger: „Ihr Ehrenlosen. Für euch gibt es keinen einfachen Tod. Wie wollt ihr euch auf die Straße wagen.“
So sind die Türken in Deutschland tief gespalten – und können sich kaum aus dem Weg gehen. In vielen Städten ist eine Ditib-Moschee die einzige Anlaufstelle für türkische Gläubige. Ditib, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, unterhält rund 900 Moscheegemeinden und ist damit der größte Islamverband in Deutschland. Sie wird von der türkischen Religionsbehörde Diyanet geleitet, die dem türkischen Regierungschef unterstellt ist.