Flüchtlinge

Neues Amt und 83.000 Unterschriften für Besserung am Lageso

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Joachim Fahrun
Lange Schlangen am Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) gehören für die Flüchlinge seit Monaten zum Alltag

Lange Schlangen am Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) gehören für die Flüchlinge seit Monaten zum Alltag

Foto: FABRIZIO BENSCH / REUTERS

Die Online-Petition stößt in der Bevölkerung auf große Resonanz. Jetzt soll sich ein neues Amt um die Flüchtlinge kümmern.

Es ist eines der wichtigsten Streitthemen, in dem sich SPD und CDU gegenseitig die Verantwortung zuschieben: die Schlangen von Flüchtlingen, die in der Kälte vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) an der Turmstraße warten müssen. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) hält die Zustände an der Moabiter Turmstraße für nicht akzeptabel und forderte von Sozialsenator Mario Czaja (CDU) „strukturelle und personelle Veränderung“ am Lageso, um das Chaos abzustellen.

Diesen Wunsch des Senatschefs teilen sehr viele Bürger, nicht nur in Berlin. Fast 83.000 Menschen verlangen vom Berliner Senat, endlich für die Flüchtlinge menschenwürdige Verhältnisse zu schaffen. So viele Internetnutzer hatten bis Dienstagabend innerhalb einer Woche eine entsprechende Petition auf der Plattform Change.org unterschrieben. „Wir rechnen bald mit 100.000“, sagte Initiator Fabian Jain. Egal, was man von der Flüchtlingspolitik generell halte, sei es doch „ein Skandal“, dass Tausende von Menschen in der deutschen Hauptstadt nicht ordentlich versorgt würden. Anderswo in Deutschland habe man nicht einen solchen Stau wie in Berlin, sagte der junge Mann, der beruflich eine große Arztpraxis managt. Man habe es nicht mit einer Flüchtlingskrise zu tun, sondern mit einer Behördenkrise.

Aus Sicht des Initiatores ist die Schuldfrage eindeutig: „Dass Problem liegt ganz klar in der Senatsverwaltung für Soziales und in der Innenverwaltung.“ Die CDU-Senatoren Mario Czaja und Frank Henkel seien „auf Koalitionsstreit aus“. Aus der Union wird hingegen gerne auf die Mitverantwortung des Flüchtlingsstaatssekretärs Dieter Glitsch verwiesen.

Helfer versorgen Familien unter freiem Himmel

Ungeachtet aller politischen Schuldzuweisungen bleibt die Lage am Lageso angespannt. Diana Henniges vom Verein „Moabit hilft“ sagte, die Zustände hätten sich nicht gebessert. Nachts und am Wochenende müssten die freiwilligen Helfer viele Familien unter freiem Himmel versorgen. „Die schlafen in Parks, unter Brücken“, sagte Henniges bei der Pressekonferenz zur Petition im „Capital Club“ am Gendarmenmarkt, der seine Räume bereitgestellt hatte. Alle Versprechen des Sozialsenators hätten sich als Makulatur erwiesen, so die Aktivistin. „Moabit-hilft“-Freiwilligen werde inzwischen vom Sicherheitspersonal der Zutritt zu den Zelten verweigert, ein anderer Hilfsverein dürfe kein Essen mehr verteilen. Inzwischen komme zu den Problemen mit der Registrierung die Situation, dass Flüchtlinge wochenlang auf ihre Leistungen und Kostenübernahmen für Unterkünfte warten müssen. Obwohl sie Termine bekommen, müssen sie zum Teil tagelang vor der Tür warten.

Andreas Tölke vom Verein „Be an Angel“ ist dazu übergegangen, beim Sozialgericht mit Eilanträgen Leistungen zu erstreiten. Letzte Woche war er mit 31 Menschen beim Gericht, am Dienstag sollten es 50 sein. Denn es gebe Flüchtlinge, die aus Heimen geworfen würden, weil das Lageso keine Kostenübernahme ausgestellt habe. Dabei hätten die Menschen einen Rechtsanspruch nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.

Der Berliner Senat beschloss am Dienstag ein Konzept, mit dem die Misere zumindest mittelfristig behoben werden soll. Sozialsenator Czaja ließ seinen schon lange vorbereiteten Plan für ein Landesamt für Flüchtlinge von der Landesregierung absegnen.

Zahl der Mitarbeiter steigt von 70 auf 300

Der Flüchtlingsbereich soll nun aus dem Landesamt für Soziales und Gesundheit ausgegliedert und damit auch dem umstrittenen Lageso-Präsidenten Franz Allert entzogen werden. Bisher machten Flüchtlinge nur einen kleinen Teil der Aufgaben des Lageso aus, das sich unter anderem mit Veterinärwesen, Apotheken, Renten und Krankenhausaufsicht beschäftigt. Als Reaktion auf den Flüchtlingsansturm wuchs die Zahl der Mitarbeiter für den Flüchtlingsbereich von 70 auf 300, was Kritiker immer noch für viel zu wenig halten.

Czaja sagte, die Fülle der damit entstandenen neuen Prozesse sowie der Zuwachs an Personal bedürften zudem einer eigenen fachlichen Führung. Jetzt sollen die Arbeitsprozesse in der überlasteten Behörden neu organisiert werden. Es gehe auch darum, den Abteilungsleitern klare Verantwortlichkeiten zuzuordnen, heißt es in dem Entwurf für das Gesetz, das nun dem Abgeordnetenhaus zugeleitet wird. Die bisherige Struktur des Lageso habe sich als ungeeignet erwiesen, so Czaja. Sitz des Amtes soll zunächst die Turmstraße bleiben, andere Lageso-Angehörige ziehen aus.

Eine Projektgruppe soll nun das neue Amt aufbauen. Leiterin wird Claudia Langeheine, der Direktorin des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegen. Aus diesem Amt und aus ihrem früheren Posten als Chefin der Ausländerbehörde verfüge sie über Erfahrungen mit Asylsuchenden und auch mit Umstrukturierungen einer großen Publikumsbehörde, heißt es in Czajas Erklärung. Ihre Aufgabe wird schwierig. Die Aktivisten von „Moabit hilft“ berichten von zahlreichen Fällen, in denen Akten von Flüchtlingen nicht mehr auffindbar seien. Die Linke nannte den Plan für das neue Flüchtlingsamt einen „Akt der Verzweiflung“.