Hohe Mietkosten verschärfen das Armutsrisiko. In 60 der 100 größten deutschen Städte haben Familien mit Kindern nach Zahlung der Miete im Schnitt weniger Geld zur Verfügung als den Hartz-IV-Regelsatz.

Hohe Mieten führen in vielen deutschen Städten dazu, dass Familien mit unterdurchschnittlichen Einkommen oft von Armut bedroht sind. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung hat ergeben, dass in 60 der 100 größten Städte einer vierköpfigen Familie, die weniger als 60 Prozent des ortsüblichen mittleren Einkommens verdient, nach Abzug der Miete weniger als 1169 Euro bleibt – das ist die Summe, die eine vierköpfige Familie, die auf die Grundsicherung angewiesen ist, monatlich zum Leben erhält, zusätzlich zu den Wohnkosten.

Allerdings sind die Zahlen der Studie differenziert zu betrachten. Denn die untersuchten Einkommen beinhalten neben den Löhnen, die aus Arbeit stammen, auch Transferleistungen des Staates. Unter den Befragten dieser niedrigen Einkommensgruppen dürften sich überproportional viele Hartz-IV-Empfänger befinden. Diesen wird ihre Wohnung jedoch vom Staat bezahlt.

Dennoch wird ihnen ihre Miete in der Studie von ihrer Transferleistung abgezogen. Dies dürfte die Ergebnisse deutlich beeinflusst haben. Bei der Bertelsmann-Stiftung heißt es, methodisch habe es keine andere Möglichkeit gegeben. Grundlage der Studie seien Daten der amtlichen Haushaltsbefragung 2011 (Mikrozensus) und Daten der Empirica AG zu den Preisen von Immobilienangeboten.

Ansprüche nicht geltend gemacht

Neben dieser Verzerrung dürfte es einen weiteren Grund dafür geben, dass der Studie zufolge viele Haushalte nach Abzug der Miete weniger Geld zur Verfügung haben, als ihnen der Staat eigentlich garantiert: Viele Menschen wissen entweder nicht, dass sie einen Anspruch auf ergänzende Hartz-IV-Leistungen (Aufstocker) haben, oder sie machen ihre Ansprüche nicht geltend, weil sie sich möglicherweise schämen.

In Jena etwa kommt laut der Modellrechnung der Empirica AG im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung eine einkommensschwache Familie nach Abzug der Mietkosten auf monatlich 666 Euro. Ihr verfügbares Einkommen liege damit 43 Prozent unter dem Niveau der Grundsicherung. Ähnliche Auswirkungen hätten die Wohnkosten in Frankfurt am Main, Freiburg und Regensburg.

Das regionale Einkommens- und Mietpreisniveau kann sich umgekehrt auch positiv bemerkbar machen. In Heilbronn etwa, wo relativ hohe Durchschnittseinkommen auf einen entspannteren Wohnungsmarkt träfen, habe eine einkommensschwache Familie im Durchschnitt 1941 Euro zum Lebensunterhalt übrig. Das seien 66 Prozent mehr als in der Grundsicherung.

Jeden zweiten Euro für Miete

Dementsprechend unterscheide sich der Anteil der Wohnkosten am gesamten Familieneinkommen. In Frankfurt am Main, Jena, Freiburg und München müssten einkommensschwache Familien mindestens jeden zweiten Euro für die Miete ausgeben, in anderen Städten nur jeden fünften Euro. Im Bundesschnitt liegen die Mietausgaben bei etwa 30 Prozent des Haushalts-Einkommens.

„Familien aus der unteren Mittelschicht und oberen Unterschicht geraten in Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt finanziell stark unter Druck. Armut muss in Deutschland stärker regional erfasst und bekämpft werden“, sagte Jörg Dräger, Vorstandsmitglied der Bertelsmann-Stiftung. Vielerorts herrsche ein erheblicher Mangel an Wohnungen, die für Familien geeignet und auch bei niedrigem Einkommen erschwinglich seien. „Wir müssen vor Ort genauer hinschauen, welche Familien mit Kindern mehr Unterstützung für gute Bildungs- und Entwicklungschancen benötigen“, so Dräger.

Die Studie wurde im Rahmen des Projekts „Kommunale Entwicklung - Chancen für Kinder (KECK)“, bei der die Stadt Jena mit der Bertelsmann-Stiftung kooperiert, durchgeführt. Dabei will die Stadt Jena „allen Kindern – unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem sozialen Umfeld – Zugang zu Bildung und gesellschaftlicher Teilhabe zu ermöglichen“, heißt es bei der Projektbeschreibung.

Nur ein Elternteil arbeitet

Die Berliner SPD-Spitzenkandidatin Eva Högl interpretierte die Studie im Gespräch mit der Berliner Morgenpost als Signal, „wie wichtig es ist, dass der einheitliche Mindestlohn kommt, wie ihn die SPD im Falle eines Wahlsiegs einführen würde“. „Es ist in vielen Familien Realität, dass nur ein Elternteil arbeitet. Da kann es schnell passieren, dass das Einkommen nicht ausreicht, um alle richtig ernähren und die Miete zahlen zu können“, warb Högl für das zentrale Projekt einer möglichen rot-grünen Bundesregierung, dem die Union ihr Konzept branchenspezifisch verschiedener Lohnuntergrenzen entgegensetzt.

Allerdings sei es auch wichtig, so Högl, in deren Wahlkreis Mitte neuer bezahlbarer Wohnraum ebenfalls Mangelware ist, „dass wir in Deutschlands Städten genug bezahlbaren Wohnraum anbieten können“. So seien teure Luxussanierungen, die danach auf die Mieten umgelegt werden, „schädlich, wenn man es übertreibt“. Die Mieten dürften zudem nicht ins Uferlose steigen, weshalb Deckelungen insbesondere bei Neuvermietungen schlicht notwendig seien. „Hier plädieren wir dafür, die Grenze bei plus zehn Prozent zu ziehen, was in Einzelfällen immer noch viel Geld ist.“

Högl sagte, sie freue sich, dass beide Themen inzwischen in allen großen Parteien oben auf der Agenda angekommen seien. Was Berlin betreffe, so sei es ein großer Vorteil, „dass hier auch eher teure Stadtteile wie mein Wahlkreis Mitte sozial durchmischt sind.“ Högl bekräftigte: „Wir sollten alles daran setzen, dass das so bleibt.“

Bestandsmieten deckeln

Tatsächlich setzt nicht länger nur die SPD, sondern nun auch die Union im Bundestagswahlkampf auf das Thema Bezahlbarer Wohnraum. Die CDU/CSU will den Ländern im Falle eines Wahlsiegs zumindest die Möglichkeit geben, in Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten „bei Wiedervermietung von Bestandswohnungen Mieterhöhungen auf zehn Prozent oberhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete zu beschränken“, wie es im Regierungsprogramm heißt.

Anfang Mai war bereits eine bundesweite Reform des Mietrechts in Kraft getreten, die eine stärkere Deckelung von Bestandsmieten in Großstädten erlaubt. Die Idee, Wiedervermietungsmieten zu deckeln, entspricht auch der Position des Deutschen Städtetags, der ebenfalls teils „horrende Mietaufschläge“ bei Wohnortwechseln beobachtet. Der Städtetagspräsident Ulrich Maly betonte gegenüber der Morgenpost, dass es ihm ausdrücklich nicht um Vorschriften bei der Erstvermietung neu errichteter Wohnungen gehe. Deshalb sei auch die Gefahr gebannt, dass sich der Neubau von Miethäusern für Investoren nicht mehr lohne.

Grundsätzlich sei es „besorgniserregend, dass die steigenden Wohnkosten in einer Reihe von Städten Familien mit niedrigen Einkommen besonders stark belasten“. Es sei Fakt, dass Einkommensschwächere durch die Mietentwicklung in einem Teil der Großstädte an den Stadtrand verdrängt würden, wenn sie überhaupt eine Wohnung fänden.

Aus Malys Sicht muss nun ein ganzes Maßnahmenbündel eingesetzt werden, um das Problem zu bekämpfen. „Bauen, bauen, bauen ist die richtige Devise“, sagte er. Außerdem müsste das seit dem Jahr 2009 unveränderte Wohngeld an die Entwicklung der Einkommen, der Mieten und Nebenkosten angepasst werden. „Das Wohngeld ist definitiv zu niedrig. Auch der Kinderzuschlag sollte so angepasst werden, dass Familien nicht nur wegen ihrer Kinder ins Sozialgesetzbuch II fallen, also zu Hartz-IV-Empfängern werden.“