Prozess gegen Ahmad S.

Mit "Hamburger Reisegruppe" ins Terror-Camp

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Ulrich Kraetzer

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War Ahmad S. Mitglied von al-Qaida? Seit Montag steht der Hamburger vor Gericht. Er soll auch in ausländische Terror-Camps gereist sein.

Ein weiterer Terrorprozess gegen einen Deutsch-Afghanen aus Hamburg hat am Montag vor dem Oberlandesgericht in Koblenz begonnen. Dem 37 Jahre alten Ahmad S. wird Mitgliedschaft im Terrornetz al-Qaida und der Islamischen Bewegung Usbekistan (IBU) vorgeworfen.

"Hamburger Reisegruppe"

Er soll laut Anklage zu der Hamburger „Reisegruppe“ gehört haben. So wird eine etwa zehnköpfige Islamistenzelle genannt, die 2009 zum militärischen Training in ein Terror-Camp nach Pakistan reiste.

Unter dem Einfluss radikal-islamistischer Propaganda soll der Angeklagte beschlossen haben, am „Heiligen Krieg“ (Dschihad) teilzunehmen. Der Anklageschrift des Generalbundesanwalts zufolge verließ Ahmad S. 2009 die IBU und schloss sich al-Qaida an. Er soll an schweren Kriegswaffen ausgebildet worden sein und sollte angeblich mithelfen, für al-Qaida ein Netz in Europa aufbauen.

Seit November muss sich in einem anderen Prozess vor dem Staatsschutzsenat in Koblenz bereits der mutmaßliche islamistische Terrorhelfer und Al-Qaida-Anwerber Hussam S. verantworten.

In den Bergen der afghanisch-pakistanischen Grenzregion ist das Leben beschwerlich und die Infrastruktur improvisiert. Auf das Telefon konnte sich Ahmad S. aber offenbar verlassen: Im Dezember 2009 rief er seine Mutter an und prahlte, er werde „die Ungläubigen fangen, um sie fertig zu machen“ und auf die „Ärsche“ der Amerikaner schießen.

"Scheiß-Gottlose"

Im Januar 2010 forderte er seinen Vater auf, mit ihm im Dschihad als Märtyrer zu sterben. Im April 2010 schimpfte er auf die „Scheiß-Gottlosen“, denen er den Kopf abreißen werde. So liest sich das in Abhörprotokollen deutscher Sicherheitsbehörden.

Ahmad S. war ausgezogen, um sich für den "Heiligen Krieg" ausbilden zu lassen – das wirft ihm zumindest die Bundesanwaltschaft vor. Ab Montag muss er sich vor dem Koblenzer Oberlandesgericht verantworten. Der Vorwurf: Mitgliedschaft in den ausländischen Terrorgruppen Islamische Bewegung Usbekistan (IBU) und Al Qaida.

Ahmad S. gilt als einer der prominentesten mutmaßlichen Terroristen Deutschlands der vergangenen Jahre. Nach seiner Festnahme in der afghanischen Hauptstadt Kabul im Juli 2010 berichtete er über Anschlagspläne der al-Qaida für Westeuropa.

Nach einem weiteren Hinweis sprach der damalige Innenminister Thomas de Maizière die wohl eindringlichste Terrorwarnung für die Bundesrepublik seit der Hochphase der RAF aus. Der Reichstag wurde abgesperrt, in Bahnhöfen und in Flughäfen patrouillierten Polizisten mit Maschinengewehren.

Beruflich wenig erfolgreich

Ahmad S. ist 37 Jahre alt, deutscher und afghanischer Staatsbürger und wurde als fünftes von sieben Kindern in Kabul geboren. Seit 1990 lebte er in Hamburg. Er schaffte den Realschulabschluss, aber sonst nicht viel: Er fand keinen Ausbildungsplatz, reinigte Flugzeuge und versuchte es – letztlich erfolglos – als Inhaber eine Bäckerei und eines Reisebüros. Schließlich arbeitete er aushilfsweise als Fahrer.

Im Jahr 2007 begann die Radikalisierung des Ahamd S. In der mittlerweile geschlossenen Hamburger Taiba-Moschee kniete er auf Teppichen, auf denen schon Attentäter der Anschläge des 11. September gebetet hatten. Hier traf er jene Islamisten, die Nachrichtendienstler später als „Hamburger Reisegruppe“ bezeichneten. Beseelt von der Idee, in ein Land auszuwandern, in dem sie getreu der Scharia leben könnten, trafen sich die Männer in der Wohnung von S. in Hamburg-Wandsbek. Ihr Ziel – da sind sich die Ankläger sicher: Der bewaffnete Dschihad.

Ahmad S. soll der Cheforganisator der Reise gewesen sein. Laut Anklage kaufte er am 2. März 2009 Flugtickets von Frankfurt am Main über Doha nach Peschawar in Pakistan – für sich, seine Frau, seinen jüngeren Bruder und ein weiteres Ehepaar der „Reisegruppe“. Die anderen Mitglieder der Gruppe kamen später nach.

Waffentraining bei der Islamischen Bewegung Usbekistan

In der pakistanischen Region Waziristan landeten die Hamburger in einem Lager des Islamischen Bewegung Usbekistan. Ab Juni 2009 ließen die kampferprobten Dschihadisten die Deutschen an die Waffen. Das Training war hart, der Umgangston rüde: Als Ahmad S., von Knieschmerzen geplagt, um Freistellung vom Sporttraining bat, feuerte der Ausbilder neben seinem Ohr einen Schuss aus einem Sturmgewehr ab. So schilderte S. es in einer Vernehmung.

Weil ihnen auch das Essen der Usbeken nicht zusagte, beschlossen Ahmad und sein Bruder, die IBU zu verlassen. Im Juli 2009, so die Anklage, gingen sie zu Al Qaida. Dort trafen sie ihre Kumpanen Rami M. und Naamen M. Ende November folgten die seinerzeit ebenfalls ausgereisten Shahab Dashti und seine Ehefrau.

Laut Anklage blieb Ahmad S. bis Juli 2010 bei al-Qaida. Er soll in Telefonaten von „wohlriechenden“ Leichnamen der Märtyrer geschwärmt haben. Seinem, des Dschihadistenlebens müde, in die Hansestadt zurückgekehrten Bruder berichtete er, „Tore“ erzielt zu haben: „Tore schießen“, so soll S. später eingeräumt haben, beziehe sich auf das Schießen und Töten von Feinden.

Treffen mit dem „Außenminister“ von al-Qaida

Im Juli 2010, so berichteten Ahmad S. und Rami M. später in Vernehmungen, trafen sie den „Außenminister“ der Terrororganisation, Mohamad Younis. Der Mauretanier weihte sie, wenn auch unkonkret, in Pläne ein, ein Netzwerk in Europa aufzubauen. „Was wir im Kopf haben, da kommt nicht mal der Teufel drauf“, soll er gesagt haben. Deutsche Nachrichtendienste versetzte der Satz in helle Aufregung.

Nach Younis' Plänen, so die Anklage, sollten Naamen M. und Shahab Dashti zunächst in den Iran. Dashti, der unter dem Kampfnamen Abu Askar in einem Propagandavideo unverhüllt mit einem riesigen Messer zu sehen war, sollte sich einer Gesichtsoperation unterziehen. Ahmad S. und Rami M. sollten sich laut Bundesanwaltschaft in Deutschland bereithalten. Terrorexperten vermuten, dass sie Mitstreiter für Anschläge rekrutieren sollten.

Dazu kam es nicht. Rami M. wurde in Islamabad vom pakistanischen Geheimdienst festgenommen. Ahmad S., der seine Rückreise nach Deutschland von Kabul antreten wollte, griffen am 4. Juli 2010 die Amerikaner auf. Fast zehn Monate hielten sie ihn in ihrem Gefangenenlager in Baghram fest. Im April 2011 kam er nach Deutschland. Seitdem ist er in Untersuchungshaft.

Belastende Aussagen des einstigen Gefährten

Wenn das Gericht die Vorwürfe gegen ihn für korrekt erachtet, muss Ahmad S. mit einer langen Haftstrafe rechnen. Es sieht nicht gut aus für ihn. In abgehörten Telefonaten sprach er freimütig über die Zeit in den Terrorcamps.

Gegenüber der Polizei hat er seinen Aufenthalt bei IBU und al-Qaida eingeräumt. Zwar bestritt er, an Kämpfen beteiligt gewesen zu sein. Doch die Aussagen seines verurteilten einstigen Gefährten Rami M. belasten ihn schwer.

Der Prozess besiegelt das Ende der Hamburger „Reisegruppe“. Drei der Islamisten wurden bereits bei ihrem Ausreiseversuch festgenommen. Shahab Dashti alias Abu Askar starb bei einem Drohnenangriff der Amerikaner. Ahmads jüngerer Bruder wartet auf sein Verfahren. Rami M. verurteilte das Frankfurter Oberlandesgericht im Mai vergangenen Jahres zu viereinhalb Jahren Haft.

Er kannte Attentäter des 11. September

Unklar ist der Verbleib von Naamen M. Zuletzt hieß es, er sei im Iran. Unbestätigten Informationen zufolge soll er mittlerweile ins afghanisch-pakistanische Grenzgebiet zurückgekehrt sein. M. ist ein Urgestein der Hamburger Dschihadisten-Szene. Er kannte einige der Attentäter des 11. September 2001 und gilt als durch und durch ideologisiert.

Der Angeklagte sagte vor Gericht, er habe Kontakt zu Mounir El Motassadeq gehabt und ihn kennengelernt, als er selbst auf dem Hamburger Flughafen arbeitete. Motassadeq verbüßt als Helfer der Todespiloten vom 11. September 2001 in Hamburg eine 15-jährige Haftstrafe. Als Motassadeq 2002 in Wuppertal in Haft war, habe er dessen Vater dorthin gefahren.

Der heute 37-Jährige kam nach eigenen Angaben 1990 mit einem Teil seiner Familie nach Deutschland, machte in Hamburg seinen Realschulabschluss und musste dann ein Gymnasium nach kurzer Zeit wegen Visa-Problemen wieder verlassen. Von 1997 bis 2006 habe er für einen Reinigungsdienst am Flughafen gearbeitet und sich dann mit einem Reisebüro selbstständig gemacht.

Ganz vorüber ist die Bedrohung, die Thomas de Maizière zu seiner Terrorwarnung veranlasste, nicht.

( dapd/dpa/hdr )