Steif steht Staatsministerin Cornelia Pieper (FDP) am Freitag vor einem vollen Hörsaal in der Berliner Charité. Links neben ihr liegen 20 namibische Totenschädel, die Deutsche während der Kolonialzeit zu Forschungszwecken nach Berlin gebracht haben.
Deutsche Anthropologen hatten die Schädel zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Deutschland gebracht, um an ihnen zu forschen. Ihr Ziel war es, rassistisches Gedankengut wissenschaftlich zu untermauern. Die getöteten Herero und Nama waren Opfer deutscher Kolonialtruppen. Nach einem Aufstand der Herero im Januar 1904, bei dem 123 Deutsche ums Leben kamen, gingen die Kolonialherren damals unbarmherzig gegen die Ureinwohner vor. Auf der Flucht in das Nachbarland Botswana starben tausende Herero; von ursprünglich etwa 80.000 erreichten lediglich rund 15.000 das Nachbarland. Deutschland war ab dem späten 19. Jahrhundert 40 Jahre lang Kolonialmacht in Namibia gewesen.
Kurz vor ihrem Redebeitrag wurden die Köpfe nach über 100 Jahren von der Charité an das namibische Volk zurückgegeben. Jetzt liegt es an Pieper, als Vertreterin der Bundesrepublik die Worte finden, die das im Herzen verwundete namibische Volk beschwichtigen sollen. Dieses Vorhaben misslingt.
Als einzige Rednerin dieses Nachmittages hält sie ihre Rede auf Deutsch, nicht auf Englisch. Mit monotoner Stimme liest die FDP-Politikerin ihre Rede ab. Die Pausen, in denen die Übersetzer ihre Aussagen übersetzen können, machen alles noch schlimmer. Deutschland würde seine „historische und moralische Verantwortung“ für Namibia kennen und wahrnehmen, sagt sie. Das ist nichts Neues. Es folgt ein Abriss der deutschen Geschichte während der Kolonialzeit.
Demonstranten fordern lautstark Entschuldigung
Irgendwann wird es einigen Besuchern, die am Rand Zettel mit der Forderung „Reparation now!“ („Entschädigung jetzt!“) hochhalten, zu viel. Mitten in die Rede brüllen sie ihre Forderung nach einer Entschuldigung gegenüber dem namibischen Volk. Regungslos und monoton redet Pieper weiter in ihr Mikrophon.
Nur einmal, als die Rufe besonders laut und zahlreich durch den Raum hallen, sagt sie: „Wir sind ein Land der freien Rede und des freien Wortes, und wenn sie sich meine Rede geduldig bis zum Ende anhören, werden sie sicher auch noch Worte der Versöhnung hören.“ Das beschwichtigt die Demonstranten. „Okay!“, ruft einer und wird still.
Doch die Hoffnungen, die die Politikerin mit ihrer Aussage geweckt hatte, werden rasch enttäuscht. Die geforderte Entschuldigung kommt nicht. „Im Namen der Bundesregierung bitte ich sie um Versöhnung“, sagt sie stattdessen. Wie eine Artistin auf einem Hochseil windet sich die Politikerin um die entscheidenden Worte „Entschuldigung“, „Völkermord“ und „Entschädigung“.
Konkretere Aussagen macht Pieper nur im eigenen Namen, nicht als Vertreterin der Bundesregierung: „Ich möchte Ihnen gegenüber auch ganz persönlich mein tiefes Bedauern, meine Scham ausdrücken.“ Sie gedenke „mit Hochachtung“ der gestorbenen Menschen.
Von Sonderbeziehungen und Touristen
Besonders bizarr wird die Situation, als Pieper die „Sonderbeziehung“ zwischen Namibia und Deutschland lobt. Als erstes Beispiel für die enge Verbindung zwischen namibischen und des deutschen Bürgern nennt sie die Tatsache, dass die Deutschen die „größte Gruppe von Touristen in Namibia stellen“.
Wenige Minuten später ist die Rede von Pieper zu Ende. Die Anwesenden machen ihrer Enttäuschung über ihren Auftritt Luft und buhen sie aus. Die namibische Delegation verhält sich ruhig. Dann geschieht etwas Unerwartetes: Noch bevor der erste Vertreter der namibischen Regierung eine Rede halten kann, dreht sie sich um und geht.