Die Studie “Bildungsmonitor 2011“ stellt Berlin in vielen Bereichen ein schlechtes Zeugnis aus: Es reicht nur für den letzten Platz. Dennoch sieht sich der Senat auf dem richtigen Weg.

Berlin ist wieder einmal Schlusslicht. Im bundesweiten Vergleich der Bildungssysteme belegt die Hauptstadt erneut den letzten Platz. Spitze sind dagegen Sachsen und Thüringen, wie der „Bildungsmonitor 2011“ des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) ergab. Die beiden Bundesländer haben somit Vorbildcharakter für die anderen 14. Während Sachsen auf einer Skala von null bis 100 Punkten 83,6 Punkte erreichte, konnte Thüringen 80,7 Punkte erzielen. Berlin kam dagegen nur auf 62,7 Punkte. Für Brandenburg reichte es mit 66,2 Punkten nur für Platz 13.

Die Hauptstadt schneidet so schlecht ab, weil es vor allem Probleme bei der Integration und der beruflichen Bildung gibt. Auch kämpft Berlin der Studie zufolge nur schlecht gegen die Bildungsarmut. So verlassen noch immer zu viele Jugendliche die Schule ohne Abschluss (neun Prozent). Bei den jungen Menschen ausländischer Herkunft sind es 16,4 Prozent.

Der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg ist in Berlin besonders groß. Die Hauptstadt hat die niedrigste Quote an Ausbildungsplätzen bundesweit, zudem bestehen deutlich weniger Lehrlinge die Abschlussprüfung: Die Quote ist niedriger als der Bundesschnitt.

Gravierende Schwierigkeiten

Besonders gravierend sind die Schwierigkeiten bei der Integration von Kindern nicht deutscher Herkunft. Von 100 möglichen Punkten erreichte die Hauptstadt hier nur 37,9 Punkte und ist damit Schlusslicht. Hamburg hingegen – ebenfalls ein Stadtstaat mit vielen Brennpunkten – erzielte bei der Integration 80,3 Punkte und belegte im bundesweiten Vergleich den zweiten Platz. Bremen kam mit 64,7 Punkten immerhin auf Rang acht.

Inge Hirschmann, Vorsitzende des Berliner Grundschulverbandes, gibt zu bedenken, dass die Rahmenbedingungen immer dann schwieriger sind, wenn der Anteil der Migrantenkinder an einer Schule höher ist als der der deutschsprachigen Kinder. Das sei an vielen Schulen in Berlin der Fall. Allerdings sei der Vergleich mit den anderen Stadtstaaten interessant, sagt Hirschmann. „Es lohnt sich, genauer hinzusehen, was man von den anderen lernen kann.“

In Bremen etwa gebe es Beratungszentren für Familien und Ferienförderung für Schulkinder, sagt sie. In Hamburg sei man bei den Sprachförderkonzepten weiter. Auch Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) verlange im Rahmen seines Qualitätspakets ab diesem Schuljahr von allen Berliner Schulen mit hohem Migrantenanteil Sprachförderkonzepte. Doch bei der Erstellung der Konzepte würden die Schulen alleingelassen, sagt die Vorsitzende des Grundschulverbands. Die Grundschulen würden sich mehr Unterstützung wünschen. Schon die Einrichtung eines Elterncafés scheitere oft an bürokratischen Hürden.

Schlechte Ausgangsbedingungen

Auch Franziska Giffey (SPD), Bildungsstadträtin in Berlins Problembezirk Neukölln, weist auf die schlechten Ausgangsbedingungen der Hauptstadt hin. In ihrem Bezirk gebe es sehr viele Migrantenkinder mit Sprachschwierigkeiten, aber auch viele Kinder aus sozial schwachen Familien. „Mindestens jedes zweite Neugeborene wächst in einer Familie auf, die Hartz IV bezieht“, sagt Giffey. Es gebe viele Schulen, an denen 80 bis 90 Prozent der Schüler von der Zuzahlung zu Lernmitteln befreit seien. Bei den Schuleingangsuntersuchungen würden bei mehr als 60 Prozent der Kinder Entwicklungsauffälligkeiten festgestellt.

Große Probleme hätten diese Kinder mit der Sprache, viele seien zudem verhaltensauffällig, hätten motorische Defizite oder seien in ihrer kognitiven Entwicklung zurückgeblieben, sagt Neuköllns Bildungsstadträtin. „Verglichen mit diesen Schwierigkeiten haben die meisten anderen Bundesländer wesentlich bessere Ausgangsverhältnisse.“ Giffey fordert deshalb, dass noch mehr Geld in die Ganztagsbetreuung der Schüler fließen muss. Auch sollte jede Grundschule eine Schulstation bekommen. Bisher hätten 16 von 37 Neuköllner Grundschulen eine solche Einrichtung, die sich um die Förderung der Kinder kümmere und mit Eltern arbeite. Um die Frühförderung der Kinder zu stärken, werde Neukölln am 1.September das erste Berliner Kompetenzzentrum für frühkindliche Bildung eröffnen, kündigt Giffey an.

Positive Entwicklung seit 2000

Erfreulich ist allerdings, dass Berlin sich seit dem ersten „Bildungsmonitor“ im Jahr 2000 deutlich verbessert hat. Die Stärken der Hauptstadt liegen vor allem in der Forschung. So hat Berlin die meisten Drittmittel eingeworben und die zweithöchste Habilitationsquote in Deutschland. Auch bei der Versorgung mit Ganztagsschulplätzen und Kitaplätzen gehört die Hauptstadt bundesweit zur Spitze.

Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) sagt dazu: „Wir müssen uns weiter anstrengen. Die Studie bescheinigt Berlin aber große Dynamik und positive Entwicklung.“ Die entscheidenden Veränderungen, wie Schulstrukturreform mit Ganztagsangeboten und dualem Lernen, würden erst in den nächsten Jahren sichtbar werden.

CDU-Bildungsexperte Sascha Steuer fordert den Berliner Senat auf, die Rahmenbedingungen zu verbessern, damit die Schulreform gelingen könne. Dazu gehörten Lehrerfortbildung sowie eine deutlich bessere personelle und sachliche Ausstattung aller Schulen. „Pädagogische Reformen sind nicht kostenneutral zu haben“, sagt Steuer. Die Bildungsexpertin der FDP, Mieke Senftleben, setzt sich für die Förderung der vorschulischen Bildung ein. Nur so könnten die Startchancen aller Kinder verbessert werden.

Westen kann vom Osten lernen

Insgesamt betrachtet haben sich bundesweit Kindergärten, Schulen, Berufsschulen und Hochschulen in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. „Bei der Bildung kann der Westen Rat im Osten suchen“, sagt Studienleiter Axel Plünnecke. Die Länder dort hätten den großen Einbruch der Schülerzahlen schon hinter sich. Sie hätten trotzdem Geld im System gelassen, um die Qualität zu verbessern. „Und sie haben ihre Kraft nicht mit Strukturdiskussionen vergeudet“, sagt Plünnecke.

Sachsen und Thüringen blieben nach der Wiedervereinigung beim zwölfjährigen Abitur. Sie mussten also nach dem Beschluss der Kultusminister im Jahr 2000, die Abiturzeit deutschlandweit um ein Jahr zu verkürzen, nichts ändern. Auch das zweigliedrige Schulsystem ohne Hauptschule, das derzeit vor allem in Bayern und Baden-Württemberg heftig diskutiert wird, ist im Osten Deutschlands bereits seit DDR-Zeiten Realität.

Im „Bildungsmonitor“ untersucht das IW seit 2004 im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) anhand von mehr als 100 Indikatoren die Bildungssysteme der Bundesländer. Gemessen werden sollen Fortschritte auf dem Weg zu mehr Bildungsgerechtigkeit und Wirtschaftswachstum. Pluspunkte gibt es für Plätze an Ganztagsschulen, kleine Klassen oder hohe Ergebnisse in den Pisa-Tests. Abzüge bringen Schulabbrecher, Sitzenbleiber oder ungelerntes Personal in Kindergärten.

Insgesamt nehme Deutschland unter den Euroländern mit seinem Bildungssystem einen „guten vorderen Platz“ ein, sagt Plünnecke. Die internationalen „Top-Staaten“ Kanada, Finnland und Schweiz seien aber noch nicht erreicht.