“Warum verschenkst du ein Jahr deines Lebens?“ Das wird Philipp Greiner immer wieder gefragt. Er hat sich für den neuen Bundesfreiwilligendienst entschieden. Nicht alle verstehen den Schritt. Doch Sozialverbände brauchen Helfer wie ihn.

Es gibt diesen einen Satz, den Philipp Greiner nicht mehr hören kann: „Warum verschenkst du denn ein Jahr deines Lebens?“ Lehrer, Freunde, Bekannte fragen den 20-Jährigen dies, seitdem er sich entschieden hat, nach dem Abitur nun ein Jahr den Bundesfreiwilligendienst zu machen.

Über 100 Schüler sind in seinem Abschlussjahrgang am Gymnasium im brandenburgischen Luckenwalde. Doch nach allem, was Greiner weiß, wird nur er in diesem Sommer den neuen Dienst anfangen, den viele nur BFD nennen.

Er weiß noch nicht, wo er im Leben hinwill

Greiner weiß noch nicht ganz genau, wo er im Leben einmal hinwill. Anstatt gleich nach der Schule die Karrierespur zu nehmen, dreht Greiner eine Runde und hilft kranken Menschen bei der Aids-Hilfe Berlin. „Ich interessiere mich nicht nur für das, was vor meiner Haustür liegt“, sagt Greiner.

„Ich bin sehr behütet aufgewachsen und wollte irgendwie schon immer denen helfen, die es nicht so gut getroffen haben. Ich verschenke kein Jahr.“

Als Mitte Mai Bundesfamilienministerin Kristina Schröder den Startschuss für eine Werbekampagne für den BFD gab, unterzeichnete Greiner vor den Fernsehkameras als erster junger Mann einen symbolischen Vertrag. Schröder, kurz vor ihrer Babypause, hielt eine kleine Lobeshymne auf die Bundesfreiwilligen, auf ihr „Engagement für die Allgemeinheit“, sie rief eine „neue Kultur der Freiwilligkeit aus“.

Die CDU-Politikerin sprach vom „Zivi“, den alle so gern hatten, den es bald aber nicht mehr gibt. Und sie sagte, vielleicht rede man bald ja genauso herzlich vom „Bufdi“. An diesem Tag wurde Philipp Greiner Bufdi Nummer eins.

Für das Allgemeinwohl einsetzen

Der BFD startet am 1. Juli als ein Ersatz für den Zivildienst , der wegen des vorläufigen Wegfalls der Wehrpflicht entfällt. Männer und Frauen fast jeden Alters können sich zwischen sechs und 24 Monaten für das Allgemeinwohl einsetzen.

Sie erhalten dafür ein Taschengeld von etwa 330 Euro pro Monat plus Sozialversicherung. Der Bund plant mit 35.000 Freiwilligen pro Jahr. Doch hier hakt es noch. In den vergangenen Wochen haben die Sozialverbände Alarm geschlagen, weil die Bewerberzahlen hinter den Vorstellungen zurückblieben.

Weil der BFD ein Ergebnis der eilig beschlossenen Bundeswehrreform ist, blieben dem Familienministerium nur wenige Monate, um den Nachfolger für den Zivildienst auf den Weg zu bringen. Aus einer Pflicht musste in Kürze ein freiwilliges Engagement werden.

Schröder war deshalb schon vor Wochen klar, „dass man den Zivildienst nicht eins zu eins ersetzen kann“. Und dass die benötigten 35.000 Freiwilligen „nicht zum 1. Juli auf der Matte stehen werden“.

Ministerium dämpfte immerzu die Erwartungen

Vielleicht auch weil ihr Ministerium die Erwartungen immerzu dämpfte, hält es den bisher schleppenden Anlauf keinesfalls für ein Fiasko. Bereits vor ein paar Wochen meldete das Haus von Schröder, dass es mit der Zahl der bisherigen Anmeldungen „zufrieden“ sei. Der parlamentarische Staatssekretär Hermann Kues (CDU) sagte vor ein paar Tagen: „Dass die Bewerber ausbleiben, ist schlicht eine Fehlermeldung, die sich hartnäckig hält.“

Die Situation scheint sich wirklich zu entspannen. Die Sozialverbände geben zwar keine Entwarnung, melden aber zum Teil einen deutlichen Anstieg der Bewerberzahlen. „Die Nachfrage zieht gerade deutlich an“, sagt etwa Juliane Meinhold, Referentin für Freiwillige und Lerndienste im Paritätischen Gesamtverband Deutschland.

„Wir bekommen gute Rückmeldungen von den Trägern vor Ort.“ Aktuelle Zahlen belegen diesen Trend allerdings noch nicht. Bei der letzten Erhebung Ende Mai hatten erst 500 einen Vorvertrag unterschrieben. Der Verband hofft allerdings langfristig auf etwa 6000 Freiwillige, was etwa der Hälfte der bisherigen Zivildienststellen entspricht. „Diese Zahl werden wir nicht zum 1. Juli erreichen“, schätzt Meinhold. Ende des Jahres plane sie mit 1000 Freiwilligen.

Nachfrage nach Freiwilligendiensten läuft erst Juni an

Auch der Diakonie-Bundesverband und der Deutsche Caritasverband verweisen darauf, dass die Nachfrage nach Freiwilligendiensten üblicherweise erst ab Juni anläuft. „Wenn wir Ende Mai erst 50 Vorverträge unterschrieben haben“, sagt Caritas-Sprecherin Claudia Beck: „Dann bedeutet das nicht: Oh je, da kommt keiner.“

Insgesamt bietet die Caritas 1900 Stellen. Für die 7500 Stellen bei der Diakonie gibt es bisher Hunderte Bewerber. Beck verweist darauf, dass die Gesetzeslage für den neuen Dienst lange unklar war, dass es erst seit ein paar Wochen Vertragsformulare gebe, dass die Werbekampagne des Bundes erst spät gestartet sei: „Es braucht wahrscheinlich noch Zeit, bis sich der Freiwilligendienst in der Gesellschaft verankert hat.“

Noch ist der neue Dienst wenig bekannt. Eine Umfrage des Radiosender WDR 5 ergab, dass nur 58 Prozent der 15- bis 30-Jährigen davon wissen. Kaum mehr als ein Drittel erwartet, dass sich genug Interessierte für freiwillige Dienste in sozialen, kulturellen, sportlichen Einrichtungen und Organisationen oder für den Naturschutz finden. Immerhin jeder Dritte kann sich vorstellen, einen solchen Dienst zu leisten.

Generation der karriereorientierten Lebensläufe

Tatsächlich legt Philipp Greiners Generation Wert auf karriereorientierte Lebensläufe. Die Einführung der spezialisierten Bachelor- und Master-Studiengänge sowie ein vorgezogener Berufseinstieg erfordern eine frühzeitige Orientierung. Zudem drängen mehr Abiturienten an die Hochschulen und erhöhen den Konkurrenzdruck.

Greiner will anders sein: „Ich habe etwas gegen dieses Lebenslauf-Tuning, wenn es nicht von Herzen kommt.“ Ihm gehe es nicht darum, „krasse Sachen“ aufzulisten. „Es sollte im Lebensweg doch irgendwie um Ideale gehen. Weniger darum, was man etwa mit einem Praktikum später machen kann.“

Das sind eher ungewöhnliche Töne von einem, bei dem im Lebenslauf steht: Schülersprecher und stellvertretender Kreisvorsitzender der Jungen Union.

Greiner bewundert gleichwohl Freunde, die schon genau wissen, was sie in ein paar Jahren machen wollen: „Ich bin mir irgendwie noch nicht ganz sicher.“ Sehr wahrscheinlich will er Jura studieren, dann vielleicht in die Politik.

Das Familienministerium ist gelassen

Das Familienministerium sieht den kommenden Wochen gelassen entgegen: Das Haus teilte mit, dass es zum Start im Juli keinen großen Unterschied zwischen der Zahl der Freiwilligen und den 19.700 Zivildienstleistenden geben wird, die derzeit im Dienst sind.

Die neuesten Zahlen will das Ministerium am kommenden Donnerstag, also einen Tag vor dem Beginn des Freiwilligendienstes bekannt geben. Einen Pflegenotstand werde es demnach nicht geben. Tausende Zivis hätten verlängert, über 1000 Verträge seien bereits unterzeichnet.

Doch für den Caritasverband etwa ist auch klar, dass es „ein paar Angebote wohl nicht mehr geben wird“, sagt Sprecherin Beck. Das betreffe aber keine Kernbereiche. Denn „Zivis waren immer zusätzliche Kräfte, die Extrasachen etwa mit Behinderten oder alten Menschen machen konnten“.

Eine Hilfe wird er in jedem Fall sein

Bald wird Philipp Greiner täglich mit schwer- und zum Teil todkranken Menschen zu tun haben. Eine Hilfe wird er in jedem Fall sein. Wie er das allerdings verkraften wird, weiß er noch nicht. Auch die Erfahrung dieser Unsicherheit interessiert ihn.

Greiner erzählt schließlich noch von einem Buch, in dem jeder Abiturient seiner Schule Wünsche äußert: „Da steht oft: viel Geld, ein großes Haus.“ Greiner hat in seinem Beitrag geschrieben, er würde gerne einmal um die Welt reisen.