72. Jahrestag der Reichspogromnacht: Der Zentralrat der Juden beklagt, dass der Antisemitismus “in der Mitte der Gesellschaft salonfähig geworden“ sei.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland fordert anlässlich des Jahrestages der Reichspogromnacht am 9. November ein verstärktes Vorgehen gegen den Antisemitismus. Die Lage sei „bedrohlich“, sagte der Zentralrats-Generalsekretär Stephan Kramer. Juden seien in Deutschland „Objekt von Hass und Verleumdungen“.

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 hatten Nationalsozialisten in Deutschland Synagogen in Brand gesetzt sowie Geschäfte und Wohnungen jüdischer Bürger zerstört. Zahlreiche Menschen wurden getötet. Die Pogromnacht steht für den Beginn der systematischen Verfolgung und Vernichtung der Juden in Deutschland und weiten Teilen Europas durch die Nazis.

CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe bezeichnete den 9. November als einen „Schicksalstag für uns Deutsche“. Er fügte hinzu: „Mit großer Dankbarkeit erinnern wir uns an den Fall der Mauer vor 21 Jahren, mit tiefer Trauer und Scham gedenken wir der Reichspogromnacht vor 72 Jahren.“ Die Erinnerung an diese beiden Ereignisse mahne dazu, jeden Tag aufs Neue für Freiheit, Menschenwürde, Rechtstaatlichkeit und Demokratie einzustehen.

Die Grünen-Fraktionsvorsitzenden Renate Künast und Jürgen Trittin nannten den 9. November einen „Tag der Warnung und Mahnung“. Sie fügten in einer gemeinsamen Mitteilung hinzu: „Wir dürfen die Verbrechen der Nazis an den Juden in Deutschland in der Pogromnacht 1938 nie vergessen.“ Auch der Jahrestag des Falls der Mauer stehe dafür, dass Menschenwürde und Bürgerrechte „an allen Tagen im Jahr erstritten und gesichert werden“ werden müssten.

"Brauner Gedankensumpf"

Kramer warnte, der Antisemitismus sei wieder „in der Mitte der Gesellschaft salonfähig geworden“. Die Debatte über die umstrittenen Integrationsthesen des früheren Bundesbank-Vorstandsmitglieds Thilo Sarrazin habe den entsprechenden „Trend“ bestätigt. Kramer fügte hinzu: „Im Bereich des Rechtsextremismus wird der Hass auf alle, die als ’fremd’ bezeichnet werden, immer deutlicher artikuliert. Das enthemmt auch rechtsextremistische Antisemiten, die sich in ihrem braunen Gedankensumpf bestätigt sehen.“

Kramer verlangte einen „nationalen Aktionsplan“ gegen Extremismus. Notwendig sei zudem „eine gemeinsame Allianz der Demokraten für unsere Demokratie“. Dabei gehe es „um eine bessere Erziehung zum Respekt miteinander“. Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden mahnte: „Andere Kulturen, Religionen und Lebensanschauungen müssen als Bereicherung, Chance und Herausforderung und nicht als Bedrohung erlebt und erlernt werden.“ Das Schulwesen, die Jugendarbeit und die Erwachsenenbildung müssten deshalb mehr Wissen über die in Deutschland lebenden Minderheiten und Religionsgruppen vermitteln.

Debatte über NPD-Verbot

Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz forderte ein Verbot der NPD. Allerdings könne er wegen der ablehnenden Haltung bei Union und FDP nicht erkennen, dass es in den zuständigen Verfassungsorganen eine Mehrheit für ein neues Verbotsverfahren gebe. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Christoph Bergner (CDU), mahnte: „Wir müssen in jedem Fall vermeiden, dass wir noch einmal vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern. Bei uns herrscht da große Skepsis.“

Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Hövelmann (SPD) entgegnete: „Ich glaube, dass das, was wir zusammengetragen haben an Belegen für die Verfassungsfeindlichkeit der NPD und das entsprechende Handeln der Führungskräfte der NPD, der Schlägertrupps und der Kameradschaften reicht, um ein Verbotsverfahren erfolgreich führen zu können.“ Der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach warnte jedoch, ein Verbotsverfahren werde sich über zwei oder drei Jahre hinziehen, „in denen wir die V-Leute abschalten müssten und in denen wir sicherheitspolitisch im Blindflug wären.“