Die Niederländer sind für ein Burka-Verbot, arrangieren sich mit Geert Wilders, und Hausbesetzungen stehen plötzlich unter Strafe.

Holland ist noch Holland. Zumindest hier, wo sich der unverwechselbare Duft von Marihuana mit den Abgasen der Schiffe auf der träge dahinfließenden Maas mischt. Es gibt Sex-Shops, Büros für Sozialprojekte und viel Leerstand am Maas-Ufer von Venlo, was wohl hauptsächlich daran liegt, dass nebenan ein ganz neuer Stadtteil entsteht. Und es gibt kleine Geschäfte von Einwanderern: Chinesen, Marokkaner, Türken. Sie laufen über die Straße, haben es dabei nicht sonderlich eilig. Man traut es sich kaum zu sagen, aber viele von ihnen sind Muslime. Muslime in den Niederlanden, werden die nicht gerade aus dem Land gejagt?

"Es geht uns gut“, sagt ein türkischer Friseur in der Mittagspause, „warum sollte es uns schlecht gehen?“, und dann fängt man aber doch mal von Geert Wilders an, der in Venlo schließlich aufgewachsen ist und nun alle Muslime in die Nordsee treiben wolle, wie man hört, berichtet zuletzt auch von den Sorgen des außenpolitischen Sprechers der deutschen CDU-Fraktion, Ruprecht Polenz. Der Friseur hört aufmerksam zu. "Wie heißt der Mann?“ "Polenz, Ruprecht.“

"Das ist ja nett von dem Mann, dass er sich Sorgen um uns macht, aber da besteht kein Anlass zu.“ Nicht, dass er für Wilders wäre, und dessen Hass auf den Islam sei furchtbar, aber letztlich müsse man erst mal sehen, was die neue Regierung macht. "Und schließlich leben wir in einer Demokratie, oder?“ Nieselregen setzt ein, Erdem Güner geht in sein Geschäft zurück. Seit mehr als 30 Jahren lebt er in den Niederlanden, leicht hat er es nicht gehabt, er wird auch Wilders überstehen, sagt er und setzt erst einmal noch Kaffee auf. "Ich hoffe es zumindest“, fügt er nach einer Weile hinzu. Ganz sicher ist er sich offenbar doch nicht.

Die Niederlande bekommen einen neuen Ministerpräsidenten und sein Name ist nicht Wilders. Man vergisst das in diesen Tagen leicht, denn es ist Wilders, der mit seinen wasserstoffblonden Haaren und dem überlegenen Lächeln allgegenwärtig zu sein scheint. Nicht nur, dass er sich und seine Freiheitspartei im "Zentrum der Einflussnahme“ sieht, das war eigentlich schon immer so. Diesmal aber stimmt es: Große Teile des Koalitionsvertrages der niederländischen Rechtsliberalen und Christdemokraten stammen von ihm, einem Mann, der den Koran mit Hitlers "Mein Kampf“ gleichsetzt und in jungen Marokkanern "islamische Straßenterroristen“ sieht. Der einfache Lösungen für schwerwiegende Probleme zu haben scheint und genüsslich dem politischen Establishment den Mittelfinger zeigt, wofür ein großer Teil der Niederländer ihm Beifall zollt.

Linke sehen deshalb in der kommenden Regierung, die der Parteitag der Christdemokraten am Samstag nach kontroverser Diskussion absegnete, eine Kulturrevolution von rechts, bangen um ihre von Freiheitsliebe und vor allem Toleranz geprägten Niederlande. In der "Zeit“ hofft der Schriftsteller Geert Maak auf internationale Aufsicht, auf Druck von außen. "Wir brauchen das jetzt.“ Und kann sich dabei auf seine deutschen Nachbarn verlassen: Bundeskanzlerin Angela Merkel bedauerte vor dem Europaausschuss des Bundestages die Regierungsbildung und sagte: "Wir müssen innerhalb Europas einfach akzeptieren, dass die Regierungsbildung souveräner Länder die Zusammenarbeit in Europa nicht völlig aufkündigen darf.“

Eine Unhöflichkeit war dies eh, zu Recht fragt der niederländische „Telegraaf“, was es Frau Merkel denn angehe, „wie wir unsere Regierung bilden“, zudem spielt sie Wilders aber noch in die Karten. „Frau Merkel, Sie haben kein Recht“, sagte er am Donnerstag in gebrochenem Deutsch auf einer Pressekonferenz prompt und sprach dem niederländischem Volk, den „Henks und Ingrids“, wie er sie gern nennt, aus der Seele.

Dem alten und wohl auch neuen Außenminister Maxime Verhagen hingegen blieb nur übrig zu sagen, dass sich an der fruchtbaren Zusammenarbeit der Nachbarländer nichts ändern werde. Und der Christdemokrat, dessen Partei bei der Wahl vor drei Monaten einen Verlust von mehr als zwölf Prozentpunkten zu verbuchen hatte, verwies auf die „persönlichen“ Kontakte zu Merkel. Politisches Kapital gewinnt man in den Niederlanden heutzutage anders.

Denn laut einer aktuellen Umfrage sind 57 Prozent der Niederländer für die neuen Verhältnisse. Die Umfrage ergab zudem, dass 70 bis 80 Prozent der Befragten Maßnahmen gegen Einwanderung aus nicht westlichen Ländern befürworten und Migranten zwingen wollen, sich voll in die Gesellschaft zu integrieren. Das umstrittene Burka-Verbot etwa wird danach von 71 Prozent der Niederländer unterstützt. Beinahe scheint es, als sei das Vorzeigeland der Multikulti-Anhänger von einem Tag auf den anderen im Meer versunken. Dass Hausbesetzungen in den Niederlanden seit Freitag illegal sind, mag da erschwerend hinzukommen.

Es ist nicht einfach in Wilders’ Heimat jemanden zu finden, der zugibt, ihn auch gewählt zu haben. Dabei hat er gerade hier im katholischen Süden des Landes seine Anhängerschaft, dort, wo die wenigsten Einwanderer zu finden sind. Paul Roumans aber hat ihn gewählt und ist mit der neuen Situation ganz zufrieden, auch wenn er sich wünschen würde, dass Wilders direkt an der Regierung beteiligt wäre.

Er sitzt in einem Café am Marktplatz, und seiner Frau ist das ein bisschen peinlich. „Ich habe nichts gegen Türken“, sagt sie, und auch ihr Mann nickt heftig. Es gehe ihm ja auch nicht um die Menschen, die seit Jahren in den Niederlanden wohnen, aber irgendwann sei es auch einfach genug, sagt er. „Ich fühle mich manchmal fremd im eigenen Land“, fügt er hinzu.

Und dann rekapitulieren sie die vergangenen Jahre, zunächst die Morde an Theo van Gogh und Pim Fortuyn, doch dies sei nicht das Entscheidende für den Erfolg von Wilders. „Es geht um die Politik, die er macht“, sagt Roumans.

So hat Wilders niedrigere Steuern, Rente mit 65, neue Straßen und mehr Polizisten angekündigt und will dafür "linke Haager Hobbys“ wie Sozialleistungen für Einwanderer, den öffentlichen Rundfunk, Entwicklungshilfe und horrende EU-Beiträge abschaffen. Vieles von dem, was Wilders fordert, findet sich auch bei den anderen Parteien wieder. Doch das besondere Talent des "Mozarts der Politik“, wie er von Anhängern bewundernd und von Gegnern spöttisch genannt wird, ist es wohl, klar zu benennen, was viele Niederländer denken.

"Es ist das Poldermodell, mit dem die meisten Niederländer nichts mehr anfangen können“, sagt hingegen ein Student in der Stadt und meint damit die auf breiten Konsens angelegte politische Kultur in den Niederlanden. Die und die wechselnden Koalitionen ohne klare Mehrheiten der Vergangenheit hätten zur Folge, dass die Menschen auf der einen Seite Den Haag als eine Gruppe von Eliten wahrnehmen, in der eh alle gleich sind, und auf der anderen Seite jemanden wie Wilders, der die Konfrontation sucht, der polarisiert. "Es gibt keinen Grund, Wilders zu wählen“, sagt der Student, doch auch er sagt, es wäre vielleicht besser gewesen, ihn wirklich an der Regierung zu beteiligen. "Jetzt ist er Opposition und Regierung gleichzeitig.“

Der Student hofft nur, dass der Wilders-Spuk bald ein Ende hat, aber dass die kommende Regierung an fehlenden Mehrheiten im Parlament scheitert, hofft er nicht. „Wenn das passiert, dann geht Wilders als Ministerpräsident aus Neuwahlen hervor.“ Im Moment soll der noch Mark Rutte heißen.