25 Jahre Tschernobyl

Umweltminister Röttgen warnt vor Atomenergie

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Claudia Ehrenstein
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Gedenken an Tschernobyl

In der Stadt Slavutych leben die Überlebenden des Reaktor-Unglückes von vor 25 Jahren.

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Anlässlich des 25. Jahrestages der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl hat Umweltminister Norbert Röttgen vor den Gefahren der Atomenergie gewarnt. Der Faktor Mensch sei "Teil des Restrisikos".

Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) hat den 25. Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl genutzt, um für einen raschen Umstieg auf erneuerbare Energien zu werben. Sonne, Wind und Biomasse seien „die moralisch, ökologisch und ökonomisch deutlich bessere Variante der Energieversorgung“, sagte Röttgen in Berlin. Zugleich warnte er vor den Gefahren der Atomenergie. Wo Menschen tätig seien, ließen sich „Fehler, Fahrlässigkeiten oder gar Vorsatz“ nie völlig ausschließen: „Der Faktor Mensch ist Teil des Restrisikos.“

Menschliches Versagen während einer Notfallübung hatte am frühen Morgen des 26. April 1986 zur Explosion des Reaktors in Tschernobyl geführt. „Die erschütternden Bilder von Strahlenopfern, flüchtenden Menschen und verwaisten Wohngebieten haben sich in unser Gedächtnis eingeprägt“, sagte Röttgen. Weltweit wurde gestern der Reaktorkatastrophe gedacht. In New York läutete UN-Chef Ban Ki-moon die Friedensglocke der Vereinten Nationen. In der ukrainischen Hauptstadt Kiew erinnerten 25 Glockenschläge an die Opfer. Der russische Präsident Dmitri Medwedjew forderte eine neue internationale Konvention zur atomaren Sicherheit und kündigte für das nächste Gipfeltreffen der acht wichtigsten Industriestaaten (G8) eine entsprechende russische Initiative an.

Russland baut neue Atommeiler

An der Atomenergie hält Russland aber weiterhin fest. Bis 2020 sollen zahlreiche neue Reaktoren ans Netz gehen. Auch in Japan wurde der Tschernobyl-Katastrophe gedacht. Regierungssprecher Yukio Edano sagte, die Erfahrungen mit dem russischen Reaktorunglück hätten der japanischen Regierung im Umgang mit dem Atomunfall von Fukushima geholfen, etwa bei den Evakuierungen und der Errichtung einer Sperrzone rund um die havarierten Reaktoren. Allerdings sei in Fukushima bislang nur ein Zehntel so viel Radioaktivität in die Umwelt gelangt wie vor 25 Jahren in Tschernobyl. Und auch das belastete Gebiet sei in Japan sehr viel kleiner.

Der Reaktorunfall von Tschernobyl markiere zumindest in Deutschland den Anfang vom Ausstieg aus der Atomenergie, sagte Norbert Allnoch, Direktor des Internationalen Wirtschaftsforums Regenerative Energien (IWR) in Münster. Damals fehlten noch einsatzfähige alternative Technologien. Heute produziert Deutschland rund 17 Prozent seines Stroms aus Sonne, Wind, Wasser und Biomasse. Dieser Trend, so hatten Atomkraftgegner befürchtet, drohte durch die von Schwarz-Gelb beschlossene Laufzeitverlängerung gebremst zu werden.

Nach dem Reaktorunglück im japanischen Fukushima im März dieses Jahres hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Neuausrichtung in der deutschen Energiepolitik vollzogen. Sie kündigte einen beschleunigten Umstieg auf erneuerbare Energien an und ließ die acht ältesten der 17 deutschen Meiler zunächst für drei Monate abschalten. Unterstützung erhält die Bundesregierung bei ihrem Kurs auch von der Opposition.

Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) nutzte den Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe, auf einen raschen Atomausstieg zu dringen. Ein Gesetz müsse sicherstellen, dass die acht abgeschalteten Meiler nicht wieder ans Netz gehen. „Der endgültige Atomausstieg muss bis spätestens im Jahr 2020 vollzogen sein“, forderte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Die noch nicht überwundene Atomkatastrophe von Fukushima zeige, „dass wir 25 Jahre lang nicht aus Tschernobyl gelernt haben“, kritisierte Wowereit.

Atomausstieg als Jobmotor

Die Risiken der Technologie seien in den vergangenen Jahren eher noch gestiegen, warnte auch der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD). Die Anlagen seien älter, störanfälliger und damit auch riskanter geworden. Der Super-GAU von Tschernobyl sei von vielen Menschen verdrängt worden, habe aber durch das Unglück in Japan auf tragische Weise wieder an Aktualität gewonnen. Die Atomkraft sei „letztlich nicht beherrschbar“, warnte Theresa Schopper, Landeschefin der bayerischen Grünen. SPD und Grüne halten einen Ausstieg aus der Atomenergie bis 2017 für durchaus machbar. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht im Umstieg auf erneuerbare Energien einen regelrechten Jobmotor. Schon jetzt sichert die Branche in Deutschland das Einkommen von rund 340.000 Menschen.

Mit der Diskussion um einen beschleunigten Atomausstieg ist auch der Streit über die Suche nach einem Endlager für hoch radioaktive Abfälle neu entbrannt. Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) forderte einen Vergleich des Salzstocks Gorleben mit anderen potenziellen Standorten. Sander brachte erneut ein „Endlagersuchgesetz des Bundes“ ins Gespräch, mit dem bereits die früheren Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) und Sigmar Gabriel (SPD) gescheitert waren. Der designierte baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) kündigte an, dass die künftige grün-rote Koalition die Festlegung allein auf den Standort Gorleben aufgeben wolle. Damit sei auch die Suche nach einem Endlager in Baden-Württemberg möglich. Ein Sprecher des bayerischen Umweltministeriums dagegen schloss ein Endlager in Bayern aus – nicht aus politischen, sondern aus geologischen Gründen.

Der Bund Naturschutz in Bayern (BN) beging den 25. Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe mit einer besonderen Feierstunde in Bamberg. Dort wurde ein Denkmal enthüllt: eine auf dem Rücken liegende Schildkröte, die die Hilflosigkeit des Menschen bei Atomkatastrophen symbolisieren soll. Nur Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi fand an diesem Tag auch lobende Worte für die Atomkraft: „Die Nuklearenergie ist die sicherste der Welt.“ Die jüngste Havarie in Japan habe nur geschehen können, weil die Reaktoren auf ungeeignetem Gelände errichtet worden seien.