Geheimdokumente

Wikileaks – USA hatten Informanten in der FDP

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Thorsten Jungholt
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Wikileaks und die Diplomatie

Die Internetsite Wikileaks hat Abertausende vertraulicher Nachrichten des US-Außenministeriums veröffentlicht.

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Ein FDP-Mitlgied soll die USA mit internen Informationen über die deustche Regierungskoalition versorgt haben. Nun stehen die Dokumente bei Wikileaks. Rund 1700 aus Berlin sind es.

Die Bundesregierung hatte reichlich Zeit, sich auf die Enthüllung diplomatischer Depeschen der Amerikaner durch das Internetportal Wikileaks vorzubereiten. Seit Wochen schon sind Vertreter der US-Administration in stiller Mission unterwegs, um die Partner in aller Welt gebührend zerknirscht auf die bevorstehende Veröffentlichung der vertraulichen Dossiers hinzuweisen. Die ansonsten sehr selbstbewusst auftretenden US-Diplomaten hätten sich dabei ausdauernd in der Kunst des Kotaus geübt, heißt es in deutschen Regierungskreisen.

Offiziell wurde Außenminister Guido Westerwelle (FDP) in dieser Woche über das amerikanische Datenleck informiert. Am Rande eines Treffens Westerwelles mit dem US-General David Petraeus am vergangenen Mittwoch in Berlin bat der amerikanische Botschafter Philip Murphy um ein Vier-Augen-Gespräch, in dem die „mutmaßlich bevorstehende Veröffentlichung interner US-Dokumente“ zur Sprache kam. Westerwelles Kollegin Hillary Clinton schließlich meldete sich am Freitag per Telefon, um ihr „Bedauern“ über die Datenpanne zum Ausdruck zu bringen, hieß es im Auswärtigen Amt. Allein aus der Berliner US-Botschaft, so berichtet der „Spiegel“, kommen mehr als 1700 der Geheim-Depeschen, die jetzt von Wikileaks veröffentlicht wurden. Der US-Botschafter in deutschland, Philip Murphy, von dem viele der Depeschen stammten, sagte Morgenpost Online, es gebe nun wohl „etwas zerbrochenes Porzellan“. Murphy fügte hinzu: „Aber wir werden das überleben.“

Die Bundesregierung hat sich auf einen Drei-Punkte-Plan verständigt, mit dem sie auf die Enthüllung reagieren will. In einer Nachtschicht sollten Sicherheitsexperten die am Sonntagabend veröffentlichten Berichte von „New York Times“, „Guardian“ und „Spiegel“, „El País“ und „Le Monde“, die bereits vorab Zugang zu dem Material hatten, analysieren. Das gleiche Verfahren greift, sobald Wikileaks die Originalpapiere ins Internet stellt. Kurz vor der Veröffentlichung der Dokumente berichtete Wikileaks jedoch von einer Cyber-Attacke auf seine Webseite. Die Webseite schien vorübergehend nicht erreichbar zu sein.

Die Experten der Bundesregierung sollen vornehmlich überprüfen, ob deutsche Staatsbürger irgendwo auf der Welt gefährdet sind. Minister Westerwelle hoffe, dass es „durch die Veröffentlichung der internen Dokumente zu keiner Beeinträchtigung von Sicherheitsinteressen unseres Landes oder befreundeter Länder beziehungsweise der Sicherheit deutscher Einsatzkräfte kommt“, heißt es im Außenamt.

Gleichzeitig beteuerte man in Regierungskreisen, die deutsch-amerikanischen Beziehungen würden durch die Panne nicht beschädigt. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, die Bundesregierung sei sich „in ihrer Beurteilung der jüngsten Aktivitäten von Wikileaks mit der US-Regierung einig“ und bedauere „die Veröffentlichung vertraulicher diplomatischer Berichte“.

Damit macht sich Deutschland die amerikanische Position zu eigen, die in einem Brief des Rechtsberaters des US-Außenministeriums, Harold Koh, festgehalten ist: Wikileaks habe kein Recht, die Dokumente zu veröffentlichen, und müsse den Plan stoppen, heißt es in dem Schreiben. Ansonsten würde das Leben ungezählter unschuldiger Menschen gefährdet, von Journalisten und Menschenrechtsaktivisten über Blogger und Soldaten bis hin zu Informanten. Auch laufende militärische Operationen gegen Terroristen, Menschenschmuggler und Waffendealer seien durch eine Veröffentlichung der Dokumente bedroht, schreibt Koh.

Drittens schließlich legte sich die Bundesregierung darauf fest, den Inhalt der Dokumente nicht zu kommentieren. Der Hintergedanke dabei: Man will die internen Papiere durch eine offizielle Stellungnahme nicht noch aufwerten. Daran kann vor allem Westerwelle kein Interesse haben. Denn nach Informationen der „Bild am Sonntag“ enthalten die Depeschen des Berliner US-Botschafters in die Heimat abschätzige Passagen über den Außenminister. Er werde als politisch geschwächt eingeschätzt, weil es seiner FDP nicht gelungen sei, Wahlversprechen durchzusetzen. Wenige Wochen nach dem Start der schwarz-gelben Koalition im Herbst 2009 kam man zu der Einordnung, der Vizekanzler müsse „seinen Job noch lernen“.

Diese Bewertungen entsprechen der damals vorherrschenden Meinungslage in der deutschen Medienlandschaft. Interessanter sind da schon die Passagen, von denen der „Spiegel“ in seiner versehentlich schon vorzeitig an die Kioske gelangten Schweizer Ausgabe berichtet. Drei Bilddateien, die die Titelseite sowie zwei Seiten des Berichts zeigen, waren darauf über den Mikrobloggingdienst Twitter.com von dem Nutzer Freelancer_09 online gestellt worden. Der User zitierte zudem Passagen aus dem Artikel.

Danach werde Westerwelle als „aggressiv“ eingestuft, er stehe den USA deutlich skeptischer gegenüber als der Altliberale Hans-Dietrich Genscher und habe seinen Posten nur bekommen, weil das Außenamt an die Rolle des Vizekanzlers gebunden sei. Bemerkenswert sind auch kundige Berichte aus den schwarz-gelben Koalitionsverhandlungen, die Botschafter Murphy nach Washington gekabelt haben sollen: Ein „junger, aufstrebender Parteigänger“ der FDP schilderte den Amerikanern minutiös, wie Westerwelle mit Wolfgang Schäuble (CDU) über die liberale Forderung des Abzugs von US-Atomwaffen aus Deutschland stritt.

Ebenfalls kritisch, aber etwas respektvoller fallen die Analysen der US-Diplomaten bezüglich der Bundeskanzlerin aus. Angela Merkel sei „unter Druck beharrlich, aber meidet das Risiko und ist selten kreativ“, heißt es an einer Stelle. Dann wird die CDU-Chefin wieder als „methodisch, rational und pragmatisch“ bezeichnet und die Schlussfolgerung gezogen, das Kanzleramt sei für Washington der bessere Ansprechpartner als das Außenamt. Noch positiver wird Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg eingeschätzt: Der CSU-Mann sei ein „enger Freund der USA“, der über Merkel klage und Westerwelle anschwärze.

Nun zählen solche von persönlichen Gesprächen und Eindrücken geprägten Depeschen, denen auch Klatsch und Berichte vom Hörensagen nicht fremd sind, zum natürlichen Aufgabenfeld einer Botschaft. Die Diplomaten versuchen damit, für das eigene Hauptquartier die politischen Motive fremder Regierungen zu enträtseln und versehen ihre Analysen mit Ratschlägen. Zur Position der Administration wird das Ganze dadurch noch nicht – ohne Auswirkungen bleiben die teils sehr subjektiven Schilderungen freilich auch nicht.