Vor acht Jahren, ein halbes Jahr nach seiner Wahl zum neuen Mitglied des Deutschen Bundestages, flog Karl-Theodor zu Guttenberg nach Arizona, um an einer Konferenz der „Atlantik-Brücke“ teilzunehmen. Er lernte auf der Konferenz etliche junge Amerikaner kennen, die damals in politischen Instituten, im Kongress oder in Ministerien tätig waren. Guttenberg war der einzige, der anschließend jedes Jahr mehrmals nach Washington zurückkehrte und systematisch die neuen Bekanntschaften pflegte. Er lud sie in Restaurants ein oder in einen noblen Klub in Georgetown. Er tat das auch noch, als er bereits Minister geworden war, und Zugang bis ins Weiße Haus bekam. Mithilfe solcher Verbindungen hat er früh jenseits aller Publizität einen Dialog mit arabischen Gesprächspartnern eingefädelt.
Guttenbergs Verbindungen zu Amerika werden fehlen
Kein deutscher Politiker, weder unter den jungen noch den älteren, hat so gezielt persönliche Verbindungen aufgebaut wie der adlige Franke. In der Bankenkrise suchte Angela Merkel jemanden in Berlin, der den neuen US-Finanzminister Timothy Geithner einschätzen könne, ein für Deutsche unbeschriebenes Blatt. Es gab nur einen einzigen, der sich meldete – Guttenberg. Er hatte ihn lange Zeit zuvor eher zufällig bei einem Termin in New York kennengelernt, und ihn danach, wie es seine Art war, mehrmals aufgesucht, wenn er wieder am Hudson war. Geithner wiederum, damals Chef der New Yorker Zweigstelle der US-Zentralbank, hatte offenkundig den Eindruck gewonnen, es lohne sich, mit dem jungen Abgeordneten zu reden.
In Zeiten, in denen von Tunesien bis wer weiß wohin die Dinge ins Rutschen kommen, war ein deutscher Minister mit so belastbaren Verbindungen nach Amerika Gold wert. Den Verlust, den sein Rücktritt bedeutet, wird Berlin zu spüren bekommen. Das macht den Abgang, obwohl unausweichlich, um so tragischer. Wenn die Medien einen Minister attackieren, hat der Minister eine Chance zu obsiegen, falls der Streitgegenstand unscharf ist. Die Doktorarbeit war nicht vage. Der Streitpunkt lag offen zutage.
Diese Doktorarbeit hatte Guttenberg zwischen 2002 und 2006 ohne Not verfasst. Er war bereits Abgeordneter, er war vermögend, ihr genaues Zustandekommen ist noch immer ein Rätsel. Es gibt Hinweise, der Minister habe sich am Mittwoch vorvergangener Woche verblüfft gezeigt, als ihm die ersten gleichlautenden Passagen aus früher entstandenen Texten anderer Autor(inn)en vorgelegt wurden – nachdem Guttenberg Plagiatsvorwürfe als „abstrus“ abgetan hatte. Es gäbe dafür eine Erklärung, die unter Umständen strafrechtliche Ermittlungen erfordern, um mehr als nur eine vage Spekulation zu sein. Sie würde Guttenberg nicht vom Vorwurf leichtfertigen Arbeitens, aber vom Vorwurf absichtlicher Täuschung entlasten. Womöglich deshalb hat Guttenberg in seinem Rücktrittswort auf deren „zeitnahe“ Behandlung gedrängt.
Guttenberg promoviert und kämpft um CSU-Unterbezirk Oberfranken
Er wollte im Sommer 2006 mit der Doktorarbeit rasch fertig werden. Erstens wusste er, dass die Betreuung der Druckfassung noch viel Zeit erfordern würde. Zweitens witterte er eine nahende Chance für den politischen Aufstieg. Der CSU-Unterbezirk Oberfranken, mehr als ein Jahrzehnt lang von Werner Schnappauf geführt, würde bald einen neuen Chef benötigen. Während der junge Familienvater seine Dissertation abzuschließen trachtete, baute er zugleich im Bezirk so gezielt persönliche Verbindungen auf, wie er das in Amerika getan hatte.
Die Nachfolge Schnappaufs war Pflicht für jemanden, dessen Familie in Oberfranken seit Jahrhunderten verwurzelt ist. Wenn jemand anderes als Guttenberg den Unterbezirksvorsitz erobern würde, würde Guttenbergs politischer Aufstieg so enden wie bei seinem 1972 gestorbenen Großvater Karl Theodor zu Guttenberg. Dieser war ein so leidenschaftlicher Außenpolitiker wie der Enkel, er war Antinazi und Antikommunist, und zugleich gesprächsbereit mit jedem, der ihn sprechen wollte. Als Bonner CSU-Abgeordneter aber hatte er ohne die Machtbasis eines von ihm geführten CSU-Bezirks auskommen müssen. Sein Aufstieg endete nicht zuletzt deshalb jenseits des wahren Machtzentrums. Nie hatte er es ganz nach oben geschafft. Staatsminister im Bundeskanzleramt war sein mehr protokollarisch als politisch bedeutsamer Titel.
Die CSU hatte ihn sogar einmal ausschließen wollen, weil er 1966 aus „unbestechlicher Überzeugung“ die Bildung der Grossen Koalition mitbetrieb. Er hat politische Bücher geschrieben, am laufenden Band, rastlos, mit intellektueller Inbrunst. Er war der Sohn eines ebenfalls leidenschaftlichen bayerischen Monarchisten, der am 30. Juni 1934 beim sogenannten Röhmputsch auf Hitlers Mordliste stand. Er war ein Guttenberg. Aber sein Nachfahre wollte ganz nach oben kommen. Dafür brauchte er den Vorsitz seines CSU-Heimatbezirks. Im Dezember 2007 eroberte Karl-Theodor zu Guttenberg diese entscheidende Position. Prompt geriet er auf den politischen Radarschirm der ganzen CSU, und der Bundeskanzlerin.
Exzellente Verwandtschaftsbeziehungen in aller Welt
Elegante Machtpolitik, und der Blick für die Kompliziertheit der Welt, lässt sich im Adel lernen. Karl-Theodor zu Guttenberg hatte über eine Verwandtschaft Zugang zu China, über eine andere zum schottischen Hochadel, über dritte und vierte Verwandtschaften nach Ungarn und Südosteuropa. Der europäische Adel ist bei aller enormen Unterschiedlichkeit seiner Prägung und Geschichte ein kenntnisreiches Netzwerk.
Bis vor einiger Zeit waren Guttenbergs Hochzeitsbilder im Internet zu sehen. Blumen, Hüte, Cutaway. Eine fast irritierende Zurschaustellung des Privaten. Das Fest war eine glückliche Trauung, nicht tragisch überschattet wie 1949 eine Hamburger Hochzeit, zu der die Großeltern der Braut geladen waren und auf dem Wege mit dem Auto tödlich verunglückten.
Mit solchen Netzwerken und dem Vorsitz eines CSU-Unterbezirks holte Horst Seehofer den jungen Politiker nach der bayerischen Landtagswahl vom September 2008 nach München. Am 30. Oktober folgte er Christine Haderthauer als Generalsekretär der CSU. Eine beginnende Rivalität zum fünf Jahre älteren Umweltminister Markus Söder, der das CSU-Parteiamt vor Haderthauer bekleidet hatte, legte Guttenberg bald durch ein demonstratives Treffen in einem Berliner Café bei. In der CSU-Zentrale wurde er trotzdem nicht glücklich. Das Wadenbeißen lag ihm nicht, die CSU war nach der schlimm ausgegangenen Landtagswahl zerrissen, und die große Welt faszinierte ihn.
Blitzaufstieg: Erst Wirtschafts- dann Verteidigungsminister
Am 9. Februar 2009 kam seine Stunde. Angela Merkel berief ihn nach dem Rücktritt Michael Glos’ als Bundeswirtschaftsminister. Wie schon in der CSU, und wie ein halbes Jahr später im Bendlerblock, musste Guttenberg als Feuerwehrmann einspringen. Die Opelkrise im Gefolge der Bankenkrise brachte ihn sofort in Konflikt mit Kabinettskollegen einschließlich der Kanzlerin. Merkel favorisierte die Übernahme Opels durch die Firma Magna mit russischer Finanzbeteiligung. Guttenberg wollte einen Opelneustart nach geordneter Insolvenz.
Ende Mai, nach der Entscheidung für Magna, trug Guttenberg das Konzept mit – nicht ohne dass sein zuvor geäußertes Angebot, als Minister zurückzutreten, bekannt wurde. Obwohl Guttenbergs Kurs als Zickzack-Kurs ausgelegt werden konnte, und von einigen auch ausgelegt wurde, begründete diese Nacht Guttenbergs Ruf als ehrlicher Politiker mit Prinzipien. Hinzu kamen die rasch legendären Fotos des neuen Ministers auf seiner ersten US-Reise vor dem Weißen Haus und auf dem New Yorker Times Square. Die optimistische Pose in den Wochen düster herabhängender sonstiger Mundwinkel war offenbar genau das, was sich viele Deutsche in einer Krise erhofften. Nebenher ließ Guttenberg die Chefs von General-Motors spüren, dass mit ihm nicht gut Kirschen essen war, wenn es darum ging, deutsche Interessen auch gegenüber den Interessen einer amerikanischen Weltfirma zu wahren.
Guttenberg übersteht Kundus-Affäre und setzt Wehrpflicht aus
Dieser Ruf brachte ihm am 28. Oktober nach der Bundestagswahl auch erhebliche Vorschusslorbeeren als neuer Verteidigungsminister ein. Sein Amtsvorgänger Franz Josef Jung war ins Arbeitsministerium gewechselt. Guttenberg wäre gern Außenminister geworden, musste sich aber seinem Rivalen Guido Westerwelle beugen. Am Tag der Vereidigung publizierte die „Bild“-Zeitung Auszüge aus einem internen Militärbericht der Nato über einen Luftangriff von Anfang September auf zwei von den Taliban entführte Tanklaster bei Kundus in Afghanistan. Minister Jung hatte stets bestritten, bei dem Angriff seien entgegen der neuen militärischen Leitlinien der Internationalen Schutztruppe auch Zivilisten ums Leben gekommen.
Der Bericht suggerierte anderes. Dies bestritt auch Guttenberg nicht mehr, sagte aber dennoch, der Angriff sei militärisch notwendig gewesen. Ein Sturm brach los, in dessen Folge interne Bundeswehrberichte auftauchten, die zeigten, dass der Tod von Zivilisten Teilen der Bundeswehrhierarchie bekannt gewesen war. Guttenberg entließ seinen Generalinspekteur und seinen Staatssekretär wegen „nicht vorgelegter Informationen“ und revidierte sein Urteil über den Luftangriff. Es war die umstrittenste und bis heute nicht wirklich restlos geklärte Kehrtwende der politischen Karriere des Ministers.
Mit seiner bald darauf erfolgten Verwendung des Wortes „kriegsähnliche Zustände“ für den Afghanistaneinsatz, und mit spektakulären Frontbesuchen, gelang es Guttenberg indes, die Aufregung um den Luftangriff vergessen zu machen. Stattdessen eröffnete er im Frühjahr 2010 eine Heimatfront. Die Sparziele der Bundeskanzlerin nutzte Guttenberg für den Vorschlag, die unbezahlbar werdende Wehrpflicht auszusetzen und eine Berufsarmee zu schaffen. Das hatte vor ihm kein anderer Minister gewagt. Zeitgleich hatte die Bundeswehr in Afghanistan die ersten Gefechtstoten zu beklagen. Bei deren Beisetzung hielt Guttenberg eine Rede, die in ihrer Klarheit ihresgleichen unter solchen Ansprachen sucht.
Die Frucht von Guttenbergs Arbeit werden andere ernten
Das Verteidigungsministerium aber ist ein Moloch, weil der Minister bisher der Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt war – sprich, weil alle Vorgänge letztlich bei ihm landeten. Die Krise um widerrechtlich geöffnete Feldpostbriefe, um den Tod zweier Seekadettinnen auf der „Gorch Fock“ mitsamt einer etwas zu forsch erfolgten Suspendierung des Kommandanten wurde deshalb sofort eine Frage seiner persönlichen Führungsfähigkeit. Guttenberg hat mit der Bundeswehrreform das Ministeramt von solcher Tagespolitik entflechten wollen. Befehlsstränge werden künftig beim Generalinspekteur enden. Diese Frucht seiner Arbeit, die Karl-Theodor zu Guttenberg die Freiheit gegeben hätte, sich rechtzeitig und umfassend mit den Vorwürfen wegen seiner Doktorarbeit zu befassen, wird nun jemand anderes ernten.
psavbig