Wulf Gallert, Linke-Spitzenkandidat in Sachsen-Anhalt, spricht mit Morgenpost Online über Koalitionen, Kontroversen und Kommunismus.
Wulf Gallert ist Spitzenkandidat der Partei Die Linke in Sachsen-Anhalt, wo am 20.März ein neuer Landtag gewählt wird. Dort könnte die Linke erstmals stärkste Partei bei einer Landtagswahl werden; in jüngsten Umfragen liegt sie gleichauf mit der CDU. Gallert, der 1984 nach seiner Lehrerausbildung in die SED eintrat, gilt als Pragmatiker.
Morgenpost Online: Welche Rolle spielt der Kommunismus noch für die Linke?
Wulf Gallert: Keine große mehr. Wir sind zwar eine pluralistische Partei, haben auch eine Kommunistische Plattform, aber wir kommen aus sehr verschiedenen politischen Sozialisationen. Den meisten in der Partei ist klar, dass so eine ideologische Ausrichtung sehr viele ausschließen würde. Dann würde die Partei ihren Sammlungscharakter verlieren. Es würde zu einer Marginalisierung der Linken führen, ähnlich wie es bei der DKP im Westen der Fall war.
Morgenpost Online: Das klingt sehr strategisch. Wie sieht es inhaltlich aus?
Gallert: Wir haben mit dem Staatssozialismus Erfahrungen gemacht, die uns außerordentlich kritisch gegenüber dem kommunistischen Weltanschauungsgebäude machen. Deshalb glaube ich nicht, dass der Begriff für die Identität der Linken eine bedeutsame Rolle spielt.
Morgenpost Online: Das sieht die Kommunistische Plattform vermutlich anders. Wie groß ist die Gruppe in der Partei, die sich nach dem Kommunismus sehnt?
Gallert: Nicht sonderlich groß. Selbst Vertreter der Kommunistischen Plattform wie Sahra Wagenknecht haben sich verschiedentlich ausgesprochen vom Staatssozialismus distanziert. Mein Vorwurf ist, dass sie die Verbrechen im Namen des Kommunismus auf subjektives Versagen beschränken und nicht die strukturellen Probleme sehen.
Morgenpost Online: Hätte Ihre Parteichefin Gesine Lötzsch ihren Beitrag mit den umstrittenen Kommunismus-Äußerungen besser nicht geschrieben?
Gallert: Ich kontrolliere nicht die Artikel meiner Vorsitzenden. Aber die jetzige öffentliche Debatte ist weder für die Arbeit der Partei noch für die Programmdiskussion produktiv. Gesine Lötzsch hat sich aber auch schon deutlich von der missverständlichen Äußerung distanziert. Das hatte sie schon im Artikel selbst gemacht, deshalb ist dieser auch in sich widersprüchlich. Aber ich glaube, wir sollten die Geschichte damit auch abschließen.
Morgenpost Online: Viele in der Linken fürchten, dass sich die Kontroverse für die Partei negativ auf die sieben Landtagswahlen auswirken wird – Sie auch?
Gallert: Nein, das glaube ich nicht. Das wäre nur dann der Fall, wenn die Leute den Eindruck hätten, dass wir politische Veränderungen nicht im Rahmen des Grundgesetzes, sondern mit undemokratischen Mitteln durchsetzen wollen. Ich kann nur sagen, dass die Linke dafür keinen Anlass gegeben hat.
Morgenpost Online: Bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt stehen Sie vor dem Dilemma, dass die Linke zwar stärkste Partei werden könnte, aber niemand mit ihr koalieren will.
Gallert: Unser Ziel ist, die Wähler zu überzeugen und die Wahl zu gewinnen. Wenn wir stärkste Partei werden, haben wir auch einen klaren Regierungsauftrag. Dann werden wir zur SPD sagen: Akzeptiert das Wählervotum und setzt euch mit uns an einen Verhandlungstisch.
Morgenpost Online: SPD-Spitzenkandidat Jens Bullerjahn hat schon ausgeschlossen, Sie zum Ministerpräsidenten zu wählen. Gäbe es für Sie Alternativmodelle – dass sich SPD und Linke auf einen parteilosen Ministerpräsidenten einigen oder die Linke zwar stärkste Partei wird, aber einen SPD-Ministerpräsidenten akzeptiert?
Gallert: Koalitionsverhandlungen sind immer von Kompromissen geprägt. Aber geführt wird eine Koalition in jedem Fall von der stärksten Partei. Ist die Linke stärkste Partei, würde sie auch eine Regierungskoalition mit mir als Ministerpräsidenten führen. Alles andere hieße, die Wähler nicht ernst zu nehmen.
Morgenpost Online: Mit Herrn Bullerjahn waren Sie früher eng befreundet. Wie bitter ist dann so eine öffentliche Absage?
Gallert: Das eine sind Freundschaften, das andere Koalitionen. Und die Bildung von Koalitionen ist keine Partnervermittlung. Persönliche Emotionen müssen dabei zurückgestellt werden. Unabhängig davon ist die faktische Absage der SPD an eine Koalition mit uns in erster Linie zu ihrem eigenen Schaden. Sie wird die Politik, die sie ihren Wählern verspricht, ohne uns nicht durchsetzen können.
Morgenpost Online: Und wenn Sie die SPD nicht überzeugen können?
Gallert: Ich will Ministerpräsident werden. Aber das ist nicht mein einziger Lebenszweck. Ich werde mich deshalb weder verbiegen noch in Depressionen verfallen.
Morgenpost Online: Fühlen Sie sich von der Linke-Bundesführung genügend unterstützt?
Gallert: Wichtig wäre mir, dass von der Bundesführung stärker als in den letzten Monaten inhaltliche Signale ausgehen. Signale, wie wir die Debatten zu Fragen wie HartzIV, gute Arbeit, Energiegewinnung, Demokratieentwicklung mitbestimmen können. Außerdem müssen wir den Widerspruch besser bewältigen, einerseits Konkurrenten zu SPD und Grünen zu sein, auf der anderen Seite sie aber auch zur Zusammenarbeit mit uns zu zwingen, aufgrund von gesellschaftlichem Druck, den wir entfalten können.
Morgenpost Online: Braucht die Linke eine Landesgruppe Ost, wie einige finden?
Gallert: Ich glaube nicht, dass sie eine Landesgruppe Ost braucht. Wir merken zunehmend, dass sich bei den strittigen Dingen die Problemlagen in Ost und West angleichen.