Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat eine vorurteilsfreie Diskussion über Religion und ihre Rechte „statt Angstdebatten“ angemahnt. Äußerungen über den Islam und islamisches Recht blieben viel zu oft „unbeschwert von Sachkenntnis“. Die Ministerin warnte vor den Folgen einer „Stigmatisierung“. Sie führe zu Ausgrenzung, Ausgrenzung führe zu Fundamentalismus.
Weiter sprach sich Leutheusser-Schnarrenberger dafür aus, dass jede Religion innerhalb der Grenzen der Grundordnung „die gleichen Chancen erhalten soll, Gehör für ihre Anliegen zu finden“. Die Basis des Zusammenlebens in Deutschland seien das Grundgesetz und die darin verankerte Menschenwürde.
Dabei sei sie, so die Ministerin über sich selbst, blind wie Justitia, ob es bei einer strittigen Frage um ein Ordensgewand oder ein muslimisches Kopftuch gehe. Blind sei sie jedoch nicht, wenn die Grenzen der deutschen Verfassung überschritten würden. Für sie sei aber das Recht der christlichen Kirchen zum morgendlichen Läuten der Glocken genauso schützenswürdig wie der Bau vom Moscheen, betonte sie.
Kulturkampf hatte "wichtigen rationalen Kern"
Die Ministerin verglich Äußerungen über Muslime in Deutschland, ihre Geburtenrate und ihren Bildungsstand mit historischen Aussagen aus der Zeit des Kulturkampfes im Preußen des 19. Jahrhundert. Manches antikatholische Argument der damaligen Zeit scheine wie ein „unwirklicher Wiedergänger“ in der heutigen Diskussion durch. Zum sogenannten Kanzelparagraphen aus dem Jahr 1871, der Geistlichen im Amt politische Äußerungen untersagte und den Kulturkampf auslöste, würde man heute vielleicht „Hasspredigerparagraph“ sagen.
Dabei hatte der Kulturkampf des 19. Jahrhunderts nach Ansicht der Ministerin einen „wichtigen rationalen Kern“ gehabt, da es um die Trennung von Kirche und Staat gegangen sei. Allerdings sei die Aufklärung selbst „mit wenig aufgeklärten Mitteln durchgesetzt“ worden. Der Kulturkampf habe zu politisch ungewollten Gegenreaktionen geführt, sagte sie unter Verweis auf das Erstarken der – katholisch geprägten – Zentrumspartei.
Auch der Jurist Mathias Rohe vom Erlanger „Zentrum für Islam und Recht in Europa“ plädierte dafür, den Islam in Deutschland stärker als Chance denn als Problem zu sehen und mehr Offenheit zu zeigen. Heute müsse es um die Ausprägung eines Euro-Islam gehen, eines authentischen Islam im Sinne des säkularen Rechtsstaats.
"Dieses Land braucht kulturelle Vielfalt"
Religion sei prinzipiell eine positive gesellschaftliche Ressource. „Dieses Land braucht kulturelle Vielfalt“, meinte er. Aber das Recht als solches sei nicht multikulturell. Grundsätzlich gelte, dass der Rechtsstaat, religiös offen und säkular, heute „gut aufgestellt“ sei. Nach seiner Überzeugung macht ein strenger Laizismus sehr viel mehr Probleme als die in Deutschland etablierte „religionsoffene Haltung, die Raum lässt“.
Es müsse, so Rohe weiter, den Menschen möglich sein, ihre Religiosität innerhalb des geltenden Rechts zu leben. Dabei könne Integration nur gelingen, wenn derjenige, der hereinkommen wolle, „auch eine offene Tür vor sich hat“. Dabei müsse man einräumen, dass es unter den Muslimen in Deutschland sicher auch Extremisten gebe; das sei eine kleine, aber gefährliche Zahl.
Darüber müsse es eine offene Debatte geben. Die Frage nach einer religiösen Ausrichtung dürfe bei einer Diskussion über einen Moscheebau dann aber nicht anhand von Parkstellplätzen „subkutan“ erörtert werden. – Rohe ist einer der führenden Experten in Deutschland für islamisches Recht.