Integration

Berliner Friedensrichter schlichtet zwischen Clans

| Lesedauer: 8 Minuten
Freia Peters

Foto: picture-alliance/ dpa / dpa

Mitten in Berlin arbeitet ein selbst ernannter Friedensrichter und schlichtet bei Streitigkeiten zwischen arabischen Clans. So hat er schon viele Menschenleben gerettet.

Hassan Ali Allouche will nicht sagen, wie alt er ist. „Schreiben Sie über 50 Jahre“, sagt er und klopft sich auf seinen harten schwarzen Panzer. „Und seit mehr als 30 Jahren gehe ich nicht mehr ohne kugelsichere Weste aus dem Haus.“

Allouche steht auf dem großen, frei liegenden Gelände eines Gebrauchtwagenhandels in Berlin. Hier und da verschwindet eine Gestalt in einer der provisorisch errichteten Bretterbuden. Zwei finster dreinblickende Männer sitzen in einem zerbeulten Auto, das die Einfahrt hinabfährt.

Man kann sich vorstellen, dass eine schusssichere Weste in dieser Gegend hilfreich ist. Jede Woche werden von hier aus 300, 400 Autos nach Afrika und auf die arabische Halbinsel überführt, klapprige Modelle mit vielen Kilometern auf dem Tacho, die in Deutschland keinen Käufer mehr finden.

In Berlin hat fast jeder Araber seine Nummer

Allouche ist einer der Händler. Aber er hat außerdem noch einen zweiten Job. Der gebürtige Libanese ist ein selbst ernannter Friedensrichter und schlichtet bei Streitigkeiten zwischen arabischen Clans. Das Amt hat er im Libanon von seinem Vater geerbt, der wiederum übernahm es bereits von seinem Großvater.

So ziemlich jeder Araber in Berlin hat Allouches Telefonnummer. „Wenn zwei Araber sich streiten, holt meistens jeder seine Familie zur Unterstützung für eine Schlägerei“, erklärt Allouche. Das sei der Zeitpunkt für ihn, sich ins Auto zu setzen und loszufahren. „Ich habe schon viele Massaker verhindert.“

Wenn er nichts ausrichten kann bei einem Einsatz, wie jüngst bei einem Kampf zwischen einer palästinensischen und einer libanesischen Familie, rufe er die Polizei. „Die Beamten melden sich auch bei mir, wenn sie Informationen brauchen.“

Keine polizeiliche Beeinflussung

Peter-Michael Haeberer, Chef des Berliner Landeskriminalamts, wählt andere Worte, um das Verhältnis zwischen Polizei und arabischem Schlichter zu beschreiben. „Die Rolle des Friedensrichters wurde bisher durch die polizeiliche Arbeit nicht beeinflusst“, sagt Haeberer.

„Aus präventiver Sicht ist auch fraglich, ob der regelgerechte Einsatz von Friedensrichtern überhaupt bekämpft werden sollte, da diese deeskalierend wirken und eine Ausweitung der Konflikte möglicherweise verhindern können.“

In Berlin gibt es 20 bis 30 Großfamilien mit jeweils bis zu 500 Mitgliedern. Weitere leben im Ruhrgebiet, in Bremen und Bremerhaven. Die meisten von ihnen sind libanesische Kurden aus den Grenzgebieten zwischen Türkei und Syrien.

Die meisten Asylanträge wurden abgelehnt

Sie kamen in mehreren Fluchtwellen in den 30er- und 60er-Jahren in den Libanon. Dort wurden sie größtenteils nicht eingebürgert, sondern erhielten sogenannte „Laisser passer“-Papiere. Damit reisten sie während des Libanonkriegs in den 70er-Jahren nach Deutschland ein.

Ein Jahr nach der Ausreise verloren die Papiere ihre Gültigkeit. Als Staatsangehörigkeit steht häufig „ungeklärt“ oder „staatenlos“ darin. Die meisten Asylanträge wurden abgelehnt. Abschieben konnte man aber auch die Schwerkriminellen unter den Migranten nicht – schließlich müsste dazu gesichert sein, in welches Land die Abschiebung erfolgen soll.

Häufig bekamen die Flüchtlinge eine Duldung, Söhne und Töchter erlangten meist die deutsche Staatsangehörigkeit.

Geschenke nimmt er schon mal an

Auch Allouche ist nun bereits seit 14 Jahren deutscher Staatsbürger. „Ich tue das alles für Deutschland und für Allah“, sagt er. Bezahlt werde er von den Familien nicht, Geschenke aber nehme er schon mal an. „Die brauche ich, für meine Zigaretten, für meine Kinder.“

Kürzlich heiratete er seine „zweite Frau“ und ließ sich dafür von seiner ersten scheiden – „aber nur, weil das deutsche Gesetz es so verlangt“. Seine erste Frau, eine Deutsche und Mutter seiner vier Töchter, liege ihm weiter am Herzen.

Die verstorbene Jugendrichterin Kirsten Heisig widmete den arabischen Clans in ihrem Bestseller „Das Ende der Geduld“ ein ganzes Kapitel. Ihrer Einschätzung nach leben sie ausschließlich nach ihren Gesetzen. Die Mütter bekommen zehn bis fünfzehn Kinder und haben bereits Enkelkinder, bevor sie ihr letztes eigenes Kind bekommen.

„Man lebt von staatlichen Transferleistungen und dem Kindergeld“, schreibt Heisig, der Lebensstil hingegen könne als „aufwendig“ bezeichnet werden: Teure Autos gehören zum Standard, in Strafverfahren werden namhafte Berliner Anwälte engagiert. „Wenn die Drogengeschäfte von einem rivalisierenden Clan gestört werden, wird das Problem gelöst, indem man einander tötet oder dies zumindest versucht.“

Heisig hat sich einige Clans genau angeschaut. Mit dem Ergebnis, dass „die weiblichen Familienangehörigen stehlen und die männlichen Straftaten aus allen Bereichen des Strafgesetzbuches begehen: Von Drogen- und Eigentumsdelikten über Beleidigung, Bedrohung, Raub, Erpressung, gefährliche Körperverletzung, Sexualstraftaten und Zuhälterei bis zum Mord ist alles vertreten.“

Die Kinder wüchsen weitgehend unkontrolliert in diesen kriminellen Strukturen auf, auch sie begingen von Kindesbeinen an Straftaten.

Entstehung von Parallelgesellschaften

Antje Keune, Jugendrichterin am Amtsgericht Berlin Tiergarten, schüttelt den Kopf, wenn sie auf die selbst ernannten Schlichter angesprochen wird. „Ich habe erhebliche Bedenken an der Arbeit eines solchen Friedensrichters“, sagt Keune.

„Wenn er als Mediator Täter und Opfer an einen Tisch bringt – gerne. Aber er kann nicht Straftaten klären, ohne dass sie vor Gericht landen. Das ist Selbstjustiz und trägt zur Entstehung von Parallelgesellschaften bei. Migranten müssen unsere Regeln akzeptieren – nicht ihre eigenen mitbringen.“

Keune ist für Berlin-Neukölln zuständig, wo viele arabische Großfamilien leben und sich in manchen Gebieten Gettos gebildet haben. Zusammen mit Kirsten Heisig hatte sie das Gespräch mit der Polizei gesucht, um die Zusammenarbeit zu verbessern.

Vor ihr sitzen oft Jugendlichen aus arabischen Großfamilien im Gerichtssaal. In den Statistiken der Polizei wird der Migrationshintergrund nur bei Jugendlichen und Heranwachsenden erhoben.

Die Kriminalitätsbelastung der libanesischen Heranwachsenden (zwischen 18 bis 21 Jahren) ist 5,3-mal so hoch wie bei deutschen Heranwachsenden. Häufig werden sie Intensivtäter, begehen also mindestens zehn schwere Delikte innerhalb eines Jahres.

Keune befürwortet die Erstellung einer Schülerdatei, sodass die Polizei sofort zuordnen kann, ob ein Kind gerade im Unterricht sitzen müsste, wenn sie es auf der Straße aufgreifen. „Im Zweifel muss das Jugendamt so weit gehen und den Eltern das Sorgerecht entziehen“, sagt Keune.

"Sozialromantische Verblendung gepaart mit blanker Angst"

Jüngst hatte sie den Fall eines Jugendlichen, der in der Schule erst gute Noten erzielte, als er aus dem familiären Umfeld herauskam und in einem geschlossenen Heim die Einhaltung bestimmter Regeln lernte.

„Man muss sich auch mal trauen, solche Maßnahmen anzuwenden“, sagt sie. „Doch ich habe den Eindruck, dass einige Jugendamt-Mitarbeiter Angst davor haben, in arabische Großfamilien zu gehen. Das ist natürlich eine Kapitulationserklärung.“

Kirsten Heisig war ähnlicher Meinung. Der Grund, warum niemand härtere Maßnahmen im Umgang mit kriminellen arabischen Clans anwende, sei „sozialromantische Verblendung gepaart mit blanker Angst“, schreibt sie. „Hinter vorgehaltener Hand heißt es: „Man kann kein Kind aus einem arabischen Clan nehmen. Die Familien erschießen jeden, der das versuchen sollte.“

Allouches Bruder wurde 2004 getötet

Allouche hat elf Geschwister, acht von ihnen leben mit ihren Familien ebenfalls in Berlin – ein Bruder wurde 2004 durch einen Nackenschuss getötet. Vergebens hatte er in einer Blutfehde zwischen zwei rivalisierenden Clans vermitteln wollen.

Als er eines Sommermorgens seine vier Kinder zur Schule bringen wollte, hatte sein Auto einen Platten. Er kniete sich hin, um den Reifen zu wechseln und wurde von hinten erschossen. Allouche meint, den Täter genau zu kennen. Es wurde aber nie jemand für die Tat zur Rechenschaft gezogen.