Für 800.000 Beschäftigte in Altenheimen und bei ambulanten Pflegediensten soll von Juli an ein Mindestlohn gelten. Die Lohnuntergrenze liegt im Westen dann bei 8,50 Euro und im Osten bei 7,50. Auf diese Höhe hat sich die von der Regierung eingesetzte Pflegekommission verständigt. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sicherte eine schnelle gesetzliche Umsetzung zu. Auch Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) lobte die Einigung. Grundsätzlich aber bleibe die FDP Mindestlöhnen gegenüber skeptisch.
Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di und der Arbeitgeberverband Pflege zeigten sich mit der Vereinbarung zufrieden. „Einem maßlosen Lohndumping wird damit endlich ein Riegel vorgeschoben“, sagte Ver.di-Vorstandsmitglied Ellen Paschke. Auf der Arbeitgeberseite hatten große Anbieter wie der katholische Wohlfahrtsverband oder die Caritas verhandelt. Sie sprachen von einem „maßvollen Mindestlohn“, der keine Arbeitsplätze gefährde. Für die kommenden Jahre ist eine schrittweise Anhebung der Lohnuntergrenze vorgesehen. Bis 2013 steigt der Mindestlohn auf neun (West) beziehungsweise acht (Ost) Euro.
Die Kommission hatte im November ihre Arbeit aufgenommen. Eine Verständigung galt als schwierig, weil es bislang keinen bundesweiten Tarifvertrag für alle Anbieter gibt. Die kirchlichen Betreiber Caritas und Diakonie vereinbaren zudem die Löhne nach eigenen Richtlinien. Eine Verständigung von Gewerkschaften und Arbeitgebern ist jedoch Voraussetzung dafür, dass die Regierung auf Basis des Entsendegesetzes einen Mindestlohn für allgemeinverbindlich erklärt.
Um den Pflege-Mindestlohn nun für alle Anbieter der Branche zwingend zu machen, muss zunächst die Tarifkommission den Antrag prüfen. Danach ist das Bundeskabinett am Zuge. Doch gelten beide Schritte als reine Formsache.
Somit dürfte schon bald in einer weiteren großen Branche ein Mindestlohn gelten. Erst vor wenigen Tagen hatte von der Leyen neue Lohnuntergrenzen für Gebäudereiniger und Dachdecker abgesegnet. Seit 2007, als die große Koalition sich auf einen Post-Mindestlohn verständigt hatte, kommen stetig neue Branchen hinzu.
Auch für das Wach- und Sicherheitsgewerbe sowie für die Zeitarbeit sind entsprechende Vereinbarungen im Gespräch. FDP-Fraktionsvize Heinrich Kolb machte allerdings gestern klar, dass die Liberalen eine weitere Ausbreitung der Mindestlöhne nicht mittragen wollten. „In der Pflege gibt es eine besondere Situation, die einen solchen Eingriff rechtfertigt“, sagte der Sozialexperte Morgenpost Online. „Doch beim Wach- und Sicherheitsgewerbe wird es keine Zustimmung des Kabinetts geben.“ Auch bei der Zeitarbeit werde die FDP keiner Mindestlohnregelung zustimmen. Gerade die Zeitarbeit liegt den Gewerkschaften aber besonders am Herzen.
Kritik an der Entwicklung kommt von Ökonomen. „Die branchenbezogenen Mindestlöhne, die jetzt immer mehr zunehmen, sind ordnungspolitisch sehr problematisch“, sagte der Chef des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, Morgenpost Online. In Dienstleistungssektoren wie der Pflege werde der Mindestlohn dafür sorgen, dass die ohnehin verbreitete Schwarzarbeit weiter zunehme, legale Arbeitsplätze würden somit in die Schattenwirtschaft verdrängt.
„Die branchenspezifischen Mindestlöhne sind zudem nichts anderes als Protektionismus“, monierte der IW-Direktor. Vor dem Hintergrund der ab kommendem Jahr geltenden Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der Europäischen Union sollten sie ausländische Konkurrenz vom heimischen Markt fernhalten.
In der Tat herrscht in vielen Dienstleistungsbranchen erhebliche Furcht vor der ab 2011 geltenden vollen Freizügigkeit. Der Druck auf die Regierung, die Politik der Mindestlöhne noch zu forcieren, dürfte somit steigen. IW-Chef Hüther: „In der Summe sind die Branchen-Mindestlöhne sogar noch problematischer, als es ein niedriger allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn von etwa fünf Euro wäre.“ Die bisher vereinbarten Branchen-Mindestlöhne lägen meist bei acht, neun Euro. Bei diesem Niveau seien negative Beschäftigungseffekte sehr wahrscheinlich.
Die Opposition kämpft wie auch die Gewerkschaften für einen gesetzlichen Mindestlohn, der ihrer Meinung nach zusätzlich zu den branchenspezifischen Lohnuntergrenzen eingeführt werden sollte. Die SPD fordert mittlerweile 8,50 Euro als Untergrenze, die Linken gar zehn Euro.