Morgenpost Online: Herr Mißfelder, Herr Vogel, Sie waren 19 beziehungsweise 16 Jahre alt, als Helmut Kohl abgewählt wurde. Welche Erinnerungen haben Sie an diesen Tag?
Philipp Mißfelder: Ich dachte damals, dass die Welt untergeht oder zumindest in Deutschland die Lichter ausgehen.
Johannes Vogel: Bei mir war das anders. Ich hatte mir wie viele Altersgenossen von Rot-Grün eine Liberalisierung im gesellschaftspolitischen Bereich erhofft. Ein ähnliches Gefühl gibt es jetzt wieder im Lande. Deshalb muss Schwarz-Gelb auch eine echte Modernisierungskoalition werden.
Morgenpost Online: Rot-Grün lebte damals auch von einem Gefühl der Jugendlichkeit. Was hat Sie denn als junge Menschen bewegt, sich für das abgewählte Alte zu engagieren?
Joahnnes Vogel: Ich fand gut, dass sich die FDP damals wieder auf ein konsequent liberales Programm besonnen hat und die vielen, wohl zu vielen Kompromisse mit der Union hinter sich ließ.
Philipp Mißfelder: Gerhard Schröder und Joschka Fischer waren doch aus meiner Perspektive schon 1998 beide alt. Allerdings haben Schröder und Fischer so getan, als hätten sie sich gerade ihren ersten Anzug gekauft und seien noch Jugendliche. Das kommt bei echten Jugendlichen nie gut an.
Morgenpost Online: Das Deutschland Ihrer Kindheit war schwarz-gelb, das Deutschland Ihrer Jugend aber rot-grün. Welches Land gefiel Ihnen besser?
Philipp Mißfelder: Auch unter Rot-Grün habe ich mich in Deutschland immer wohl gefühlt. Bei der Agenda 2010 etwa gab es ja in der Tat eine überparteiliche Aufbruchstimmung, die Gerhard Schröder leider 2005 selbst abgewürgt hat. Hier müssen wir jetzt wieder anknüpfen. Wir haben eine überraschend deutliche bürgerliche Mehrheit errungen, die wir für einen echten Neuanfang nutzten sollten: Wir müssen wirkliche, grundlegende und vor allem nachhaltige Reformen durchsetzen, die in den nächsten 20 Jahren den Weg unseres Landes positiv beeinflussen werden. Deshalb dürfen wir gar nicht erst anfangen, die wichtigen Themen zu vertagen.
Johannes Vogel: Rot-Grün ging bei den Sozialreformen in die richtige Richtung, bevor sie der Mut verließ. Bei der großen Koalition gab es dann nur noch Stillstand. Leider habe ich das Gefühl, CDU und CSU sind noch im trägen Geist der großen Koalition gefangen.
Philipp Mißfelder: Die Junge Union hat mit Schwarz-Gelb ihre absolute Wunschkoalition bekommen – im Gegensatz zu Jamaika und ähnlichem. Deshalb fordern wir jetzt auch gegenüber unserer Partei: Lasst uns aus schwarz-gelben Mehrheiten in Bund und Ländern auch schwarz-gelbe Politik machen. Von großkoalitionären Verhaltensmustern müssen wir uns schnell verabschieden.
Morgenpost Online: Die Junge Union hat dies vor wenigen Tagen ja schon gefordert. Zur Strafe hat die Kanzlerin ihren Auftritt auf dem JU-Deutschlandtag an diesem Wochenende abgesagt. Gemein, oder?
Philipp Mißfelder: Mir hat die Kanzlerin mit Hinweis auf Terminschwierigkeiten abgesagt. Ich spüre in unserem Verband eine große Enttäuschung darüber. Die Reaktionen sind heftig. Zumal wir Merkels Kurs der Erneuerung der CDU in den vergangenen Jahren mitgetragen und auch in für einen Jugendverband schwierigen Situationen – etwa bei der Rentengarantie – zur Regierung gestanden haben.
Morgenpost Online: Bei Ihnen ist die Gefechtslage eine andere, Herr Vogel?
Johannes Vogel: Ja, wie die Junge Union versuchen auch die Jungen Liberalen aus Schwarz-Gelb eine echte Modernisierungskoalition zu machen. Aber wir haben unsere Parteiführung dabei auf unserer Seite. Bei der Union hingegen sind noch nicht alle aufgewacht: Sie wollen die Politik und den Geist der großen Koalition jetzt mit einem neuen Partner fortsetzen.
Philipp Mißfelder: Die kommenden Jahre bieten so viele Herausforderungen, dass sich die Mutigen aller drei Parteien zusammentun müssen: CDU, FDP, aber auch die Mutigen in der CSU, die sich um Karl-Theodor zu Guttenberg scharen. Viele Menschen verbinden mit der FDP Hoffnungen und haben sie bewusst gewählt: Sie wollen eine bürgerliche Reformpolitik. Aus unserer Sicht ist eine so große FDP natürlich nicht wünschenswert, denn wir wollen wieder bessere Ergebnisse erzielen, als es bei der Bundestagswahl der Fall war. Unser Wahlziel muss 40 plus X sein – und nicht 30 plus X.
Morgenpost Online: Sie fordern also, Herr Mißfelder, einen Kurswechsel von Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Philipp Mißfelder: Wir haben die Chance zum Neustart – die muss jetzt genutzt werden. Für die Sozialsysteme heißt das: Nicht nur die aktuelle Krise und die anschwellende Arbeitslosigkeit sind Probleme. Vielmehr müssen wir endlich unser Augenmerk auf den demografischen Wandel richten und nach entsprechenden Lösungen suchen. Bis auf die Rente mit 67 ist hier bisher wenig bis gar nichts geschehen. Das darf nicht so bleiben.
Johannes Vogel: Philipp hat recht: Dass uns neben anderen auch so viele marktwirtschaftliche Ex-Unionswähler ihre Stimme gegeben haben, ist ein Signal, dass mutige Reformen erwartet werden. Und die sozialen Sicherungssysteme brauchen dringend nachhaltige Veränderungen. Von der CDU habe ich in diesem Zusammenhang aber bisher nur Ankündigungen gehört – auch die Junge Union war mir da viel zu leise. Wo seid ihr denn gewesen, als die große Koalition aus Gründen des Wahlkampfes große Teile der Rentenreform zurücknahm?
Philipp Mißfelder: Wir haben gegen den Gesundheitsfonds gekämpft – und zwar trotz massiven Drucks der eigenen Parteiführung. Aber am Ende zählt tatsächlich nur die Bilanz. Die große Koalition hat es verpasst, die Reformen in Zeiten des Aufschwungs anzugehen. Dazu zähle ich den Einstieg in Altersrückstellungen bei der Pflege. Ich habe immer nur gehört: Die SPD macht das nicht mit.
Morgenpost Online: Was ist das Wichtigste, das Schwarz-Gelb tun muss?
Johannes Vogel: Sicherlich brauchen wir eine Steuerreform. Aber für die junge Generation fast noch wichtiger sind grundlegende Änderungen im Sozialsystem. Hier dürfen wir nicht nur Finanzlücken schließen, sondern müssen in der Tat die Ursachen bekämpfen. Die jungen Liberalen werden darüber hinaus für eine Umkehr in der Innenpolitik streiten – und hier sehe ich einen großen Streitpunkt mit der Union.
Philipp Mißfelder: Ja, in diesen Fragen unterscheiden sich auch Junge Union und Junge Liberale sehr stark voneinander. Wir wollen, dass die Politik von Recht und Gesetz von Wolfgang Schäuble fortgesetzt wird.
Johannes Vogel: Schäuble fehlte doch in den letzten Jahren völlig der Kompass. Das kann so auf keinen Fall weitergehen. Betrachten wir nur die Vorratsdatenspeicherung als Totalüberwachung der Telekommunikation oder die Zensur des Internets – hier müssen Entscheidungen zurückgenommen werden.
Philipp Mißfelder: Da irrst du, Johannes! Wolfgang Schäuble steht doch hier mit seinem Vorgänger, Otto Schily, in einer Linie?
Johannes Vogel: ?genau das ist das Problem.
Philipp Mißfelder: Nein, nein, die Innenpolitik hat sich klar an den Anforderungen orientiert. Es gibt nun mal eine reale Terrorgefahr. Dass es bisher in Deutschland noch keinen Anschlag gab, ist einerseits den Sicherheitsbehörden zu verdanken und andererseits sehr großem Glück. Ich warne davor zu glauben, die Auseinandersetzung mit dem internationalen Terrorismus sei vorbei.
Johannes Vogel: Niemand verharmlost die Gefahren. Das rechtfertigt aber nicht, den Bürger unter Generalverdacht zu stellen. Das Beste, was wir gegen die terroristische Bedrohung tun können, ist, die Ermittlungsbehörden gut auszustatten, insbesondere personell.
Morgenpost Online: Es heißt, im Fünf-Parteien-System lösen sich die Lager auf und jeder kann mit jedem. Können Sie auch mit Frau Drohsel von den Jusos, mit jungen Grünen oder jungen Linken?
Philipp Mißfelder: Mit Frau Drohsel von den Jungsozialisten spreche ich schon, aber dabei kommt es mir vor, als hörte ich Heidemarie Wieczorek-Zeuls marxistische Parolen aus den 70ern, wie man sie sonntagnachmittags bei der Übertragung von Dokumentationen auf Phoenix hören kann. Die Jusos haben sich überhaupt nicht modernisiert: Sie sind gegen die Agenda 2010 und sie haben mit Generationengerechtigkeit nichts am Hut. Bei der Grünen Jugend ist es leider nicht viel anders. Und mit der FDJ-Fortsetzungsorganisation bei den Linken sprechen wir nicht.
Johannes Vogel: Na ja, ich habe den Eindruck, es gibt in allen Jugendorganisationen solche und solche. Aber Philipp hat recht, dass die Jusos und die Grüne Jugend Linksausleger ihrer Mutterparteien sind und man dort erschreckend viele Betonköpfe findet. Grundsätzlich bin ich aber gegen Denkverbote. Die Parteien müssen von Fall zu Fall schauen, mit wem sie ihre Inhalte am besten umsetzen können.