Zwanzig Jahre nach dem Ende der DDR ruft die Linkspartei wieder offen den Kommunismus als politisches Ziel aus. In die seit Wochen tobende Führungsdebatte um ihren aus Bayern stammenden Ko-Vorsitzenden Klaus Ernst hatte sich Gesine Lötzsch nicht eingeschaltet. Aber nun setzt die Ost-Berlinerin zumindest in der Programmdebatte Akzente: Der Weg führe zum Kommunismus, schreibt die Parteichefin in einem Beitrag für die Zeitung „Junge Welt“, die einst als Organ der SED-Jugendorganisation FDJ gegründet wurde und heutzutage die SED-Nachfolgepartei oft als nicht links genug kritisiert.
„Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung“, schreibt die Linke-Chefin und versucht, mit dieser Argumentation die „regierungslinken“ Pragmatiker ihrer Partei ebenso mitzunehmen wie die Fundamentaloppositionellen. „Auf jeden Fall wird es nicht den einen Weg geben, sondern sehr viele unterschiedliche Wege, die zum Ziel führen“, formuliert Lötzsch, die für den Wahlkreis Berlin-Lichtenberg im Deutschen Bundestag sitzt. Und an anderer Stelle schreibt sie: „Egal, welcher Pfad zum Kommunismus führt, alle sind sich einig, dass es ein sehr langer und steiniger sein wird.“ In dem Aufsatz findet sich indes kein Wort über die vielen Irrwege des Kommunismus, schon gar keines über die Opfer der damit gerechtfertigten Gewaltherrschaft von der Sowjetunion bis zur DDR.
Es geht um Grundsätzliches
Es geht um Grundsätzliches: Und so wird die Parteichefin ihre Thesen am Samstag in der Berliner Urania bei der von der „Jungen Welt“ veranstalteten Rosa-Luxemburg-Konferenz diskutieren. Thema: „Wo bitte geht's zum Kommunismus? Linker Reformismus oder revolutionäre Strategie – Wege aus dem Kapitalismus“. Nach wie vor offen ist in diesem Kreis die dort ganz und gar nicht ewig gestrige Frage der Arbeiterbewegung: Soll man auf den Umsturz setzen oder auf allmähliche Veränderungen?
Lötzsch wird sich in der Urania vor allem auch mit einer ganz radikalen Fraktion auseinandersetzen müssen, die sogar dem kommunistischen Flügel ihrer Partei zu revolutionär sein dürfte: Mit auf dem Podium sitzt die frühere RAF-Terroristin Inge Viett. Sie hat, auch in der „Jungen Welt“, verlangt, eine linke Partei müsse „revolutionär und klandestin“ dem Vorbild Lenins folgen und dürfe vor Gewaltakten wie Sachbeschädigungen und Widerstand gegen Polizisten nicht zurückschrecken. Das Gebot der Stunde für Viett: „Aufbau einer revolutionären, kommunistischen Organisation“. Dazu befragt, sagt Gesine Lötzsch, sie teile solche Ansichten keineswegs. Sie spreche allerdings nicht mit einer aktiven Terroristin, wie ihr die Kritiker vorwerfen. Sie halte sich an den Rechtsstaat. Inge Viett habe ihre Strafe abgesessen und habe das Recht, sich auch zu äußern.
Lötzsch hält nach eigenem Bekunden jedoch die Ideen der RAF und die Praxis des bewaffneten Kampfes für „völlig inakzeptabel. Für mich gibt es Veränderungen nur auf demokratischem Wege über Mehrheiten.“ Die Linke werde keine kommunistische Partei, sagte die 50 Jahre alte Philologin, die seit 1984 Mitglied der SED war und jetzt den stärksten Ortsverband der Linken im Ostbezirk führt.
Für Kritiker wie den Chef der Stasi-Opfer-Gedenkstätte Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, sind aber trotz solcher Versicherungen die Aussagen der Linke-Chefin über den Kommunismus bezeichnend: „Wenn die Linke-Vorsitzende öffentlich darüber sinniert, welches der beste Weg zum Kommunismus ist, kann einem nur angst und bange werden.“ Für die Opfer des Kommunismus seien solche Gedankengänge „schmerzhaft und unerträglich“. Knabe fordert Lötzsch auf, ihre Teilnahme bei der „linksradikalen Kommunismus-Konferenz“ abzusagen. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe wirft der Parteichefin eine „skandalöse Kommunismussehnsucht“ vor. Sein CSU-Kollege Alexander Dobrindt meint sogar, wer so agiere, der gehe auch das Risiko ein, dass er nicht nur vom Verfassungsschutz beobachtet werde, „sondern dass auch ein Verbotsverfahren unter Umständen auf Sicht angestrebt werden könnte.“ SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier ruft die Führung der Linken zu einer Klärung auf.
Zumindest im Reformerlager der Linken erntet Lötzsch Kritik. Die Vorsitzende hätte in ihren Text einen Hinweis auf die Opfer und auf die Distanzierung der Partei von stalinistischen Methoden aufnehmen sollen, heißt es. „Der Bruch mit dem Stalinismus ist die Konsequenz aus den Verbrechen im Namen des Kommunismus“, sagt der Berliner Landesvorsitzende Klaus Lederer. Das sei Gründungskonsens der Partei Die Linke. Sein Landesverband stehe dazu, dass sich „unsere Partei in der Tradition der demokratischen Kräfte der Arbeiterbewegung und in der Tradition des demokratischen Sozialismus verortet“. Und Lederer fügt hinzu: „Das wird auch zukünftig so bleiben.“
Ein Ausweg für Lötzsch
Einen Ausweg will man der Parteichefin freilich intern noch lassen. Man habe Gesine Lötzsch bisher nicht als eine Vorsitzende erlebt, die die Partei in eine kommunistische Partei umwandeln wolle, und gehe davon aus, dass ihre Rede bei der Konferenz keinen Grund bieten werde, diese Ansicht zu ändern.
Tatsächlich finden sich bei genauem Lesen im Beitrag der Parteivorsitzenden Hinweise darauf, dass sich Lötzsch nicht im Lager der Radikalen verorten möchte: So bezieht sie sich auf die marxistische Ikone Rosa Luxemburg. Die habe neben der Macht der Arbeiter eben auch immer die Freiheit, individuelle Entfaltungsmöglichkeit und Kritik gefordert, weswegen sich der „sowjetische Parteikommunismus“ nie mit ihr habe versöhnen können.