Gewalt

Brutale Attacken auf Polizisten nehmen stark zu

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Matthias Armborst

Foto: AP

Die Zahl der Angriffe auf Polizisten steigt drastisch. In mehreren Bundesländern schnellte die Zahl der sogenannten Widerstandshandlungen 2008 auf Rekordstände. Allein Nordrhein-Westfalen verzeichnete vergangenes Jahr mehr als 6000 Fälle. Polizisten kämpfen mit der Verrohung der Gesellschaft.

Polizisten sind immer öfter Zielscheibe von Gewalt: In Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Hamburg schnellte die Zahl der sogenannten Widerstandshandlungen 2008 auf Rekordstände, wie Gewerkschaften beziehungsweise Ministerien mitteilten. Aus weiteren Bundesländern wurden ebenfalls zum Teil drastische Anstiege gemeldet. "Die Kollegen kämpfen mit der Verrohung der Gesellschaft", sagte der Vorsitzende Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Hessen, Jörg Bruchmüller.


In Nordrhein-Westfalen gab es nach Angaben der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) im vergangenen Jahr mehr als 6000 Fälle von "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte", wie die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" berichtet. Dies sei Rekord, seit 1998 (3200 Delikte) habe sich die Zahl der Übergriffe fast verdoppelt. Das Innenministerium wies aber darauf hin, dass in der Zahl auch Angriffe auf Justizbeamte und Gerichtsvollzieher enthalten sind.


In anderen Bundesländern gibt es eine ähnliche Entwicklung: In Schleswig-Holstein gab es laut Innenministerium 2008 die Rekordzahl von 713 Widerstandshandlungen allein gegen Polizisten, im Vorjahr waren es noch 545.


In Hamburg schnellte die Zahl aller Widerstandshandlungen seit 1999 um 40 Prozent auf 1153 in die Höhe, wie die Polizeigewerkschaft mitteilte. "Bei kleinsten Anlässen gibt es kein Halten mehr", sagte der stellvertretende GdP-Chef Uwe Koßel. Dies betreffe Streifenpolizisten ebenso wie Beamte bei Demonstrationen oder Fußballspielen. "Auch rund um die Reeperbahn sind wir jedes Wochenende mit ganzen Zügen im Einsatz", sagte Koßel. Dort gehe es inzwischen "nur noch um Gewalt".


In Berlin gibt es nach Gewerkschaftsangaben täglich durchschnittlich neun Angriffe auf Polizisten, bei denen drei Beamte mehr oder weniger schwer verletzt werden, wie die "WAZ" weiter schrieb.

Innensenator kündigt Initiative für harte Strafen an

Als Reaktion fordert die Polizeigewerkschaft eine drastische Strafverschärfung: "Es kann nicht sein, dass ein Angriff auf Polizisten mit einer Geldstrafe oder bis zu zwei Jahren Haft genauso betraft wird wie Fischwilderei", sagte der stellvertretende DPolG-Bundesvorsitzende Joachim Lenders.


Der Hamburger Innensenator Christoph Ahlhaus kündigte im AP-Gespräch eine Initiative für härtere Strafen an. "Wer gegen Polizeibeamte und andere Einsatzkräfte Gewalt anwendet, muss die Konsequenzen deutlich spüren", sagte er. Deshalb solle die Mindestfreiheitsstrafe bei besonders schweren Fällen von sechs Monaten auf ein Jahr angehoben werden. Er werde die Strafverschärfungen auf der nächsten Innenministerkonferenz im Juni zum Thema machen.


Über die zunehmende Gewalt gegen Kollegen klagen auch Polizeigewerkschafter in Ostdeutschland. In Sachsen gebe es jährlich rund 400 verletzte Polizisten, sagte der sächsischen GdP, Matthias Kubitz, dem Sender MDR Info. Vor etwa fünf Jahren seien es noch 150 Verletzte gewesen.


Der Sprecher der thüringischen GdP, Edgar Große, erklärte, die Gewalt gegen Polizisten sei innerhalb eines Jahres um rund 17 Prozent gestiegen, die Aggressivität nehme zu. Der Sprecher der Polizeigewerkschaft in Sachsen-Anhalt, Uwe Petermann, sagte: "Gewalt gegen Polizeibeamte ist irgendwo schick geworden."


In Bayern gab es 2007 rund 3400 Widerstandshandlungen, Ministeriumssprecher Holger Plank sprach von einer steigenden Tendenz. Für Baden-Württemberg sagte DPolG-Landeschef Joachim Lautensack, 2007 seien bei rund 2500 Widerstandshandlungen mehr als 400 Beamte verletzt worden. "Wir haben ein Problem mit der Aggression und der Brutalität auf der Straße", räumte er ein.

Gewalt größeres Problem als Terrorismus

Das größte Sicherheitsproblem in europäischen Metropolen ist nach Einschätzung von Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) nicht der Terrorismus sondern die Gewaltkriminalität.


Die Terrorismusbekämpfung sollte in der öffentlichen Diskussion nicht überbetont werden, um andere Bereiche nicht aus den Augen zu verlieren, sagte Körting bei der Eröffnung des Europäischen Polizeikongresses im Kongresszentrum am Alexanderplatz. Das Thema Gewaltkriminalität stelle sich wohl in allen Großstädten "in ähnlicher Schärfe".


Die Kriminalität junger Menschen in Berlin erreiche immer noch ein "hohes Niveau", sagte Körting. Besonders die Gewalttaten von Jugendlichen hätten in den vergangenen Jahren zugenommen. Allerdings sei eine "zahlenmäßig eher kleine Gruppe" von 500 sogenannten Intensivtätern für einen großen Anteil dieser Taten verantwortlich.


Körting nannte eine Vielzahl von Maßnahmen, mit denen die Polizei darauf reagiere. Wiederholungstäter würden inzwischen besonders beobachtet, die Gerichte reagierten mit schnelleren Urteilen, die Polizei arbeite bei der Gewaltprävention eng mit Schulen zusammen. Außerdem versuche man, mehr türkisch- und arabischstämmige Polizisten einzustellen, um auf die entsprechenden Tätergruppen zu reagieren. Trotz erheblicher Anstrengungen habe Berlin hier "noch Nachholbedarf".


Bei dem zweitägigen Kongress beraten 1800 Sicherheitsexperten und hochrangige Polizisten aus 66 Staaten über Strategien gegen Terror und Kriminalität. Referenten sind unter anderem EU-Justizkommissar Jacques Barrot, die Innenstaatssekretäre August Hanning und Peter Altmaier (CDU), sechs Innenminister der Bundesländer und die Vorsitzenden der drei deutschen Polizeigewerkschaften. Am Abend wollten Linksradikale und autonome Gruppen gegen den Kongress demonstrieren.

( AP )