Neue Ministerin in Hannover

Frau Özkan, wann wird eine Muslimin Kanzlerin?

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Uli Exner

Foto: dpa

Deutschlands erste muslimische Ministerin Aygül Özkan schreitet zügig zur Tat. Als Niedersachsens designierte Sozialiministerin will sie die Frühförderung für Migrantenkinder stärken und deren Eltern mobilisieren. Mit Morgenpost Online spricht sie über ihre Karriere, die späte Einsicht der CDU und Thilo Sarrazin.

Morgenpost Online: Frau Özkan, Sie sind ja noch gar nicht so lange dabei in der Politik. Und schon Ministerin in Niedersachsen. Wohin soll das denn führen?

Aygül Özkan: Hoffentlich auf einen guten Weg.

Morgenpost Online: Wenn es so weitergeht, sind sie bald Kanzlerin.

Özkan: Da würde dann schon noch ein bisschen mehr dazu gehören. Außerdem haben wir ja eine gute Kanzlerin.

Morgenpost Online: Aber denkbar wäre es aus Ihrer Sicht? Eine Bundeskanzlerin, die Muslimin ist und Migrationshintergrund hat?

Özkan: Die Religion sollte jedenfalls keine Rolle spielen bei der Auswahl. Und natürlich kann auch jemand mit Migrationshintergrund Kanzlerin sein. Unsere Welt ist nun mal so. Deutschland ist ein Zuwanderungsland.

Morgenpost Online: Das zu erkennen, hat sich Ihre Partei recht schwer getan.

Özkan: Finde ich auch. Die Einsicht kam spät. Aber dann hat sie auch sehr schnell die richtigen Schritte gemacht.

Morgenpost Online: Und ist mit Ihrer Berufung schon am Ziel?

Özkan: Nein. Wir alle sind noch nicht am Ziel. Ein Beispiel: Wir brauchen an unseren Gerichten dringend mehr Richter mit Migrationshintergrund. Damit die Betroffen auch sehen, hier entscheidet nicht eine fremde Autorität, sondern wir gehören da auch zu.

Morgenpost Online: Eine türkisch-stämmige Kanzlerin müsste für einen EU-Beitritt der Türkei sein, oder?

Özkan: Ach, wissen Sie. Der EU-Beitritt wird in der deutschen Integrationsdebatte einfach überstrapaziert. Beitritt oder Nicht-Beitritt, das hat mit den Problemen der türkischstämmigen Menschen, die hier leben, nur sehr wenig zu tun.

Morgenpost Online: In der Türkei ist der Beitrittswunsch sehr intensiv .

Özkan: Aber wir machen Politik für die Menschen, die hier leben.

Morgenpost Online: Angela Merkel hat sich bei diesem Thema sehr klar positioniert. Haben Sie mit ihr schon über das Thema gesprochen?

Özkan: Nein. Sie ist die Kanzlerin, sie muss zu diesem Thema Stellung nehmen. Aber es ist müßig darüber auf kommunaler oder Länderebene zu debattieren. Das bringt die Menschen kein Stück weiter.

Morgenpost Online: Sie sind die erste deutsche Ministerin mit Migrationshintergrund. Kommt das zu früh, zu spät, genau richtig?

Özkan: Genau richtig. Wir haben jetzt ganz viele junge Menschen in der dritten und vierten Generation der Einwanderer. Die brauchen Vorbilder, damit sie sehen können: Sie können alles werden in diesem Land. Es lohnt sich, sich anzustrengen.

Morgenpost Online: Warum tun sich Migranten aus der Türkei schwerer mit der Integration als andere?

Özkan: Ein wesentlicher Grund ist, dass wir in den Familien immer noch diesen Verbundgedanken, dieses sehr starke Zusammengehörigkeitsgefühl haben. Der verhindert manchmal, dass die Kinder rechtzeitig die Sprache lernen, frühzeitig am Bildungssystem teilnehmen.

Morgenpost Online: Sind Sie in diesem Zusammenhang für eine Kita-Pflicht?

Özkan: Zunächst einmal müssen wir den Eltern mit Migrationshintergrund zeigen, dass es attraktiv ist, ihre Kinder in die Kita zu geben. Wir müssen ein Umdenken auslösen. Dann bedarf es gar keiner Kita-Pflicht.

Morgenpost Online: Das wird nicht ganz einfach. Türkischstämmige Einwanderer haben schlechtere Abschlüsse, eine höhere Analphabetenrate, mehr Hartz IV-Empfänger. Wie schaffen Sie es, diese Menschen argumentativ für Bildung und attraktive Kitas zu gewinnen?

Özkan: Nein einfach ist das nicht. Aber versuchen müssen wir es. Wir müssen uns einzelne Familien aus den türkischen Communities heraussuchen, die dann als Multiplikatoren wirken können. Wenn Sie erst mal einen in der Klasse haben, der weiß, dass es gut ist für die Kinder, wenn er zum Elternabend geht, der sieht, dass es lohnt, sich mit unserem Schulsystem zu befassen, dann nimmt der auch bald drei weitere Eltern mit.

Morgenpost Online: Wollen Sie auch mit materiellen Anreizen arbeiten, um dieses Engagement auszulösen?

Özkan: Vielleicht. Aber ein Anreiz könnte ja auch eine besondere Förderung der Kinder sein. Wir brauchen Anreize, die bewirken, dass sich die Eltern engagieren.

Morgenpost Online: Sie selbst hatten engagierte Eltern und waren nie eines dieser „Kopftuchmädchen“, über die Berlins früherer Finanzsenator Thilo Sarrazin gelästert hat. Wie haben Sie diese Debatte empfunden?

Özkan: Ich glaube nicht, dass Sarrazin über die Menschen wirklich urteilen konnte, über die er da sprach. Außerdem waren seine Aussagen, Stichwort: Gemüseläden, schlicht falsch.

Morgenpost Online: War das für Sie persönlich herabsetzend, was er gesagt hat?

Özkan: Ja, absolut.

Morgenpost Online: Die Probleme, die Sarrazin damals umrissen hat, gibt es aber.

Özkan: In der Tat.

Morgenpost Online: Haben Sie sich schon mal mit dem Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky in Berlin unterhalten?

Özkan: Nein. Noch nicht. Aber bei ihm merkt man, dass er seine Mitmenschen in Berlin-Neukölln gut kennt. Deswegen hat er auch so viel Rückhalt. Man muss eben ganz genau hingucken und nicht verallgemeinern und Pauschalurteile fällen.

Morgenpost Online: Das von der schwarz-gelben Koalition geplante Betreuungsgeld hält Buschkowsky für blanken Zynismus.

Özkan: Mit Verlaub, das geht mir jetzt zu sehr in die konkrete inhaltliche Arbeit. Ich bin ja noch nicht mal im Amt.

Morgenpost Online: Dienstag bekommen Sie Ihre Ernennungsurkunde.

Özkan: Und dann werden wir das Thema im Kabinett debattieren und uns eine Meinung bilden.

Morgenpost Online: Das wird nicht alles sein, was auf Sie zukommt: Sie müssen sich um die Pflegeheime kümmern im weiten Niedersachsen, um Familienkassen und den Kneipp-Verein. Sie müssen sich mit Herrn Schünemann streiten ...

Özkan: Ob ich mich streiten muss, weiß ich nicht. Ich bin gar kein streitender Mensch.

Morgenpost Online: ... um Integration, Abschiebung und die Frage wer wann wo Kopftuch tragen darf. Gar keine Angst zu scheitern?

Özkan: Nein. Keine Angst. Ich weiß, dass man scheitern kann. Aber ich habe keine Angst davor.

Morgenpost Online: Sagen zu müssen, ich schaffe das nicht?

Özkan: Natürlich gibt es Rückschläge. Bisher war ich Abgeordnete, da konnte man viel fordern. Jetzt werde ich Regierung sein und Dinge umsetzen müssen. Da wird nicht alles klappen. Aber wenn ich Angst hätte, sollte ich besser gar nicht anfangen.

Morgenpost Online: Wären Sie eigentlich lieber Wirtschaftsministerin geworden?

Özkan: Ich hätte mich vor der Verantwortung jedenfalls nicht gedrückt.

Morgenpost Online: So sind sie die Sozialtante. Typisch Frau, oder?

Özkan: Nein. Wir haben hier in Hamburg einen Sozialsenator, keine Frau.

Morgenpost Online: Typische Männerfrage: Was machen Sie eigentlich mit Ihrem siebenjährigen Sohn? Er in Hamburg, Sie in Hannover. Das wird doch ganz oft traurig, oder?

Özkan: Das war auch der schwierigste Teil der Entscheidung, weil das schon immer wehtut im Herzen, wenn man sich häufiger nicht sieht.

Morgenpost Online: Was hat er zu Ihrer Berufung gesagt?

Özkan: Er ist superstolz.