Stammzellenforschung ist ein umstrittenes Thema. Kritiker prangern die Kosten und die ethische Vertretbarkeit an, Forscher pochen auf die medizinischen Fortschritte, die sich dadurch ergeben können. Morgenpost Online war zu Besuch im Labor eines Stammzellenforschers, der menschliches Herzgewebe herstellen will.
Mit bloßem Auge sind die embryonalen Stammzellen nicht zu erkennen. Erst in zigfacher Vergrößerung unter dem Mikroskop werden sie schemenhaft sichtbar und offenbaren ihre erstaunlichen Fähigkeiten. Sie haben sich zu Herzmuskelzellen entwickelt. Wie aus dem Nichts schlagen sie im gleichmäßigen Rhythmus, mit faszinierender Präzision. Doch das ist erst der Anfang.
„Ziel ist es, menschliches Herzgewebe zu züchten“, sagt Professor Wolfram-H. Zimmermann, Facharzt für Pharmakologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Weltweit sind Herzkreislauf-Erkrankungen schon heute die häufigste Todesursache. Allein in Deutschland erleiden jedes Jahr mehr als 260.000 Menschen einen Herzinfarkt. Weniger als die Hälfte überlebt, oft mit schweren dauerhaften Schäden. Ersatzgewebe aus dem Labor könnte in Zukunft helfen, das geschädigte Herz dieser Patienten wieder zu stärken.
Um diesen neuen Therapieansatz zu verwirklichen, experimentiert Zimmermann auch mit menschlichen embryonalen Stammzellen. Im September 2005 erhielt er die Genehmigung vom zuständigen Robert-Koch-Institut in Berlin, entsprechende Zelllinien zu importieren. In seinem Arbeitszimmer stehen noch graue Kühlboxen, in denen das empfindliche Zellmaterial per Post aus den USA und Singapur angeliefert wurde.
Seit Juli 2002 dürfen deutsche Wissenschaftler menschliche embryonale Stammzelllinien importieren, die vor dem 1. Januar 2002 im Ausland angelegt wurden. Für ethische Bedenken sorgt dabei die Quelle des begehrten Zellmaterials. Es stammt aus künstlich befruchteten Eizellen, die in Fortpflanzungskliniken erzeugt wurden und für die es keine Verwendung mehr gab. Im frühen Stadium ihrer Entwicklung hat sich die befruchtete Eizelle erst wenige Mal geteilt. Jede einzelne ihrer zwei, vier oder acht Zellen kann sich noch zu jedem der rund 200 Zelltypen des Menschen entwickeln. „Diese Zellen können wirklich alles“, sagt Zimmermann. Das macht die embryonalen Stammzellen für die Forschung so interessant.
Die Forschung ist langwierig: Eine Versuchsreihe dauert etwa 3 Monate
Allerdings ist es nicht so einfach, embryonale Stammzellen dazu zu bringen, sich zu einem bestimmten Zelltyp zu entwickeln. „Wir suchen noch nach dem entscheidenden Hebel“, sagt Zimmermann. Das erfordert zunächst keine aufwendige Technik, sondern vor allem viel Geduld. Eine Experimentierreihe dauert zwei bis drei Monate. Die Zellkulturen lagern bei 37 Grad Celsius in einem Brutschrank. Alle zwei Tage müssen sie hinter Glas mit neuer Nährlösung versorgt werden. Zimmermann trägt bei der Arbeit einen grünen Kittel, hat seine Hände sorgfältig desinfiziert. „Nicht pusten“, warnt er. Schon ein kräftiger Atemhauch kann die Zellkultur verunreinigen.
Die entspannte Ruhe im Labor steht im krassen Gegensatz zu der aufgeregten Debatte über die Nutzung menschlicher embryonaler Stammzellen. Heute wird der Bundestag entscheiden, ob der Stichtag zum Import der Zelllinien auf den 1. Mai 2007 verschoben wird. „Das ist absolut notwendig“, sagt Zimmermann. Er fühlt sich durch das geltende Recht „stark benachteiligt“. Bleibt der Stichtag unverändert, werden die wenigen deutschen Wissenschaftler, die mit menschlichen embryonalen Stammzellen arbeiten, den Anschluss an den internationalen Fortschritt zu verlieren. Denn: „Die alten Zelllinien sind kaum noch zu gebrauchen“, warnt Zimmermann.
Seit drei Tagen schwimmen die Zellen jetzt in der leuchtend roten Nährlösung. Ein Blick durch das Mikroskop zeigt jedoch, dass sich „noch nichts bewegt“. Mitten in der flachen Glasschale liegt eine Konstruktion, die den einzelnen Zellen einen Halt geben soll, damit sie sich zu größeren Zellverbänden zusammenschließen können. Mit unterschiedlichen Nährlösungen wird versucht, die Entwicklung der Zellen gezielt zu lenken. „Wir bemühen uns dabei zugleich, die natürliche Umgebung des Herzens zu simulieren“, sagt Zimmermann. Gesunde Herzzellen sind dauerhaft elektrisch aktiv. Sie stehen unter Spannung, dehnen sich und ziehen sich wieder zusammen.
Zimmermann arbeitet in seinem Stammzelllabor mit einem internationalen Team von zehn jungen Wissenschaftlern. Ihnen ist es weltweit erstmals gelungen, menschliches Herzmuskelgewebe im Labor zu züchten. Dabei hängt es jedoch noch viel zu stark vom Zufall ab, zu wie vielen Herzzellen sich die embryonalen Stammzellen am Ende tatsächlich entwickeln. Auch im besten Fall sind es nur einige zehntausende. Um einen defekten Herzmuskel zu reparieren, wären aber mindestens eine Milliarde Ersatzzellen notwendig.
Bis zu einer therapeutischen Anwendung ist es noch ein weiter Weg. Die Entwicklung eines neuen Medikaments dauert im Durchschnitt etwa 16 Jahre. Aber es gibt ermutigende Erfolge. In Tierexperimenten hat Zimmermann das neu gezüchtete Ersatzgewebe Ratten transplantiert und auf dem Herzen „festgenäht“. Das Gewebe wuchs an, baute Verbindungen zu den natürlichen Nachbarzellen auf. „Das Grundprinzip der Therapie funktioniert“, sagt Zimmermann.
50 Millionen Euro für die Stammzellenforschung seit dem Jahr 2000
Seit dem Jahr 2000 hat das Bundesforschungsministerium die Stammzellforschung in Deutschland mit fast 50 Millionen Euro gefördert. Davon gingen jedoch nur 1,5 Millionen Euro an Forscher, die wie Zimmermann mit menschlichen embryonalen Stammzellen arbeiten. Die übrigen Fördermittel flossen in Projekte mit adulten Stammzellen. Diese Zellen finden sich etwa im Knochenmark, im Blut, in den verschiedenen Organen oder im Fettgewebe.
„Adulte Stammzellen sind in ihren Entwicklungsmöglichkeiten deutlich eingeschränkt“, sagt Zimmermann. Aus Blutstammzellen werden neue Blutzellen, aus Leberstammzellen neue Leberzellen. Die Anwendung adulter Stammzellen über Organgrenzen hinweg sei zwar eine verlockende Vision, aber durch wissenschaftlich harte Daten kaum belegt, kritisiert Zimmermann. So haben sich Hoffnungen, mit der Injektion adulter Stammzellen aus dem Knochenmark im großen Stil die Neubildung von Herzmuskelgewebe anzustoßen, bislang nicht erfüllt.
Um nicht länger auf embryonale Stammzellen aus dem Ausland angewiesen zu sein, will Zimmermann nun auf eine neue Quelle ausweichen. In Experimenten konnte er nach dem Prinzip der Jungfernzeugung aus unbefruchteten Eizellen von Mäusen embryonale Stammzellen gewinnen: Statt die Eizellen mit einem Spermium zu befruchten, wurden sie angeregt, sich zu teilen und somit eine Befruchtung nur zu simulieren. Die so entstandenen Eizellen begannen sich zu teilen und embryonale Stammzellen zu bilden, aus denen dann Herzmuskelzellen gezüchtet werden konnten. Nun will Zimmermann diese Versuche auch mit unbefruchteten Eizellen des Menschen durchführen.