SPD-Chef im Interview

Müntefering kritisiert "Verstaatlichungsfantasien"

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Thomas Schmid und Günther Lachmann

Foto: dpa

Wer hätte das gedacht? Franz Müntefering traut FDP-Chef Guido Westerwelle das Amt des Außenministers zu. Auf Morgenpost Online gibt sich der SPD-Vorsitzende von den Erfahrungen mit Andrea Ypsilanti geläutert, erklärt, warum Schwarz-Gelb im Bund nicht geben wird und warum einige Unionspolitiker Unsinn reden.

Morgenpost Online: Herr Müntefering, Sie sind seit gut vier Monaten Vorsitzender der SPD. Ihr Amtsantritt war mit großen Hoffnungen verbunden, die sich wohl nicht erfüllt haben dürften. Woran lag's?

Franz Müntefering: Natürlich haben Ereignisse wie Hessen den Neustart nicht leichter gemacht. Aber wir schauen nicht zurück, sondern nach vorne. Das Jahr 2009 beginnt jetzt.

Morgenpost Online: Wenn Sie eine Bilanz dieser ersten Monate ziehen: In welchem Zustand befindet sich die Partei?

Müntefering: Es ist wieder Vertrauen, Geschlossenheit und Zuversicht da. Wir haben den Boden für den Aufstieg festgetreten. Jetzt beginnen wir mit unserer Kampagne „Das neue Jahrzehnt“. Wir werden die öffentliche Debatte führen über die Fragen: Wie erhalten wir dauerhaft Wohlstand auf hohem Niveau, sozial gerecht, ökologisch vernünftig? Wie erhalten und schaffen wir Sicherheit und soziale Stabilität in Zeiten forcierten Wandels, die wir gerade jetzt in der Wirtschaftskrise erleben? Wie organisieren wir politischen und gesellschaftlichen Fortschritt?

Morgenpost Online: Ein hoher Anspruch?

Müntefering: Darauf werden wir sozialdemokratische Antworten geben. Es kommt darauf an, das Vertrauen der Menschen in die Politik, in die Gestaltbarkeit der Dinge zu gewinnen, zu stärken. Mit Blick auf die anstehenden Wahlen liegen wir gut in der Zeit.

Morgenpost Online: Was wird denn an dem „neuen Jahrzehnt“ so neu sein?

Müntefering: Darüber zu sprechen, dass wir Sicherheit nur dann gewährleisten können, wenn wir den Wandel gestalten – und daraus Konsequenzen ziehen. Dem Sozialen in der Sozialen Marktwirtschaft wieder Geltung verschaffen. Die guten Perspektiven einer alternden Gesellschaft verdeutlichen. Integration forcieren. Die Rolle des Staates ausbalancieren. Die Verstaatlichungsfantasien von manchen in der CDU sind Unsinn.

Morgenpost Online: Sie sehen die Gefahr, dass der Staat überstrapaziert wird?

Müntefering: Es ist schon irritierend, wie Rüttgers und andere in der Union da jedes Maß verlieren. Ich bin für einen Sozialstaat mit der Idee des Füreinanders auf der Basis von Pflichten und Rechten in der sozialen Gesellschaft. In diesem Sozialstaat spielt die Familie, jede Form der Familie, die Idee der Subsidiarität, der Eigenverantwortung und der ökonomischen und sozialen Verantwortung der Wirtschaft eine große Rolle. Um solche Themen geht's. Schon in den nächsten Wochen. Und ich bin sicher, dass wir die Menschen damit für uns gewinnen.

Morgenpost Online: Damit sie in den Umfragen endlich über 25 Prozent hinauskommen?

Müntefering: Diese Sonntagsfrage ist nicht klug. Die Menschen wissen genau, dass nächsten Sonntag keine Bundestagswahl ist. Entscheidend ist die Frage, wie nachhaltig überzeugt die Menschen von ihren derzeitigen Präferenzen sind. Was wird die Botschaft des Wählers am Wahltag sein? Darum geht's.

Morgenpost Online: Offenbar neigt er zu einer bürgerlichen Mehrheit?

Müntefering: ? Schwarz-Gelb hat keine gesellschaftliche Mehrheit.

Morgenpost Online: Schauen Sie nur nach Hessen?

Müntefering: ? Hessen war ein Sonderfall, nach dem Vorspiel Fußball auf Glatteis. Die FDP sollte sich nicht zu stark fühlen. Sie hat von den ehemaligen CDU-Anhängern profitiert, wegen Koch, aber nur dieses Mal. Fachleute sagen uns, ein Drittel der FDP-Stimmen dort kamen von diesen traditionellen CDU-Wählern. Ich sage Ihnen: Eine schwarz-gelbe Bundesregierung wird es nicht geben.

Morgenpost Online: Sondern?

Müntefering: Eine mit Frank Steinmeier als Kanzler. Die FDP kann sich in ihren Kernbereichen Liberalität, Bürgerrechte, Bildung, Menschenrechte und sogar in ökonomischen Fragen mit uns und den Grünen arrangieren.

Morgenpost Online: Es gab eine Zeit, da wurde FDP-Chef Guido Westerwelle von den Sozialdemokraten belächelt?

Müntefering: ? Auch Guido Westerwelle ist älter und klüger geworden. 2005 hat er mir noch geschrieben, dass er keine Koalitionsgespräche mit mir führt. Einen solchen Brief wird er nicht noch einmal schreiben. Und mit seinen außenpolitischen Ambitionen zeigt er ja, dass er da eine alte Tradition erkannt hat.

Morgenpost Online: Hat Westerwelle das Zeug zum Außenminister?

Müntefering: Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand.

Morgenpost Online: Was ist mit der Linkspartei?

Müntefering: Eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei im Bund kommt für uns nicht infrage. Das wissen die Menschen auch.

Morgenpost Online: Und was macht die SPD in Thüringen und im Saarland? Dort könnte die Linke bei den anstehenden Landtagswahlen sogar stärker werden als die SPD.

Müntefering: In der Wirtschaftskrise gewinnt die Linke nicht hinzu.

Morgenpost Online: Würde die SPD in Thüringen oder im Saarland einen Politiker der Linken zum Ministerpräsidenten wählen?

Müntefering: Es gibt die klare Aussage der SPD-Spitzenkandidaten Christoph Matschie und Heiko Maas, dass das nicht geschieht. Und ich gehe davon aus, dass das auch so sein wird. Alle haben aus Hessen gelernt. Was gesagt ist, gilt.

Morgenpost Online: Was macht Sie so sicher, dass die Linke nicht doch von der Rezession profitiert?

Müntefering: Wenn die Wirtschaftskrise ihren Höhenpunkt erreicht, werden die Menschen zur Koalition sagen: Die Besten an einen Tisch und rettet, was zu retten ist. Und sorgt dafür, dass das gut weitergeht.

Morgenpost Online: Sie planen die Fortsetzung der großen Koalition?

Müntefering: Nein. Rot-Grün ist die Präferenz. Wenn das nicht geht, Ampel. Klar ist: die große Mehrheit der Bevölkerung will, dass Frank Steinmeier und Peer Steinbrück regieren. Weil die genau wissen, dass es nicht so gut wäre, wenn Merkel es mit Glos oder Westerwelle alleine machen müsste. Es gibt diese Grundüberzeugung bei den Menschen, dass diese Koalition es ganz gut macht und die Sozialdemokraten dabei die zentrale Rolle spielen. Wenn es also nicht anders geht, muss man auch sagen können: Diese Koalition macht weiter.

Morgenpost Online: Montag beraten Sie im Parteivorstand und im Parteirat erstmals über das Wahlprogramm. Wann beginnt der Wahlkampf?

Müntefering: Deutschland kann sich in der aktuellen Krisen-Situation keinen langen Wahlkampf leisten. Das wäre hochgradig leichtsinnig. Jetzt muss man regieren. Ich gehe davon aus, dass es bis nach der Europawahl im Sommer keinen Bundestagswahlkampf geben wird. Danach einen kurzen, kräftigen.

Morgenpost Online: Tatsächlich wegen der Rezession oder nicht vielleicht auch aus Rücksicht auf den unerfahrenen Spitzenkandidaten?

Müntefering: Wir werden weiter glaubwürdig und kompetent in der Regierung unserer Verantwortung gerecht werden. Und dann wird es wichtig sein, dass wir den Wahlkampf richtig timen. Ich sag`s mal so: Wer als erster aus der Regierung in den Wahlkampf springt, der verliert.

Morgenpost Online: Die Kunst der Spitzenkandidaten wird also darin bestehen, so spät wie möglich zu springen, aber eine Zehntelsekunde vor dem anderen?

Müntefering: Geistesgegenwart wird nötig sein in diesem Wahlkampf. Die Schussfahrt ist angesagt. Aber zwischendurch muss man vielleicht auch Slalom fahren.

Morgenpost Online: Worin wird sich dieser Wahlkampf von vorhergehenden unterscheiden?

Müntefering: Jeder Wahlkampf ist ein Unikat. Dieser wegen der Wirtschaftskrise ganz besonders. Und natürlich wird das Internet enorm wichtig. Da gibt es jetzt Leute, die auf der Parteischiene und in anderen sozialen Netzwerken miteinander reden. Früher geschah das in der Kneipe. Und die Kneipe war gleichzeitig der Ortsverein. Diese Zeiten sind vorbei, für die meisten jedenfalls.

Morgenpost Online: Heißt das auch, die SPD wird in Zukunft weniger das sein, was sie früher einmal war, nämlich Heimat?

Müntefering: Sie wird eine neue, andere Heimat sein.

Morgenpost Online: In der kommenden Woche wird Kurt Beck 60. Werden Sie auf der Geburtstagsfeier sein?

Müntefering: Ich werde ihm als Parteivorsitzender gratulieren und ihn ehren. Aber am 5. Februar werde ich nicht dabei sein können. Da bin ich anderweitig unterwegs. Das ist besprochen.