Beim Rauchverbot kennt er keine Gnade: Lothar Binding ist nicht fanatisch, aber Überzeugungstäter. Der Vater des Anti-Raucher-Gesetzes will die EU-Richtlinie zum Nichtraucherschutz auch in Deutschland durchsetzen. Auf Morgenpost Online spricht der SPD-Mann auch über die persönlichen Gründe für seine Mission.

Lothar Binding kommt gleich zur Sache. „Wie weit reichen aneinandergereiht sämtliche Zigaretten, die in einem Jahr weltweit geraucht werden?“ Einmal um den Äquator? Oder bis zum Mond? „Von der Erde bis zur Sonne und über den Mars wieder zurück“, gibt Binding die Antwort selbst. Das ist die Länge von sechs Billionen Zigaretten. Allein die Deutschen rauchen rund 135 Milliarden Zigaretten im Jahr. Mit jedem Zug inhalieren sie lebensgefährliche Giftstoffe.

Binding ist 58 Jahre alt, Bundestagsabgeordneter der SPD und Mitglied im Finanzausschuss. Fast auf den Tag genau vor zwei Jahren hat er im Parlament eine Initiative für ein Anti-Raucher-Gesetz gestartet: „Ich bin froh, dass es bislang so schön geklappt hat.“ Ob in Irland, Italien oder Norwegen, ob in Schweden, Schottland oder Luxemburg – überall gelten seit längerem weitreichende Gesetze zum Schutz der Nichtraucher. Nur in Deutschland dauert das Ringen um Rauchverbote weiterhin an. Aber Binding ist noch lange nicht müde.

Anti-Raucherkämpfer auch in der Freizeit

Seinen ersten Termin hatte Binding an diesem Morgen um 7.30 Uhr. Dann Arbeitsgruppentreffen, Fraktionssitzung, ein parlamentarischer Abend der Wasserwirtschaft. Bis 22.30 Uhr hat er in seinem Büro im Paul-Löbe-Haus noch Briefe geschrieben und Emails beantwortet. Jetzt trinkt er im Kreuzberger „Würgeengel“ einen Ananassaft und einen Kaffee. Er schaut sich neugierig um. Mit seinem dunklen Anzug und der Krawatte passt er so gar nicht in diese Kneipe.

Der Ventilator an der Decke dreht sich träge. Über dem Tresen kräuselt sich eine feine Rauchsäule. Auf den Tischen stehen wie selbstverständlich Aschenbecher, als hätte es die hitzigen Debatten um die Gefahren des Tabakrauchs nie gegeben. „Ist das Rauchen in Kneipen nicht verboten?“, will Binding von der Kellnerin wissen. „Ab 1. Juli“, antwortet die junge Frau schnippisch, wendet sich ab und steckt sich eine Zigarette an. Binding ist kein fanatischer Nichtraucher, aber er hat eine Mission: Er will Raucher und Nichtraucher in Deutschland besser vor den Gefahren des Tabakrauchs schützen.

Zu oft hat er Lungenkrebspatienten leiden sehen

Zu oft schon hat er die große Thorax-Klinik in seinem Wahlkreis Heidelberg besucht, hat mit Krebspatienten gesprochen und Live-Filme aus dem Operationssaal gesehen. Aber erst ein Report aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum über die Gefahren des Passivrauchens gab den entscheidenden Anstoß, etwas zu tun. „Das war an einem Sonntag zu Hause in Heidelberg“, erinnert sich Binding. Einen Tag später schon hat er sich in Berlin mit den Gesundheitspolitikern seiner Fraktion getroffen.

Binding gelang der Durchbruch beim Rauchverbot

In den vergangenen Jahren hatte es immer wieder vergebliche Versuche gegeben, Rauchverbote zu erlassen. Erst Binding gelang es, mit seinem fraktionsübergreifenden Gruppenantrag das Gesetzgebungsverfahren ins Rollen zu bringen. Inzwischen hat der Bund das Rauchen in Bussen, Bahnen und Taxis verboten, auch in Bundesbehörden und im Bundestag darf nicht mehr gequalmt werden. In allen 16 Bundesländern gelten Rauchverbote in öffentlichen Gebäuden wie etwaKrankenhäusern, Kindergärten und Schulen.

Streit gibt es nach wie vor um die Regelungen der Länder für die Gastronomie. In Restaurants ist das Rauchen nur noch in abgetrennten Nebenräumen erlaubt. Und dagegen wehren sich jetzt die Wirte von sogenannten Ein-Raum-Kneipen. Seit das Rauchen dort verboten ist, bleiben die Gäste weg und die Umsätze brechen ein. Unterstützt vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) sind daher drei Wirte aus Berlin und Baden-Württemberg daher vor das Bundesverfassungsgericht gezogen, um das Rauchverbot in kleinen Eckkneipen zu kippen und ihre Existenz zu sichern. Binding sieht der Entscheidung der Karlsruher Richter mit Sorge entgegen. Eine Aufweichung der Rauchverbote wäre „ein Drama“, warnt Binding. „Wer Gesundheit und Wirtschaft gleichstellt, macht einen Fehler“.

Auch Binding war mal Raucher

Als junger Mann war Binding selbst ein sehr starker Raucher. Immer wenn er aufgeregt war, hat er sich eine Zigarette angesteckt. Er wollte nicht wie das berühmte HB-Männchen aus der Werbung in die Luft gehen. „Rauchen war ein Ventil, um Druck abzulassen“, erinnert er sich. Er dachte gar nicht daran, aufzuhören – bis er seine spätere Ehefrau kennenlernte. Frisch verliebt wurde er von einem Tag auf den anderen zum Nichtraucher. „Gesundheitsschutz ist nicht teilbar“, sagt Binding. Wenn die Gesetze zum Nichtraucherschutz in der Gastronomie weiter bröckeln, muss der Bund aktiv werden und doch noch ein bundesweit einheitliches Rauchverbot schaffen.

Es ist schon nach Mitternacht, als Binding im „Marrakesch“ im Berliner Szene-Bezirk Mitte noch einen Ananassaft bestellt. Ein aufdringlicher süßer Duft irritiert ihn. Er ist zum ersten Mal in einer Schischa-Kneipe. So heißen die Wasserpfeifen, die hier für 5,50 Euro in den Geschmacksrichtungen Apfel, Traube und Honigmelone angeboten wird. Ein junger Mann sitzt halb liegend vor dem orientalischen Wassergefäß mit Rauchsäule und Topf, den Schlauch zum Saugen lässig im Mundwinkel.

Nun kämpft er auch gegen Schischas

Schischas sind ein neuer Trend unter Jugendlichen. Wasser und Tabak werden erhitzt, Dampf und Rauch gemeinsam inhaliert – und damit auch sämtliche Schadstoffe. „Ist das Rauchen von Schischas in Kneipen nicht verboten“, fragt Binding den jungen Kellner. Der schaut etwas ratlos auf den Mann im korrekten Anzug, der so gar nicht in diese Umgebung passt. „Das wissen wir nicht. Vielleicht ab 1. Juli “, lautet die Antwort. Das ist nicht ganz korrekt. Berlins Gaststätten sind seit Jahresanfang rauchfrei, aber erst vom Juli an sollen Strafen bei Zuwiderhandlungen erhoben werden. Auch die Wasserpfeifen fallen natürlich unter das Rauchverbot.

Binding will das Thema Nichtraucherschutz nicht überstrapazieren, nicht „sauer fahren“, wie er es nennt. Aber es gibt für ihn genügend Gründe, weiter zu machen. Noch immer rauchen in Deutschland rund 16 Millionen Menschen. Jedes Jahr sterben rund 140.000 Raucher an den Folgen des Tabakkonsums, allein das unfreiwillige Passivrauchen fordert jedes Jahr rund 3300 Todesopfer. Der Tabakwirtschaft wirft er vor, immer neue Werbestrategien zu entwickeln, um Zigaretten ein positives Image zu verschaffen: Freiheit und Weite, Liebe, Kraft und Schönheit. Selbst der Lungenkrebstod des weltberühmten Malboro-Mannes hat daran nichts geändert.

Binding will Raucherentwöhung billig machen

„Wir sind weit gekommen, aber noch nicht weit genug“, sagt Binding. In deutschen Fernseh-Produktionen wird noch immer doppelt so viel geraucht wie in Filmen anderer Länder. Medikamente, die bei der Tabakentwöhnung helfen können, gelten in Deutschland als Lifestyle-Produkte und werden von den Kassen nicht bezahlt. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) will jetzt aber Unternehmen die Möglichkeit geben, Kosten für die Rauchentwöhnung ihrer Mitarbeiter von der Steuer abzusetzen. Das, so Binding, wäre doch schon einmal ein guter Vorschlag.