Das Anti-Kriegs-Museum liegt im Arbeiterviertel von Wedding. Tommy Spree, Leiter des Museums, rückt sich noch schnell seinen Anstecker am Revers zurecht, der zwei Hände zeigt, die ein Gewehr in der Mitte zerbrechen - das Emblem seines Großvaters Ernst Friedrich - und berichtet, wie ihn dieser bei ihrer letzten Begegnung begrüßte. Strammstehend und mit ernster Miene reckte Friedrich die rechte Hand hoch zum Hitlergruß. "Aber dann schmunzelte er schon", sagt Spree "und mit noch ausgestrecktem Arm entschärfte er die Geste mit einem Flüsterwitz: `So hoch steht die braune Scheiße hier. Das war das Einzige, was wir damals noch zu lachen hatten.`"
Sprees Großvater Ernst Friedrich hat nie ein Blatt vor den Mund genommen. Als erklärter Pazifist musste er unter den Repressalien des Dritten Reichs leben und leiden, hinnehmen wollte er sie nicht. Bereits 1923 gründete er sein Anti-Kriegs-Museum, das der Enkel heute weiter führt.
Nationalsozialisten eröffnen die Hetzjagd auf Friedrich
Hellsichtig beobachtete Friedrich die politischen Tendenzen in der Weimarer Republik, beschloss aktiv dagegen anzugehen, debattierte in den Kreisen um Erich Mühsam über die nationalsozialistischen Tendenzen, wurde als Sprecher geladen, protestierte mit und stand am Ende doch am Rednerpult, getrieben vom Wunsch nach Frieden und Freiheit. Plakate zu seinen Kundgebungen warben laut Enkel Tommy Spree nur noch mit "Ernst Friedrich spricht"– das reichte schon um die Hallen zu füllen.
Den Nationalsozialisten war der engagierte Aufklärer und Pazifist ein Dorn im Auge. Nach der Machtergreifung gingen sie ihn und sein Museum aktiv an. "Zuerst wurden nur die Schaufenster zertreten,", erzählt Tommy Spree, "so oft, dass sich die Berliner Versicherungen weigerten, ihn weiter aufzunehmen."
Von 100 SA-Männern mit Knüppeln zusammengeschlagen
Friedrich beschreibt in seinen Erinnerungen selbst, wie ihn die SA immer stärker drangsalierte: "Etwa 100 Mann stark, rückten sie in voller Uniform vor das Anti-Kriegs-Museum und rissen die weiße Friedensfahne herunter. Ich wurde sofort umringt und von allen Seiten mit Knüppeln und Koppelschlössern niedergeschlagen. Jeder Nazi bemühte sich auf diese `Hitlerart` seine `Visitenkarte` bei mir abzugeben."
Im November 1932 lauerten SA-Männer dem Kriegsgegner zu sechst auf und traten ihn brutal zusammen. "Aber Ernst Friedrich wäre nicht Ernst Friedrich, wenn er sich nicht gleich mit seinen schlimmen Wunden zu einem Journalisten geschleppt hätte und dann erst ins Krankenhaus ging", berichtet der Enkel und zeigt stolz den Zeitungsausriss dazu. Der Beitrag "Wie die Nazi-Banditen den Kriegsgegner Ernst Friedrich zurichteten" wurde gleich am nächsten Tag gedruckt und mit einem Bild des stark verwundeten Opfers versehen.
Ernst Friedrich sammelt NS-Flüsterwitze
Friedrich fragte sich immer mehr, wie er in den düsteren Zeiten der Hitler-Herrschaft den Menschen einen Moment der Freiheit bieten, den Widerstandsgeist aufrechterhalten könne und begann darum heimlich Flüsterwitze zu sammeln. Das, was sich das Volk hinter vorgehaltener Hand erzählen musste und zum Nachdenken und Lachen über die Verhältnisse anregte, interessierte ihn in eigener Sache. Viele seiner intellektuellen Freunde, aber auch einfache Menschen von der Straße steuerten Satirisches über die Naziherrschaft zu seiner Sammlung bei.
Das Anti-Kriegs-Museum wird zum SA-Heim
Sein ungebrochenes Engagement wurde von den Nazi-Schergen hart bestraft. Im Vorwort seiner Sammlung hat er das sarkastisch als "3 Witze von Adolf" über sich selbst zusammengefasst: "Als Geisel Nr. 90 wurde ich in der Nacht vom 27. auf den 28.Februar verhaftet! Das war der erste Witz, den sich `Friedensfreund` Adolf - mit mir - erlaubte".
Doch schon der zweite Witz traf ihn mitten ins Herz, wie sein Enkel Tommy Spree mit leiser werdender Stimme beschreibt. Die Nazis nahmen sein geliebtes Anti-Kriegs-Museum ein und verkehrten es ins Gegenteil: ein SA-Heim. Sie machten sogar zeitweilig eine Folterkammer für politische Gefangene aus Friedrichs Friedensfestung. Vorm Verlassen demolierten und überfluteten sie die Räume noch, wollten Friedrich und alles wofür er stand, scheinbar um jeden Preis auslöschen. Fassungslos stand er da vor den Trümmern seiner Existenz, indes schlug die SA noch seine Privatwohnung kurz und klein.
Friedrich kommt in Schutzhaft
Die Jagd auf den Pazifisten war eröffnet. Der dritte Witz Hitlers über Friedrich schildert seine Schutzhaft von sieben Monaten unter grausamsten Bedingungen. Amerikanische Quäker veranlassten dann im September 1933 seine Freilassung. "Da ich nunmehr nicht länger mit Hitler in Frieden leben wollte, entzog ich mich weiteren Wohltaten durch die Flucht", beendet er mit bitterem Humor seine ganz persönlichen "3 Witze von Adolf". Schwer krank nach der Tortur im Gefängnis setzte er sich umgehend nach Prag ab.
Kaum in der tschechischen Hauptstadt angekommen, stemmte er sich aber sofort wieder dagegen, polemisierte, Adolf Hitler könne jetzt zufrieden sein, für Einzelhaft, Nervenzusammenbruch, ein demoliertes Heim und immer noch krankes Bein, bekäme er jetzt doch nur eine Gegenleistung: 96 Witze. "Allerdings Witze, die Zeitdokumente sind und als solche betrachtet zu werden wünschen", bemerkt der kritische Beobachter dazu.
Witze als "Waffe der Waffenlosen"
Friedrichs Witze sollten zu "lachenden Dokumenten einer tiefernsten Zeit werden, einer Zeit in der 65 Millionen Menschen nur flüstern durften", wie es im Vorwort heißt. Denen wollte er etwas in die Hand geben und erklärte den Witz zur "Waffe der Waffenlosen."
Der Pazifist hat eingefangen, was unter Hitlers Herrschaft nicht mehr öffentlich gesagt werden konnte, schreibt deshalb im Vorwort: "Wer die wahre Stimmung des durch Konzentrationslager und Nilpferdpeitschen eingeschüchterten `Volkes der Dichter und Denker` kennen lernen will, der greife zu dieser Witzsammlung".
Die Menschen in Nazideutschland erzählten sich diese Flüsterwitze mit einem lachenden und einem weinenden Auge: "Was ist paradox? Wenn einer Hitler heißt und vom Frieden spricht." oder "Was ist das Eintopfgericht? Die Vorspiegelung brauner Tatsachen."
Das zweite Anti-Kriegs-Museum wird zerstört
Doch nur zwei der Bändchen konnten vom Kultur-Verlag in Prag veröffentlicht werden, dann musste Friedrich schon in die Schweiz fliehen - in Deutschland stand er als "Todeskandidat" ganz oben auf der Liste der Gestapo.
Spree erzählt, wie sein Großvater immer weiter getrieben wurde, nach Belgien flüchtete, wo er mit Hilfe der Gewerkschaften ein zweites Anti-Kriegs-Museum errichten konnte. Auch dieses Haus wurde 1940 beim Einmarsch der Nationalsozialisten in Belgien zerstört.
Siebzig jüdische Kinder vor der Deportation gerettet
Die Männer der Gestapo spürten den Widerständler dann im Februar 1943 in seinem französischen Versteck auf. Er konnte gerade noch entkommen. Dafür nahmen sie seinen Sohn mit.
Friedrich, vollkommen aus der Bahn geworfen, trat danach nur noch aus Pflichtgefühl in die französische Resistance ein - und rettete siebzig Kinder eines jüdischen Kinderheims vor der Deportation.
"Welt-Friedens-Minister" auf der "Île de la Paix"
Tommy Spree streicht sich durch den weißen Vollbart, erzählt noch, wie sein unermüdlicher Großvater nach dem Krieg einen internationalen Fonds von 1.000 Dollar erhielt, den er in einen klapprigen Schleppkahn umsetzte und ihn zum Friedensschiff umfunktionierte. Damit legte er an der Marne-Insel nahe Le Perreux-sur-Marne an, wo er sich Land von seiner Entschädigung für die Leiden im dritten Reich erworben hatte.
Dieses neue Anwesen, die "Île de la Paix" (Friedensinsel) wurde 1961 zur internationalen Begegnungsstätte für Jugendliche. Friedrich ernannte sich dort selbst zum "Welt-Friedens-Minister" und begrüßte bis an sein Lebensende jeden Besucher auch als Selbiger.
Humor gegen das Hakenkreuz
Sein Enkel klappt am Ende des Gesprächs noch einmal das zweite Witz-Bändchen auf - er habe etwas Kapitales vergessen - und deutet auf die Worte, die der selbsternannte Minister in Friedensangelegenheiten da über Nazi-Deutschland schreibt: "Ein, wie man sagt `großes Volk` hat seine eigene Sprache verloren; es kann nur noch `Heil Hitler` schreien und - Witze machen…"
Sprees Zeigefinger pocht regelrecht auf diese Stelle im Buch. Mit leuchtenden Augen zitiert er weiter: "aber Witze, die wie Holzwürmer im Gebälk des dritten Reichs bohren und wühlen, unermüdlich, unaufhörlich!" Flüsterwitze und ihr mutiger Sammler Ernst Friedrich unterhöhlten die NS-Ideologie mit einer gewaltlosen Waffe. "Humor gegen das Hakenkreuz. Das darf nicht vergessen werden.", mahnt Spree im Namen seines Großvaters, während er die Seiten der Sammlung schließt.