Kurz bevor die zwei Meter lange britische Luftmine aus dem Zweiten Weltkrieg entschärfet wird, sieht man kaum jemanden auf den Straßen. Am Bahnhof sind die letzten Reisenden abgefahren. Für ein Tag kommt ganz Koblenz zum Stillstand kommen und gleicht einer Geisterstadt: rund 45.000 Menschen aus dem Stadtteil Pfaffendorf haben ihre Häuser verlassen.
Die Räumung der Sperrzone in der Stadt sei bisher problemlos abgelaufen, sagte Feuerwehrsprecher Manfred Morschhäuser über die größte Evakuierung wegen eines Blindgängers in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg. Viele Bewohner hätten ihre Häuser und Wohnungen bereits am Samstag verlassen und seien abgereist. Viele hatten die Gelegenheit genutzt, um Freunde und Verwandte zu besuchen. Auch der Hauptbahnhof sei geräumt.
Die Gefahrenzone umfasst einen Umkreis von 1800 Metern um die Bombe. So weit würde die Druckwelle reichen, sollte die Mine detonieren. Dass es dazu nicht kommt, dafür will der Kampfmittelräumdienst Rheinland-Pfalz sorgen. Mit einer so genannten „Seilscheibe“ wollen die zehn Männer den Sprengkörper unschädlich machen. „Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass die Bombe hochgeht“, sagt Einsatzleiter Horst Lenz, „aber sollte etwas schief laufen, ist die Gefahr für meine Leute natürlich extrem hoch.“
Im Umkreis von 50 Metern würde jedes Haus einstürzen, die Splitter Hunderte von Metern weit fliegen. Auch das Haus von Maria Schneider würde in Asche liegen. Mit ihrem Sohn stand sie bis zuletzt am Rheinufer, um sich anzuschauen, weshalb sie am nächsten Tag die Stadt verlassen muss. „Es ist schon ein mulmiges Gefühl, wegzufahren und alles zurückzulassen.“
Klares Wasser hat die Bombe verraten
Trotz des Regenwetters standen bis zur letzten Minute immer wieder Schaulustige am Absperrgitter. Die Feuerwehr hat mit über 2000 Sandsäcken einen Damm um die Bombe aufgeschichtet. Bis Sonntag um 15 Uhr will sie innerhalb dieses Beckens das gesamte Wasser abpumpen, so dass der Sprengkörper trocken liegt, erst dann kann man an die Arbeit gehen.
Die Mine ist gelb markiert und lag unmittelbar unter der Wasseroberfläche. Weil es in den vergangenen Wochen wenig geregnet hatte, war der Pegel des Rheins niedrig und das Wasser klar. Anwohner hatten deshalb die Luftmine von ihrem Balkon aus gesichtet und den Fund gemeldet.
Außer der britischen Bombe werden die Männer um Horst Lenz zudem eine 125 Kilogramm schwere US-Fliegerbombe sowie ein Nebelfass entschärfen. Seit 1999 sind bereits 28 größere Bomben in der Stadt gefunden worden, doch diese Luftmine ist der bisher gefährlichste Fund.
200 Häftlinge und sieben Altenheime verlegt
Nicht alle Koblenzer konnten einfach ins Auto steigen und losfahren: In den vergangen Tagen hatte das Rote Kreuz bereits zwei Krankenhäuser, die im Sperrgebiet liegen, geräumt. Rund 180 Patienten wurden in andere Häuser verlegt. 200 Gefangene aus der Justizvollzugsanstalt Koblenz wurden auf andere Gefängnisse verteilt.
Auch sieben Altenheime liegen in der Evakuierungszone. Erst als ab Sonntagmorgen um sieben Uhr die Lautsprecherwagen durch die Straßen fahren, mussten auch die Senioren ihre Räume verlassen. „Die älteren Menschen früher auszuquartieren, hätte für sie zuviel Stress bedeutet“, sagt Anja Baerwindt vom Technischen Hilfswerk. Bei vielen kämen ohnehin schon Erinnerungen aus dem Zweiten Weltkrieg hoch. Um sicher zu gehen, dass wirklich jeder seine Wohnung verlassen hat, wird es um bis zur Entschärfung einen weiteren Kontrollgang durch die Stadt geben.
2500 Helfer aus ganz Rheinland-Pfalz werden bei der Evakuierung mit anpacken. Allein 1000 Helfer vom Roten Kreuz und Malteser Hilfsdienst werden in Notunterkünften in sieben Schulen vor Ort sein, 30 Notfallseelsorger stehen bereit. 12.000 Plätze in den Betreuungsstellen sollen die Koblenzer auffangen.
Der Bahnverkehr wird umgeleitet, der Schifffahrtsverkehr auf dem Rhein wird während der Entschärfung ausgesetzt. Ab 17 Uhr hoffen die Koblenzer, in ihre Wohnung zurückkehren zu können. Dann bliebe vom 2. Advent immerhin noch der Abend.