Wolfgang Clement

"Der komplette Umzug nach Berlin muss kommen"

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Kristian Frigelj

Foto: Wikipedia/James/dpa

Wolfgang Clement kämpfte einst für Bonn als Hauptstadt. Heute ist er geläutert und sagt im Interview: "Wir sind nicht ausreichend handlungsfähig."

Morgenpost Online : Herr Clement, haben Sie inzwischen mit Berlin als Hauptstadt abgefunden?

Wolfgang Clement : Ich bin gern in Berlin, aber ich lebe in Bonn und fühle mich dort pudelwohl.

Morgenpost Online : Sie waren vor zwanzig Jahren einer der Wortführer, die beim Hauptstadtbeschluss eine Mehrheit für den Standort Bonn organisieren wollten. Was missfiel Ihnen an Berlin?

Clement : Das war damals keine Abneigung gegen Berlin, sondern es ging darum, die föderale Struktur zu bewahren. Dieser gewaltige Umbau, der anstand und der ja auch überwiegend vollzogen worden ist, war damals meines Erachtens nicht notwendig.

Morgenpost Online : Sie warnten vor einem Zentralismus. War das aus heutiger Sicht gerechtfertigt?

Clement : Da würde ich heute vorsichtiger argumentieren. Die Sorge vor einem politischen Zentralismus ist nicht mehr in dem Maße gerechtfertigt. Wir sind inzwischen an den Grenzen der Belastbarkeit der föderalen Struktur angekommen. Wir sind in Teilen nicht ausreichend handlungsfähig. Die europäische Entwicklung ist wesentlich schneller vorangegangen, als ich gedacht habe. Sie wird noch schneller werden. Der nationale Einfluss wird geringer.

Morgenpost Online : Waren Sie damals zu kurzsichtig?

Clement : Wir haben schon versucht, vorauszuschauen. Man kann natürlich nicht die Rolle abstreifen, in der man sich damals befand...

Morgenpost Online : Sie waren Staatskanzleichef und Minister für besondere Aufgaben von NRW-Ministerpräsident Johannes Rau.

Clement : Als Mitverantwortlicher für dieses Land und für diese Stadt, kann man nicht bestreiten, dass man eine Interessenwahrnehmung hat und in diesem Sinne ein Lobbyist ist. Wir haben versucht, diesen gewaltigen Zug nach Berlin in seinen Risiken zu beschreiben und für eine ausgewogene Lösung zu plädieren.

Morgenpost Online : Was haben die prominenten Berlin-Promoter, etwa Willy Brandt, Wolfgang Schäuble und letztlich auch Helmut Kohl besser gemacht als die Bonn-Lobbyisten?

Clement : Sie hatten die Emotion der Deutschen Einheit für sich. Das war das Entscheidende. Diese Emotion hatte ich auch, ich war ja für die Einheit. Es ging uns nur darum, dass die Strukturen, die bis dahin bestanden hatten, nicht gefährdet werden.

Morgenpost Online : Wie haben Sie die Abstimmung am 20. Juni 1991 empfunden?

Clement : Wir hatten natürlich gehofft, diese Abstimmung für uns zu gewinnen. Die Auseinandersetzung war ja bis zum Schluss, bis zum letzten Redebeitrag überaus spannend. Nach der Abstimmungsniederlage ging man natürlich zuerst in eine Depression.

Morgenpost Online : Es war nur 17 Stimmen.

Clement : Es war sehr knapp. Wir haben nicht damit gerechnet. Wir haben nicht einmal die Kraft gehabt, diese Niederlage in der nächsten Kneipe anständig zu begießen. Wir haben die Depression aber nur kurz durchlebt. Wir sind dann in die nächste Diskussion gezogen, wenn Sie so wollen, in die nächste Schlacht, und das war die um den Ausgleich.

Morgenpost Online : Wie hat der Standort Berlin die deutsche Politik verändert?

Clement : Das ist schwer zu sagen. Die Politik insgesamt hat sich enorm verändert. Ich glaube nicht, dass der Standortwechsel der deutschen Politik besser oder schlechter bekommen ist. Bonn war übersichtlicher. Heute ist die Welt insgesamt turbulenter, noch schneller geworden. Die Politik ist insgesamt internationaler geworden. Wir leben in einer globalisierten Welt. Das war in dieser extremen Form nicht in Bonn. Die neuen Informationstechnologien haben den Pulsschlag der Politik enorm erhöht, und das spürt man in Berlin. Das wäre auch in Bonn zum Ausdruck gekommen, vielleicht in übersichtlicheren Strukturen.

Morgenpost Online : Dann passt Berlin doch als bundesdeutsche Hauptstadt besser in die neue Zeit als Bonn?

Clement : Berlin als deutsche, nein, als europäische Metropole, hat eine hohe Attraktivität und zieht viele junge Menschen weltweit an. Das kommt uns allen zugute. Wenn Berlin an Kraft gewinnt, dann ist das gut für ganz Deutschland. Man muss sagen, dass die Umstrukturierung nach dem Hauptstadtbeschluss gelungen ist.

Morgenpost Online : Wäre es nicht endlich an der Zeit, dass zusammenwächst, was zusammengehört und die in Bonn verbliebenen Teile der Ministerien nach Berlin ziehen ?

Clement : Ich würde der Stadt Bonn empfehlen, das von sich aus anzugehen. Man sollte nicht warten, bis man gestaltet wird.

Morgenpost Online : Welche Gestaltungsmöglichkeiten gäbe es?

Clement :Das Bundesjustizministerium ist aus meiner Sicht das beste Beispiel. Da wurden getrennte Strukturen geschaffen. In Bonn wurde das BfJ – das Bundesamt für Justiz – als Bundesbehörde eingerichtet. Man sollte die Gelegenheit nutzen, alle Ministerien zu straffen und auf wesentliche Aufgaben zu konzentrieren. Die Bundesministerien haben sich durch die Bank viel zu viele Aufgaben angeeignet. Man könnte eine elegante Reform der Administration vornehmen und in Bonn Einrichtungen schaffen, die getrennt von den Ministerien agieren. Ein gelungenes Beispiel ist auch die Bundesregulierungsbehörde.

Morgenpost Online : Muss der Bundestag einen neuen Hauptstadtbeschluss anstreben?

Clement : Anders geht es nicht. Eine Weiterentwicklung des Hauptstadtbeschlusses, das wäre mein Anliegen. Ein kompletter Umzug müsste eingebettet sein in eine große Reform der Administration des Bundes. Und es bräuchte jemanden, der das Thema vorantreibt. Das wäre eigentlich eine Aufgabe für den Bundespräsidenten. Sonst ist wie beim Mikado, keiner will sich zuerst bewegen. Die Bonner machen es nicht, weil sie Angst haben, zuviel preiszugeben, und die Berliner fürchten, dass sie von Bonn angeprangert werden. Es müsste von jemandem ausgehen, der nicht im politischen Tagesgefecht steht.

Morgenpost Online : Hätte es nicht Charme, wenn ein geläuterter Skeptiker des Standortes Berlin diese Aufgabe übernähme? Vielleicht eine Person namens Wolfgang Clement?

Clement : Das ist eine Aufgabe für andere. Ich habe mich damals ja ausreichend bei dem Thema engagiert. Ich kann nur ernsthaft empfehlen, es anzugehen, sonst wabert das Thema weiter durch die Landschaft.

Morgenpost Online : Könnte Bonn einen kompletten Abzug der Ministerien verkraften?

Clement : Bonn ist kein Fall mehr für mitleidige Operationen. Bonn ist eine sehr gute entwickelte Stadt. Bonn und die Region haben heute an die 20.000 Arbeitsplätze mehr als 1991. Die Stadt steht glänzend da mit ihren DAX-Unternehmen. Es hat sich wesentlich besser entwickelt, als damals befürchtet. Wir können selbstzufrieden zurückschauen und sagen: Das war 1991 die erfolgreichste Niederlage, die wir jemals hatten. Man kann Aufgaben in Bonn belassen, eigene Einrichtungen schaffen. Die Zusammenführung der staatlichen Entwicklungshilfeorganisationen passt glänzend zum Campus der Vereinten Nationen. Der UN-Standort ist ausbaufähig. Die Ministerien sind nicht mehr prägend für Bonn, um es ganz klar zu sagen. Bonn ist ein Zentrum für Bildung, Wissenschaft und Entwicklungszusammenarbeit. Das gleiche gilt für die Themen Umwelt und Naturschutz.

Morgenpost Online : Am Schluss noch eine persönliche Frage: Sie wohnen in Bonn-Bad Godesberg, nahe bei Peer Steinbrück. Treffen Sie sich?

Clement : Wir haben beide viele Termine. Er etwas mehr als ich. Aber wenn es die Zeit zulässt, trinken wir gemeinsam ein Glas Wein oder auch etwas mehr.