Eigentlich ist die Bundeskanzlerin keine Fachfrau für warme Worte. Im Gegenteil: Noch im November geriet ihr die Verabschiedung ihrer langjährigen Stellvertreter Roland Koch und Jürgen Rüttgers auf dem CDU-Parteitag so kurz und kühl, dass es manchem Delegierten fröstelte. Ganz anders am Dienstag: Da wuchs sich ihr Statement zum Rücktritt von Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) zur wahren Eloge aus. Merkel schien gar nicht aufhören zu wollen, den Mann zu loben, der ihr kaum mehr als zwei Jahre als Minister diente und nun über eine Doktorarbeit gestolpert ist, die er in weiten Teilen nicht selbst geschrieben hat. „Schweren Herzens“ nur, so Merkel, habe sie seiner Bitte entsprochen, ihn zu entlassen.
Sie nannte ihn eine „herausragende politische Begabung“ mit einer „ganz eigenen und außergewöhnlichen Fähigkeit, die Herzen der Menschen zu erreichen“. Merkel zitierte gar aus Guttenbergs Rücktritts-Statement, er habe mit „Herzblut“ sein Amt für die ihm anvertrauten Soldatinnen und Soldaten ausgefüllt. Die von ihm initiierte Bundeswehrreform sei nicht nur „wegweisend“ und „tief greifend“, sondern auch „unumgänglich“. Die Kanzlerin wollte partout nicht von Guttenberg lassen: Sie sei überzeugt, in der Zukunft wieder mit ihm zusammenarbeiten zu können – „in welcher Form auch immer“. Das klang schon wie das Versprechen eines Comebacks.
Merkel verzichtete darauf, schon Pflöcke für die Nachfolgedebatte einzurammen und räumte großzügig der CSU den „Anspruch auf dieses Amt“ ein. Kein Streit sollte den Abgang überschatten: Dieser Tag sollte noch einmal ganz Guttenberg gehören.
Die Wertschätzung der Kanzlerin für den jungen Politiker ist durchaus authentisch. Sie hat ihn einst zum Wirtschaftsminister gemacht, indem sie den einen fränkischen Unternehmer – den eigentlichen Favoriten von CSU-Chef Horst Seehofer für die Nachfolge des glücklosen Wirtschaftsminister Michael Glos – als nicht ministrabel abblitzen ließ. Sein Talent schätzt die Kanzlerin also wirklich.
Guttenbergs Beliebtheit war Merkel unheimlich
Aber Guttenberg war ihr auch unheimlich geworden. Sein Charisma, das ihn über den üblichen Politikbetrieb hinaushebt, irritierte Merkel. Ähnlich wie beim amerikanischen Präsidenten Obama verstand Merkel auch beim jungen Freiherrn nicht, wie die Menschen unerfüllte Sehnsüchte und Hoffnungen so bedingungslos in eine Person projizieren können. An Versuchen, den Überflieger herunterzuholen, hat sich Merkel nicht direkt beteiligt – das überließ sie ihrem Kanzleramtschef Ronald Pofalla.
Der frühere Generalsekretär und Architekt von Schwarz-Gelb hält Guttenberg für den überschätztesten und sich selbst für den unterschätztesten Politiker in Berlin. Als Guttenberg sich vor einem Jahr in einer Sparklausur des Kabinetts bockig zeigte, um so die Abschaffung der Wehrpflicht durchzusetzen, soll der Kanzleramtschef ihn ein „Rumpelstilzchen“ genannt haben. Zuletzt sickerten aus dem Kanzleramt immer wieder Einschätzungen, bei der Umsetzung der Reform hake es an mehreren Stellen.
Diese Hackeleien waren aber Dienstag längst vergessen. Merkel trieb – wie schon während der gesamten Plagiatsaffäre – vor allem eine große Angst um: Auf gar keinen Fall wollte sie für den Sturz des Publikumslieblings verantwortlich gemacht werden. Denn Guttenbergs Pathos kam bei vielen Menschen gut an, die Merkel Sprödheit satt hatten. Seine überschießenden Ambitionen verziehen ihm Beobachter, die Merkel chronische Zögerlichkeit attestierten.
Er brachte den Mumm auf, den Krieg in Afghanistan auch einen Krieg zu nennen – was Merkels große Koalition vorher immer verweigert hatte. Viele der von Guttenberg verkörperten Hoffnungen waren ins Positive gewendete Enttäuschungen bürgerlicher Wähler mit Merkel.
Der Verlust des Politstars Guttenberg birgt für Merkel weitere Risiken: Der Freiherr – dessen politische Positionen eher liberale sind – kam beim konservativen Publikum besonders gut an. Weit und breit gibt es in der von Merkel und ihren Leuten dominierten Union niemanden, der diese Lücke füllen könnte.
Merkel stützte Guttenberg auf Kosten der eigenen Glaubwürdigkeit
Deshalb wurde die Entzauberung Guttenbergs von Anfang an von Merkel auch als brandgefährlich für sie selbst eingeschätzt. Und deshalb stützte ihn Merkel bedingungslos – selbst um den Preis der eigenen Glaubwürdigkeit. Dass die Kanzlerin mit ihrer wurschtigen Bemerkung, sie habe einen Verteidigungsminister und keinen wissenschaftlichen Assistenten berufen, den Zorn der beleidigten Wissenschaftler noch zusätzlich befeuerte, war ein Unfall.
Ausgerechnet Merkel, deren Vergangenheit als Wissenschaftlerin immer zentraler Baustein ihres politikfernen Images war, stand jetzt für die Anmaßung der Politik gegenüber dem Wissenschaftsbetrieb. Als dieser sich zu wehren begann, schickte sie ihre Stellvertreterin und und langjährige Vertraute Anette Schavan vor: Die Wissenschaftsministerin sollte Verständnis für den Ärger der Wissenschaftler andeuten – mehr freilich nicht. Schavans Formulierung vom „nicht nur heimlichen Schämen“ geriet dann aber aus dem Zusammenhang gerissen fast zu einem Angriff auf Guttenberg. Das habe sicher niemand so gewollt, hieß es aus dem Umfeld der Kanzlerin.
Um den – tatsächlich falschen – Eindruck zu verwischen, sie habe den Rücktritt Guttenbergs orchestriert, gestand Merkel sogar öffentlich ein, von den Ereignissen überrascht worden zu sein. Das kann man ihr abnehmen. Am Morgen war sie gemeinsam mit drei Minister auf die Computermesse „Cebit“ nach Hannover gefahren, die sie gemeinsam mit dem türkischen Verkehrsminister eröffnete. Eigentlich war dieser Termin gemeinsam mit Recep Tayyip Erdogan geplant, doch der türkische Ministerpräsident hatte abgesagt.
Guttenbergs SMS mit einer Rückrufbitte erreichte die Kanzlerin um kurz nach neun. Sie rief ihn dann an und konnte nur noch seine Entscheidung zur Kenntnis nehmen. Ein Hubschrauber brachte die Kanzlerin dann zurück ins Regierungsviertel, wo sie am Mittag zu einem persönlichen Gespräch mit Guttenberg zusammen traf.
Einen ernsthaften Versuch, ihn umzustimmen, hat Merkel nicht mehr gemacht. Für die laufenden Wahlkämpfe der Union birgt Guttenbergs Rückzug große Risiken: In den Beliebtheits-Umfragen hatte Guttenberg seit seinem Aufstieg geführt – vor Merkel. Bald wird sie also wieder führen. So unglücklich war wohl noch nie ein Politiker, der Beliebteste im Land zu ein.
Mitarbeit: Benedikt Fuest