Berlin . Zu lange wurde das Problem ignoriert. Gegen Clankriminalität hilft nur ein behördenübergreifendes Konzept, findet Alexander Dinger.
Das Problem der Clankriminalität wurde viel zu lange ignoriert und kleingeredet. Dass die SPD in Neukölln und nicht irgendein Hardliner eine abendfüllende Diskussion darüber organisiert, zeigt den Ernst der Lage. Dass mehr als 200 Menschen der Diskussion beiwohnen, verdeutlicht, dass die Partei damit einen Nerv trifft.
Wichtig bei der Debatte ist, dass Politiker auf die Praktiker hören und daraus ihre Schlüsse ziehen. Praktiker sind zum Beispiel Sozialarbeiter, Lehrer, Polizisten und Rettungskräfte. Wenn etwa ein Träger berichtet, dass seine Sozialarbeiterinnen von Clanmitgliedern bedroht werden, dann muss das Konsequenzen haben. Wenn Rettungskräfte bei ihrer Arbeit behindert werden, dann muss auch das Konsequenzen haben. Und wenn Lehrer sich bei ihrer Arbeit im Stich gelassen fühlen, dann muss das erst recht Konsequenzen haben.
Denn nur mit Bildung kann der gordische Knoten des Clanproblems durchschlagen werden. Denn Bildung bedeutet Teilhabe. Wer gute Zensuren hat, kann eine Lehre antreten oder Abitur machen. Nur mit einer abgeschlossenen Lehre oder einem Studienabschluss lässt sich später ein Beruf ausüben und Geld verdienen. Politik muss die Voraussetzung schaffen, damit jeder, gleich welcher Herkunft, diesen Weg gehen kann. Das heißt: Lehrer und Sozialarbeiter brauchen alle Unterstützung, die sie benötigen, um Kindern und Jugendlichen diesen Weg zu ermöglichen.
Schulen sind so etwas wie ein Frühwarnsystem
Schulen müssen mit modernem Material und ausreichend Personal ausgestattet werden. Und wenn Pädagogen von Problemen berichten, dann sollte man vor allem eines tun: zuhören. Denn Schulen sind so etwas wie ein Frühwarnsystem. Lehrer erkennen zeitig, wenn etwas schiefläuft in der Entwicklung eines Kindes, und sie bekommen Einblicke in familiäre Verhältnisse. Deshalb brauchen Einrichtungen in Problemkiezen besondere Zuwendung. Eine Brennpunktschule an der Sonnenallee hat einen ganz anderen Betreuungsbedarf als eine gutbürgerliche Einrichtung in Grunewald.
Eine zweite Säule neben der Bildung sind Aussteigerprogramme. Wer aus kriminellen Strukturen herauswill, muss dabei Unterstützung und vor allem Schutz bekommen. Es ist richtig, wenn die SPD in Neukölln entsprechende Programme auf den Weg bringen will und dabei hoffentlich unterstützt wird. Dieses Thema eignet sich nicht für politische Ränkespielchen.
Neben Prävention und Schutzangeboten braucht es aber auch die Kriminalitätsbekämpfung. Hier entwickelt sich Neukölln zu einer Blaupause. Zwar muss der Stadtteil im Speziellen und Berlin im Allgemeinen immer noch deutschlandweit bei Debatten als Negativbeispiel für missglückte Integration herhalten, aber in Wahrheit entwickelt sich hier ein Modus Operandi, um ein Problem in den Griff zu bekommen. Behörden anderer Bundesländer beobachten nicht zufällig sehr genau, wie so eine Staatsanwaltschaft vor Ort funktioniert und ob all die behördenübergreifenden Schwerpunkteinsätze etwas bringen. Und dass eine Staatsanwaltschaft 77 Immobilien beschlagnahmt, hat es noch nie zuvor gegeben. Das kann man aus der Ferne schlau kommentieren oder, wie die mutigen Berliner Staatsanwälte, dank akribischer Vorarbeit einfach machen.
Mehr noch: Praktiker müssten ihre Arbeit viel öfter erklären. Nicht alle, die schlau daherreden, wissen, was es etwa heißt, als Staatsanwältin jeden Tag Überstunden zu machen und an Wochenenden zu arbeiten. Oder als Lehrerin einem Clanboss die Meinung zu sagen.
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