Berlin. Wenn die U-Bahn unregelmäßig fährt, bittet sie über Lautsprecher “um Verständnis“. Eigentlich eine Frechheit, findet Sebastian Geisler.
Manchmal, wenn ich am Bahnsteig stehe und die U-Bahn kommt nicht, ärgere ich mich. Und zwar nicht darüber, dass die U-Bahn (noch) nicht kommt, das ist eben manchmal so, sondern über die Durchsagen der BVG. „Der Zugverkehr ist zur Zeit unregelmäßig. Wir bitten um Verständnis.“
Liebe BVG, es ist doch so: Ich kann gar kein „Verständnis“ aufbringen dafür, dass die Züge unregelmäßig fahren, wenn ihr mir nicht sagt, warum das so ist. Was soll das überhaupt mit dem Bitten um „Verständnis“? Wer um „Verständnis“ bittet, impliziert damit: Du, lieber Kunde, verstehst gefälligst, dass die Bahn nicht fahren kann, weil es gerade Probleme gibt - oder Du bist halt einfach zu doof, die Sachzwänge zu durchschauen. Das empfinde ich als dreist.
Man sieht das auch auf Schildern an Autobahnbaustellen. „Hier bauen wir bis 2020 den neuen Autobahnabschnitt. Wir bitten um Verständnis.“ Das heißt doch im Klartext: „Lieber Mensch, der du da gerade am Schild vorbeifährst und dich wunderst, warum hier das Tempo auf 60 herabgesetzt wurde: Wir machen das, weil man eine neue Autobahn erst mal bauen muss, damit du drauf fahren kannst, das musst du doch verstehen, du Dummi!“
Vielleicht sollte man sich einfach mal den Spaß machen und auch als Individualperson so agieren. „Schatz, ich habe keine Milch gekauft, ich bitte um Verständnis“ oder „Schatz, ich hab das Kind nicht von der Kita abgeholt. Ich bitte um Verständnis.“ Oder warum nicht auch im beruflichen Kontext: „Lieber Arbeitgeber, mein Projekt reißt leider die Deadline, ich bitte um Verständnis.“ Es würde mich sehr wundern, wenn die dergestalt Angesprochenen diese Mitteilungen ohne weitere Erklärungen als akzeptabel empfinden würden.
Bittet doch einfach um Entschuldigung
Angebrachter wäre es, auch für die BVG am U-Bahnhof, einfach um Entschuldigung zu bitten. Die gewähre ich dann gern. Und zwar auch ohne dass ich erfahre, dass gerade eine Signalstörung zu „Störungen im Betriebsablauf“ führt. Das Bitten um Entschuldigung entfaltet geradezu den Gestus britischer Höflichkeit, wenn man es einsetzt, obwohl man als Bittender selbst gar nichts kann für die Ursache der Verzögerung. Es sagt dann: „Lieber Kunde, bitte verzeih, dass es uns momentan nicht gelingt, dir den Service zu bieten, den du haben möchtest. Es ist zwar nicht unsere Schuld, dass über Nacht Kupferdiebe 200 Meter Kabel zwischen den Signalen gestohlen haben, aber wir bedauern sehr, dass es nicht in unserer Macht steht, das Problem so schnell zu beheben, dass du davon nichts merkst, o ja, es ist uns wirklich unangenehm.“ Das ist wahre Größe!
Nach der deutschen Durchsage kommt übrigens heutzutage auch eine englischsprachige hinterher. Darin heißt es nicht etwa so etwas wie „We ask you to understand that the train is late because that is the obvious consequence of the problem“ (Also: Wir bitten Sie, zu verstehen, dass der Zug verspätet ist, weil das nun mal die logische Konsequenz des vorliegenden Problems ist), sondern: „We apologize for the inconvenience“, also „Wir entschuldigen uns für die Unannehmlichkeiten.“ Es wäre schön, wenn das der Computerdurchsage der BVG auch mal auf Deutsch über die Lippen käme. Vielleicht geht das aber ja auch einfach aus technischen Gründen nicht anders. Das würde ich sicherlich jederzeit entschuldigen - wenn man mich darum bittet.
Update: Nach diesem Kommentar von unserem Autor Sebastian Geisler wird die BVG ihre Durchsagen ändern. Ab Freitag, 20. Juli, werden die Verkehrsbetriebe in den Durchsagen um Entschuldigung bitten.
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